Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Deutsche Leute auf brasilischer Scholle wurden -- Petropolis und Neu-Freiburg -- und der Bauerschaften in Espirito Brasilien ist ein moderner Staat, ohne Zweifell Es hat seine Dreadnoughts, Deutsche Leute auf brasilischer Scholle wurden — Petropolis und Neu-Freiburg — und der Bauerschaften in Espirito Brasilien ist ein moderner Staat, ohne Zweifell Es hat seine Dreadnoughts, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319223"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Leute auf brasilischer Scholle</fw><lb/> <p xml:id="ID_1572" prev="#ID_1571"> wurden — Petropolis und Neu-Freiburg — und der Bauerschaften in Espirito<lb/> Santo. Was die beiden Kaiser schufen, durfte in den Augen der Republik natürlich<lb/> nichts taugen. Flugs mengte man auf den neuen Kolonien alle Nationen Europas<lb/> durcheinander, Polen und Italiener wurden zwischen die Deutschen gemischt, um<lb/> alle zum Gebrauch der Landessprache zu zwingen. Und keine dieser politischen<lb/> Mißgeburten ist gediehen. Nur wo Deutsche, Italiener oder Polen in geschlossenen<lb/> Bezirken für sich sitzen, blüht das Leben. Der Kaffeestaat S. Paulo sucht ganz<lb/> neuerdings unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Propaganda in Europa<lb/> Ansiedler zu werben, die in Wahrheit nur Fronarbeiter der Kaffeebarone werden<lb/> sollen. Unbegreiflich ist es, daß unsere Regierungen nicht gleich hinter das saubere<lb/> Spiel dieser „Missionen" kamen, von denen auch in Berlin eine für die Kaffeeleute<lb/> von S. Paulo tätig war. Aber Brasilien ist ein moderner Staat. Es stellt seine<lb/> Offiziere in unsere Regimenter und holt deutsche Jnstruktoren, nachdem man<lb/> nämlich in Frankreich, dessen Kammerpräsidenten Paul Donner man für schweres<lb/> Honorar nach Brasilien kommen ließ, nicht die Gegenliebe fand, auf die man in<lb/> der Republik hoffte. So kam Marschall Hermes da Fonseca nach Berlin und<lb/> versuchte es mit den Deutschen, die man sonst in Brasilien als eine Horde<lb/> Barbaren mit guten Hinterladern und Kruppgeschützen und Schulmeistern betrachtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1573" next="#ID_1574"> Brasilien ist ein moderner Staat, ohne Zweifell Es hat seine Dreadnoughts,<lb/> die ihre Gefährlichkeit für die Leute von Rio de Janeiro noch vor nicht langer<lb/> Zeit bewiesen; es hatte 1900 seine Ausstellung, die nach dem Beispiele von<lb/> Se. Louis und Chicago das übliche Defizit lieferte; es hat die modernen Bauten<lb/> der Avenida Central und der Avenida Beim-Mar, dazu den Monroepalast, der<lb/> abends seine Lichtgarben über Rio strahlen läßt; es hat die Überschüsse seiner<lb/> Kaffeefinanzen in den Bauten des Herrn Rodrigues Alpes angelegt, und die<lb/> Volksschule im Lande ist trotz alles Lobgetöns auf „Orden und Progresso—Ordnung<lb/> und Fortschritt", den Wappmspruch der Republik, immer noch ein holder Traum.<lb/> Schon rüstet man sich in Rio aber zu einer neuen Revolution, die vielleicht den<lb/> lange drohenden Zerfall deS unnatürlichen Staatsgebildes bringt, das seit der<lb/> Entthronung des zweiten Kaisers die schweren Wirren durchmachte, die in Süd¬<lb/> amerika Zweck aller Politik sind, da sie für die kundigen Thebaner die beste Gelegen¬<lb/> heit bieten, den eigenen Beutel mit Staatsgut zu füllen. Als man diesem Lande<lb/> der Kulisse, dessen Kultur sich nur auf einen schmalen Küstenstreifen beschränkt,<lb/> nach dem Farbholz Pernambucos seinen Namen gab, beging man vorahnend eine<lb/> blutige Ironie-, es ist tatsächlich alles in der Politik und Kultur des Landes gefärbt,<lb/> und die ungeheure Barbarei schaut überall durch. Das wichtigste Element, der<lb/> gesunde Mittelstand, fehlt. Der kleinen Schar der Reichen und Mächtigen steht<lb/> die ungeheure Masse der Farbigen entgegen, die ohne Halm, Ar und Sorge um<lb/> den kommenden Tag in der lieben Sonne lungern und leicht finden, was der<lb/> Augenblick verlangt. Das Negerblut in den Adern der Nation erschlafft die Tat-<lb/> kraft, und dieser Bestandteil, das farbige Proletariat seit der Sklavenbefreiung,<lb/> wird stets Brasilien minderwertiger im Kampfe um die Vorherrschaft in Südamerika<lb/> machen als Argentinien und Chile. Die Schaffung eines gesunden Mittelstandes<lb/> als Grundlage einer vernünftigen Wirtschaft war das Ziel der Kaiser, als sie<lb/> europäische Kolonisten ins Land riefen. Die Republik hat das angefangene gute<lb/> Werk in lächerlicher Eifersucht auf alle Fremden verkommen lassen. Sie baute in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0276]
