Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Storms Märchen

versichere ich Sie, daß ich nicht den leisesten Gedanken an ein Symbolisieren
bei der Abfassung gehabt habe, ich habe an nichts dabei gedacht, als an Fixierung
der Welt, die da vor mir aufstieg." Und an anderer Stelle sagt er: "Es ist
kein einziges verbrauchtes Motiv darin, wenigstens in den drei ersten ist alles
rein aus meiner Phantasie herausgewachsen." Es schmerzte ihn, wenn gerade
diese seine Werke schief beurteilt und mit einem Maßstabe gemessen wurden, der
ihnen nicht zukam. Dann schwieg er auch nicht, und einem solchen Umstände
verdanken wir eine interessante Gesamtauslassung über seine Märchen. An
Brinckmann schrieb er, als dieser eine einseitige Kritik der "Regentrude" ver¬
öffentlicht hatte: "Hör einmal, mit der Märchenkritik hast du mich wirklich
geärgert. Wenn dir diese drei sämtlich aus unmittelbarster, naiver und hin-
gebendster Anschauung entstandenen Dichtungen nicht die reinste Freude gemacht
haben, so gebe ich es auf, noch etwas zu schreiben, was du für poetisch berechtigt
halten könntest. Sie sind nicht allein das Beste, was ich geschrieben habe,
sondern ungefähr das Beste, was in dieser Art in deutscher Zunge existiert. .Die
Regentrude'. dieses von Naturgefühl bis zur sinnlichen Empfindung gekränkte
und, wie Pietsch schrieb, von der holdseligsten Phantasie belebte Märchen ist
von Männern, Weibern, Kindern, wer es gelesen, mit Entzücken gelesen, wenigstens
so weit bis jetzt meine Erfahrung reicht. Wenn ein Einwand berechtigt, so wäre
es vielleicht der, daß der Feuermann nicht so lebendig geworden wie die Trude.
Auch das spricht wohl für meine Dichtung, das ich ganz instinktiv im Sinn
und Geist der germanischen Mythologie geschrieben. Das in sich vollendetste ist
wohl .Bnlemanns Haus'. .Der Spiegel des Cyprianus' (ein jungfräulicher
Hauch liegt auf diesem Spiegel des Cyprianus) ist niir das liebste, auch Constanze
liebte diese Dichtung sehr. Jedes dieser drei Märchen hat den Ton, der aus
dem Stoff erwächst. So wie in .Bulemanns Haus', wiederum so wie im
.Spiegel des Cyprianus' habe ich noch nie geschrieben, und doch hätte niemand
als Theodor Storm der Verfasser dieser Sachen sein können."

Hoch, sehr hoch müssen wir die Märchen Storms stellen. Aber trotz ihrer
Vollendung dürfen wir in ihnen die Züge nicht übersehen, die den Märchen¬
versuchen Storms ein Gepräge besonderer Art geben.

In der "Regentrude" führt uus Storm in plastischer Weise die Dürre des
regenlosen Sommers und das Wiederaufblühen der verschmachteten Natur vor
Augen. Eine wundervolle Naturschilderung ist das; aber es ist ein Kunstmittel,
das dem innersten Wesen des Märchens aller Zeiten widerspricht, das deshalb
keiner Steigerung fähig ist. Das Märchen will als naive Phantastik Tatsachen.
Ein ausruhendes Verweilen beim Zuständlichen in der Natur verträgt sich mit
dieser Wesensart nicht. Dem Volksmärchen ist es darum ganz fremd. Das
Kunstmärchen, das die Märchenwelt unserer Zeit und unserer Märchenerzähler
widerspiegelt, kann sich auf ihm aufbauen, wenn es in so formstcherer Weise
geschieht wie in der "Regentrude". Doch ist dem Mittel eine enge Grenze
gezogen. Das Märchen wird bei zu weit ausgeholter Stimmungsmalerei arm.


Storms Märchen

versichere ich Sie, daß ich nicht den leisesten Gedanken an ein Symbolisieren
bei der Abfassung gehabt habe, ich habe an nichts dabei gedacht, als an Fixierung
der Welt, die da vor mir aufstieg." Und an anderer Stelle sagt er: „Es ist
kein einziges verbrauchtes Motiv darin, wenigstens in den drei ersten ist alles
rein aus meiner Phantasie herausgewachsen." Es schmerzte ihn, wenn gerade
diese seine Werke schief beurteilt und mit einem Maßstabe gemessen wurden, der
ihnen nicht zukam. Dann schwieg er auch nicht, und einem solchen Umstände
verdanken wir eine interessante Gesamtauslassung über seine Märchen. An
Brinckmann schrieb er, als dieser eine einseitige Kritik der „Regentrude" ver¬
öffentlicht hatte: „Hör einmal, mit der Märchenkritik hast du mich wirklich
geärgert. Wenn dir diese drei sämtlich aus unmittelbarster, naiver und hin-
gebendster Anschauung entstandenen Dichtungen nicht die reinste Freude gemacht
haben, so gebe ich es auf, noch etwas zu schreiben, was du für poetisch berechtigt
halten könntest. Sie sind nicht allein das Beste, was ich geschrieben habe,
sondern ungefähr das Beste, was in dieser Art in deutscher Zunge existiert. .Die
Regentrude'. dieses von Naturgefühl bis zur sinnlichen Empfindung gekränkte
und, wie Pietsch schrieb, von der holdseligsten Phantasie belebte Märchen ist
von Männern, Weibern, Kindern, wer es gelesen, mit Entzücken gelesen, wenigstens
so weit bis jetzt meine Erfahrung reicht. Wenn ein Einwand berechtigt, so wäre
es vielleicht der, daß der Feuermann nicht so lebendig geworden wie die Trude.
Auch das spricht wohl für meine Dichtung, das ich ganz instinktiv im Sinn
und Geist der germanischen Mythologie geschrieben. Das in sich vollendetste ist
wohl .Bnlemanns Haus'. .Der Spiegel des Cyprianus' (ein jungfräulicher
Hauch liegt auf diesem Spiegel des Cyprianus) ist niir das liebste, auch Constanze
liebte diese Dichtung sehr. Jedes dieser drei Märchen hat den Ton, der aus
dem Stoff erwächst. So wie in .Bulemanns Haus', wiederum so wie im
.Spiegel des Cyprianus' habe ich noch nie geschrieben, und doch hätte niemand
als Theodor Storm der Verfasser dieser Sachen sein können."

Hoch, sehr hoch müssen wir die Märchen Storms stellen. Aber trotz ihrer
Vollendung dürfen wir in ihnen die Züge nicht übersehen, die den Märchen¬
versuchen Storms ein Gepräge besonderer Art geben.

In der „Regentrude" führt uus Storm in plastischer Weise die Dürre des
regenlosen Sommers und das Wiederaufblühen der verschmachteten Natur vor
Augen. Eine wundervolle Naturschilderung ist das; aber es ist ein Kunstmittel,
das dem innersten Wesen des Märchens aller Zeiten widerspricht, das deshalb
keiner Steigerung fähig ist. Das Märchen will als naive Phantastik Tatsachen.
Ein ausruhendes Verweilen beim Zuständlichen in der Natur verträgt sich mit
dieser Wesensart nicht. Dem Volksmärchen ist es darum ganz fremd. Das
Kunstmärchen, das die Märchenwelt unserer Zeit und unserer Märchenerzähler
widerspiegelt, kann sich auf ihm aufbauen, wenn es in so formstcherer Weise
geschieht wie in der „Regentrude". Doch ist dem Mittel eine enge Grenze
gezogen. Das Märchen wird bei zu weit ausgeholter Stimmungsmalerei arm.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319220"/>
          <fw type="header" place="top"> Storms Märchen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1553" prev="#ID_1552"> versichere ich Sie, daß ich nicht den leisesten Gedanken an ein Symbolisieren<lb/>
bei der Abfassung gehabt habe, ich habe an nichts dabei gedacht, als an Fixierung<lb/>
der Welt, die da vor mir aufstieg." Und an anderer Stelle sagt er: &#x201E;Es ist<lb/>
kein einziges verbrauchtes Motiv darin, wenigstens in den drei ersten ist alles<lb/>
rein aus meiner Phantasie herausgewachsen." Es schmerzte ihn, wenn gerade<lb/>
diese seine Werke schief beurteilt und mit einem Maßstabe gemessen wurden, der<lb/>
ihnen nicht zukam. Dann schwieg er auch nicht, und einem solchen Umstände<lb/>
verdanken wir eine interessante Gesamtauslassung über seine Märchen. An<lb/>
Brinckmann schrieb er, als dieser eine einseitige Kritik der &#x201E;Regentrude" ver¬<lb/>
öffentlicht hatte: &#x201E;Hör einmal, mit der Märchenkritik hast du mich wirklich<lb/>
geärgert. Wenn dir diese drei sämtlich aus unmittelbarster, naiver und hin-<lb/>
gebendster Anschauung entstandenen Dichtungen nicht die reinste Freude gemacht<lb/>
haben, so gebe ich es auf, noch etwas zu schreiben, was du für poetisch berechtigt<lb/>
halten könntest. Sie sind nicht allein das Beste, was ich geschrieben habe,<lb/>
sondern ungefähr das Beste, was in dieser Art in deutscher Zunge existiert. .Die<lb/>
Regentrude'. dieses von Naturgefühl bis zur sinnlichen Empfindung gekränkte<lb/>
und, wie Pietsch schrieb, von der holdseligsten Phantasie belebte Märchen ist<lb/>
von Männern, Weibern, Kindern, wer es gelesen, mit Entzücken gelesen, wenigstens<lb/>
so weit bis jetzt meine Erfahrung reicht. Wenn ein Einwand berechtigt, so wäre<lb/>
es vielleicht der, daß der Feuermann nicht so lebendig geworden wie die Trude.<lb/>
Auch das spricht wohl für meine Dichtung, das ich ganz instinktiv im Sinn<lb/>
und Geist der germanischen Mythologie geschrieben. Das in sich vollendetste ist<lb/>
wohl .Bnlemanns Haus'. .Der Spiegel des Cyprianus' (ein jungfräulicher<lb/>
Hauch liegt auf diesem Spiegel des Cyprianus) ist niir das liebste, auch Constanze<lb/>
liebte diese Dichtung sehr. Jedes dieser drei Märchen hat den Ton, der aus<lb/>
dem Stoff erwächst. So wie in .Bulemanns Haus', wiederum so wie im<lb/>
.Spiegel des Cyprianus' habe ich noch nie geschrieben, und doch hätte niemand<lb/>
als Theodor Storm der Verfasser dieser Sachen sein können."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1554"> Hoch, sehr hoch müssen wir die Märchen Storms stellen. Aber trotz ihrer<lb/>
Vollendung dürfen wir in ihnen die Züge nicht übersehen, die den Märchen¬<lb/>
versuchen Storms ein Gepräge besonderer Art geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1555" next="#ID_1556"> In der &#x201E;Regentrude" führt uus Storm in plastischer Weise die Dürre des<lb/>
regenlosen Sommers und das Wiederaufblühen der verschmachteten Natur vor<lb/>
Augen. Eine wundervolle Naturschilderung ist das; aber es ist ein Kunstmittel,<lb/>
das dem innersten Wesen des Märchens aller Zeiten widerspricht, das deshalb<lb/>
keiner Steigerung fähig ist. Das Märchen will als naive Phantastik Tatsachen.<lb/>
Ein ausruhendes Verweilen beim Zuständlichen in der Natur verträgt sich mit<lb/>
dieser Wesensart nicht. Dem Volksmärchen ist es darum ganz fremd. Das<lb/>
Kunstmärchen, das die Märchenwelt unserer Zeit und unserer Märchenerzähler<lb/>
widerspiegelt, kann sich auf ihm aufbauen, wenn es in so formstcherer Weise<lb/>
geschieht wie in der &#x201E;Regentrude". Doch ist dem Mittel eine enge Grenze<lb/>
gezogen. Das Märchen wird bei zu weit ausgeholter Stimmungsmalerei arm.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Storms Märchen versichere ich Sie, daß ich nicht den leisesten Gedanken an ein Symbolisieren bei der Abfassung gehabt habe, ich habe an nichts dabei gedacht, als an Fixierung der Welt, die da vor mir aufstieg." Und an anderer Stelle sagt er: „Es ist kein einziges verbrauchtes Motiv darin, wenigstens in den drei ersten ist alles rein aus meiner Phantasie herausgewachsen." Es schmerzte ihn, wenn gerade diese seine Werke schief beurteilt und mit einem Maßstabe gemessen wurden, der ihnen nicht zukam. Dann schwieg er auch nicht, und einem solchen Umstände verdanken wir eine interessante Gesamtauslassung über seine Märchen. An Brinckmann schrieb er, als dieser eine einseitige Kritik der „Regentrude" ver¬ öffentlicht hatte: „Hör einmal, mit der Märchenkritik hast du mich wirklich geärgert. Wenn dir diese drei sämtlich aus unmittelbarster, naiver und hin- gebendster Anschauung entstandenen Dichtungen nicht die reinste Freude gemacht haben, so gebe ich es auf, noch etwas zu schreiben, was du für poetisch berechtigt halten könntest. Sie sind nicht allein das Beste, was ich geschrieben habe, sondern ungefähr das Beste, was in dieser Art in deutscher Zunge existiert. .Die Regentrude'. dieses von Naturgefühl bis zur sinnlichen Empfindung gekränkte und, wie Pietsch schrieb, von der holdseligsten Phantasie belebte Märchen ist von Männern, Weibern, Kindern, wer es gelesen, mit Entzücken gelesen, wenigstens so weit bis jetzt meine Erfahrung reicht. Wenn ein Einwand berechtigt, so wäre es vielleicht der, daß der Feuermann nicht so lebendig geworden wie die Trude. Auch das spricht wohl für meine Dichtung, das ich ganz instinktiv im Sinn und Geist der germanischen Mythologie geschrieben. Das in sich vollendetste ist wohl .Bnlemanns Haus'. .Der Spiegel des Cyprianus' (ein jungfräulicher Hauch liegt auf diesem Spiegel des Cyprianus) ist niir das liebste, auch Constanze liebte diese Dichtung sehr. Jedes dieser drei Märchen hat den Ton, der aus dem Stoff erwächst. So wie in .Bulemanns Haus', wiederum so wie im .Spiegel des Cyprianus' habe ich noch nie geschrieben, und doch hätte niemand als Theodor Storm der Verfasser dieser Sachen sein können." Hoch, sehr hoch müssen wir die Märchen Storms stellen. Aber trotz ihrer Vollendung dürfen wir in ihnen die Züge nicht übersehen, die den Märchen¬ versuchen Storms ein Gepräge besonderer Art geben. In der „Regentrude" führt uus Storm in plastischer Weise die Dürre des regenlosen Sommers und das Wiederaufblühen der verschmachteten Natur vor Augen. Eine wundervolle Naturschilderung ist das; aber es ist ein Kunstmittel, das dem innersten Wesen des Märchens aller Zeiten widerspricht, das deshalb keiner Steigerung fähig ist. Das Märchen will als naive Phantastik Tatsachen. Ein ausruhendes Verweilen beim Zuständlichen in der Natur verträgt sich mit dieser Wesensart nicht. Dem Volksmärchen ist es darum ganz fremd. Das Kunstmärchen, das die Märchenwelt unserer Zeit und unserer Märchenerzähler widerspiegelt, kann sich auf ihm aufbauen, wenn es in so formstcherer Weise geschieht wie in der „Regentrude". Doch ist dem Mittel eine enge Grenze gezogen. Das Märchen wird bei zu weit ausgeholter Stimmungsmalerei arm.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/271>, abgerufen am 01.01.2025.