Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Storms Märchen einer dunkelbraunen polierten Kommode spiegeln, und das machte einen selt¬ Aus unmittelbarem geistigen Schauen also wuchsen die Märchen. Ein Dazu besitzt er die feine Hand, diese Wunder, auch im Märchenreiche, zu Storms Märchendichtung nimmt einen Ehrenplatz in der Märchenliteratur Storms Märchen einer dunkelbraunen polierten Kommode spiegeln, und das machte einen selt¬ Aus unmittelbarem geistigen Schauen also wuchsen die Märchen. Ein Dazu besitzt er die feine Hand, diese Wunder, auch im Märchenreiche, zu Storms Märchendichtung nimmt einen Ehrenplatz in der Märchenliteratur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319219"/> <fw type="header" place="top"> Storms Märchen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1549" prev="#ID_1548"> einer dunkelbraunen polierten Kommode spiegeln, und das machte einen selt¬<lb/> samen Eindruck auf ihn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1550"> Aus unmittelbarem geistigen Schauen also wuchsen die Märchen. Ein<lb/> starkes inneres Gefühl trieb Storm zum Märchen, und seine ganze Natur kam<lb/> diesen: Gefühl entgegen. Wir sehen an anderer Stelle Storms Vorliebe zur<lb/> romantischen Denk- und Anschauungsweise, seine Spuk- und Gespensterfreude,<lb/> den Zusammenhang seines Innern mit den geistesfrischen Mächten des Lebens,<lb/> der Natur, der Familie, dem Kindesleben, der Tradition, die Sinnlichkeit seines<lb/> Wesens, die Unmittelbarkeit seiner Kunst, und alles dies, was Storm selbst so<lb/> schön im großen Bekenntnisse an Kuh (Brief vom 13. und 21. August 1873)<lb/> berührt, wird gemeinsam der Nährboden des Märchens. Der Dichter gehört<lb/> zu den Persönlichkeiten, die Schiller als naiv bezeichnet. Seine Märchen sind<lb/> das Werk eines Künstlers, der nicht zu tasten braucht und nicht grübeln muß<lb/> uach Situationen, um Fleisch zu seinen Gedanken zu finden, eines Mannes,<lb/> dem die Phantasie und das künstlerische Auge Führer sind und der im nüchternen<lb/> Alltagsleben nach Wunder sieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1551"> Dazu besitzt er die feine Hand, diese Wunder, auch im Märchenreiche, zu<lb/> formen. Er ist Meister seiner Motive. Das beweist der Ton, in dem seine<lb/> Märchen geschrieben find, neben den stofflichen Elementen das zweite Wesens¬<lb/> merkmal. „Ich glaube", urteilt er selbst gegen Kuh (22. Dezember 1872), „bei<lb/> diesen Märchen meine Freiheit im Stil und Vortrag bewiesen zu haben; wie<lb/> ich in der Vorrede der drei Märchen sagte, trägt der Cvprianus den vornehmeren<lb/> Ton der Sage, während Bulemann auch eine seltsame Historie genannt werden<lb/> könnte." Begeistert stimmten ihm die Freunde zu. Es gibt mehr als eine Stimme,<lb/> die seine Märchenerzählungen zu seinen hervorragendsten Schöpfungen rechnen.<lb/> Kuh antwortete ihm auf den Brief vom 22. Dezember 1872: „Die einzigen<lb/> echt poetischen Märchen, die mir von Kunstdichtern bekannt geworden, sind Tiecks<lb/> .Blonder Eckbert', .Liebeszauber', .Runenberg', Ihre.Regentrude' und der.Spiegel<lb/> des Cyprianus'. Gegen Tieck haben Sie in dieser Form eine unbefangene<lb/> Heiterkeit voraus . . . Vom Baum der Erkenntnis haben Sie wie Tieck gegessen.<lb/> Meisterhaft ist in der .Regentrude' die Hitze anschaulich gemacht und hier auf<lb/> die Negenszenerie gemalt." Man muß leuchtende Kinderaugen beim Vorlesen<lb/> des „Hawelmann" gesehen haben und ist davon überzeugt, daß Storms Märchen<lb/> wunderschön sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1552" next="#ID_1553"> Storms Märchendichtung nimmt einen Ehrenplatz in der Märchenliteratur<lb/> ein. Ihr Schöpfer kann mit Befriedigung von ihr sagen: „Ich lege einigen<lb/> Wert auf diese Märchen, da nach meiner Ansicht das Märchen als poetische<lb/> Kunstform in unserer Literatur äußerst schwach vertreten ist und überdies die<lb/> drei Sachen so recht aus dem Vollen geschrieben sind; sie entsprangen alle drei<lb/> fast zugleich in meiner Phantasie." (An Kuh 22. Dezember 1872.) Und im<lb/> nächsten Briefe (24. Februar 1873), nachdem Kuh von einer stark entwickelten<lb/> Symbolik in ihnen gesprochen hatte, schreibt er: „In puncto meiner Märchen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Storms Märchen
einer dunkelbraunen polierten Kommode spiegeln, und das machte einen selt¬
samen Eindruck auf ihn.
Aus unmittelbarem geistigen Schauen also wuchsen die Märchen. Ein
starkes inneres Gefühl trieb Storm zum Märchen, und seine ganze Natur kam
diesen: Gefühl entgegen. Wir sehen an anderer Stelle Storms Vorliebe zur
romantischen Denk- und Anschauungsweise, seine Spuk- und Gespensterfreude,
den Zusammenhang seines Innern mit den geistesfrischen Mächten des Lebens,
der Natur, der Familie, dem Kindesleben, der Tradition, die Sinnlichkeit seines
Wesens, die Unmittelbarkeit seiner Kunst, und alles dies, was Storm selbst so
schön im großen Bekenntnisse an Kuh (Brief vom 13. und 21. August 1873)
berührt, wird gemeinsam der Nährboden des Märchens. Der Dichter gehört
zu den Persönlichkeiten, die Schiller als naiv bezeichnet. Seine Märchen sind
das Werk eines Künstlers, der nicht zu tasten braucht und nicht grübeln muß
uach Situationen, um Fleisch zu seinen Gedanken zu finden, eines Mannes,
dem die Phantasie und das künstlerische Auge Führer sind und der im nüchternen
Alltagsleben nach Wunder sieht.
Dazu besitzt er die feine Hand, diese Wunder, auch im Märchenreiche, zu
formen. Er ist Meister seiner Motive. Das beweist der Ton, in dem seine
Märchen geschrieben find, neben den stofflichen Elementen das zweite Wesens¬
merkmal. „Ich glaube", urteilt er selbst gegen Kuh (22. Dezember 1872), „bei
diesen Märchen meine Freiheit im Stil und Vortrag bewiesen zu haben; wie
ich in der Vorrede der drei Märchen sagte, trägt der Cvprianus den vornehmeren
Ton der Sage, während Bulemann auch eine seltsame Historie genannt werden
könnte." Begeistert stimmten ihm die Freunde zu. Es gibt mehr als eine Stimme,
die seine Märchenerzählungen zu seinen hervorragendsten Schöpfungen rechnen.
Kuh antwortete ihm auf den Brief vom 22. Dezember 1872: „Die einzigen
echt poetischen Märchen, die mir von Kunstdichtern bekannt geworden, sind Tiecks
.Blonder Eckbert', .Liebeszauber', .Runenberg', Ihre.Regentrude' und der.Spiegel
des Cyprianus'. Gegen Tieck haben Sie in dieser Form eine unbefangene
Heiterkeit voraus . . . Vom Baum der Erkenntnis haben Sie wie Tieck gegessen.
Meisterhaft ist in der .Regentrude' die Hitze anschaulich gemacht und hier auf
die Negenszenerie gemalt." Man muß leuchtende Kinderaugen beim Vorlesen
des „Hawelmann" gesehen haben und ist davon überzeugt, daß Storms Märchen
wunderschön sind.
Storms Märchendichtung nimmt einen Ehrenplatz in der Märchenliteratur
ein. Ihr Schöpfer kann mit Befriedigung von ihr sagen: „Ich lege einigen
Wert auf diese Märchen, da nach meiner Ansicht das Märchen als poetische
Kunstform in unserer Literatur äußerst schwach vertreten ist und überdies die
drei Sachen so recht aus dem Vollen geschrieben sind; sie entsprangen alle drei
fast zugleich in meiner Phantasie." (An Kuh 22. Dezember 1872.) Und im
nächsten Briefe (24. Februar 1873), nachdem Kuh von einer stark entwickelten
Symbolik in ihnen gesprochen hatte, schreibt er: „In puncto meiner Märchen
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