Deutsche Leute auf brasilischer Scholle
wurden — Petropolis und Neu-Freiburg — und der Bauerschaften in Espirito
Santo. Was die beiden Kaiser schufen, durfte in den Augen der Republik natürlich
nichts taugen. Flugs mengte man auf den neuen Kolonien alle Nationen Europas
durcheinander, Polen und Italiener wurden zwischen die Deutschen gemischt, um
alle zum Gebrauch der Landessprache zu zwingen. Und keine dieser politischen
Mißgeburten ist gediehen. Nur wo Deutsche, Italiener oder Polen in geschlossenen
Bezirken für sich sitzen, blüht das Leben. Der Kaffeestaat S. Paulo sucht ganz
neuerdings unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Propaganda in Europa
Ansiedler zu werben, die in Wahrheit nur Fronarbeiter der Kaffeebarone werden
sollen. Unbegreiflich ist es, daß unsere Regierungen nicht gleich hinter das saubere
Spiel dieser „Missionen" kamen, von denen auch in Berlin eine für die Kaffeeleute
von S. Paulo tätig war. Aber Brasilien ist ein moderner Staat. Es stellt seine
Offiziere in unsere Regimenter und holt deutsche Jnstruktoren, nachdem man
nämlich in Frankreich, dessen Kammerpräsidenten Paul Donner man für schweres
Honorar nach Brasilien kommen ließ, nicht die Gegenliebe fand, auf die man in
der Republik hoffte. So kam Marschall Hermes da Fonseca nach Berlin und
versuchte es mit den Deutschen, die man sonst in Brasilien als eine Horde
Barbaren mit guten Hinterladern und Kruppgeschützen und Schulmeistern betrachtet.
Brasilien ist ein moderner Staat, ohne Zweifell Es hat seine Dreadnoughts,
die ihre Gefährlichkeit für die Leute von Rio de Janeiro noch vor nicht langer
Zeit bewiesen; es hatte 1900 seine Ausstellung, die nach dem Beispiele von
Se. Louis und Chicago das übliche Defizit lieferte; es hat die modernen Bauten
der Avenida Central und der Avenida Beim-Mar, dazu den Monroepalast, der
abends seine Lichtgarben über Rio strahlen läßt; es hat die Überschüsse seiner
Kaffeefinanzen in den Bauten des Herrn Rodrigues Alpes angelegt, und die
Volksschule im Lande ist trotz alles Lobgetöns auf „Orden und Progresso—Ordnung
und Fortschritt", den Wappmspruch der Republik, immer noch ein holder Traum.
Schon rüstet man sich in Rio aber zu einer neuen Revolution, die vielleicht den
lange drohenden Zerfall deS unnatürlichen Staatsgebildes bringt, das seit der
Entthronung des zweiten Kaisers die schweren Wirren durchmachte, die in Süd¬
amerika Zweck aller Politik sind, da sie für die kundigen Thebaner die beste Gelegen¬
heit bieten, den eigenen Beutel mit Staatsgut zu füllen. Als man diesem Lande
der Kulisse, dessen Kultur sich nur auf einen schmalen Küstenstreifen beschränkt,
nach dem Farbholz Pernambucos seinen Namen gab, beging man vorahnend eine
blutige Ironie-, es ist tatsächlich alles in der Politik und Kultur des Landes gefärbt,
und die ungeheure Barbarei schaut überall durch. Das wichtigste Element, der
gesunde Mittelstand, fehlt. Der kleinen Schar der Reichen und Mächtigen steht
die ungeheure Masse der Farbigen entgegen, die ohne Halm, Ar und Sorge um
den kommenden Tag in der lieben Sonne lungern und leicht finden, was der
Augenblick verlangt. Das Negerblut in den Adern der Nation erschlafft die Tat-
kraft, und dieser Bestandteil, das farbige Proletariat seit der Sklavenbefreiung,
wird stets Brasilien minderwertiger im Kampfe um die Vorherrschaft in Südamerika
machen als Argentinien und Chile. Die Schaffung eines gesunden Mittelstandes
als Grundlage einer vernünftigen Wirtschaft war das Ziel der Kaiser, als sie
europäische Kolonisten ins Land riefen. Die Republik hat das angefangene gute
Werk in lächerlicher Eifersucht auf alle Fremden verkommen lassen. Sie baute in
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |