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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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sie in seinen Briefen entstehen -- nicht wachsen. Sie kamen urplötzlich, so daß
er sich erst Rechenschaft geben konnte, als sie fertig für den Druck vor ihm
lagen. Schon die Schneewittchenszene tauchte in seiner Bräutigamszeit 1844
blitzartig in ihm aus. Auch "Häwelmann", von Storm selbst ein Einfall genannt,
ist aus einem Augenblicksbilde hervorgegangen. Storm: saß am Abend am
Bettchen seines Ältesten voller Vaterfreude:

(Santi. Werke, Bd. 8. S, 217.)

Aber die Augen des strampelnden Hüwelmanns wollten sich nicht schließen.
Mehr sollte der Vater erzählen, immer mehr, bis sich der Kleine plötzlich im
Meere fand, in das ihn der Vater mit seinem "Mehr, mehr!" hatte hinein¬
fahren lassen und aus den: er ihn nun herausholen mußte.

Die Stoffe der drei Hauptmärchen ("Hinzelmeier" scheiden wir aus dem
schon erwähnten Grunde aus) flogen dem Dichter 1863 zu. Zum Weihnachts¬
feste dieses Jahres, des letzten in Heiligenstadt, hatte Storm seinen Kindern
neben anderen Büchern (auch Hauffs Märchen) Hackländers Märchen gekauft,
über die er urteilte: "Sie sind freilich schludrig gearbeitet, zum Teil aus Volks¬
märchen zusammengeflickt, aber es ist Stimmung darin." In den Weihnachts¬
tagen las er den "Zauberkrug" vor. Und da mit einem Male standen sie
vor ihm, Stoffe, die er lange gesucht und die nun ungesucht bei ihm anklopften.
Und woher stammten sie? Nicht aus einem der literarischen Vorbilder. Hack¬
länders Patenschaft hat nur den Anstoß gegeben, daß sich das schwebende
Interesse Storms verdichtete. Über die "Regentrnde" weiß er nichts zu berichten,
als daß sie die Reihe einleitete und daß sie im Zusammenhange stand mit dem
"Sinn und Geist der germanischen Mythologie". Wir aber wissen, daß sie
der Ausfluß seiner Naturfreude war. Der Mann, der in so innigem Zusammen¬
hange mit Natur und Heimat stand und nicht müde ward, in ihren Stimmungs¬
zauber immer und immer wieder hinabzutauchen, der mußte die Geister und
geheimnisvollen Kräfte dieser Welt kennen und konnte ihnen näher ins Auge
schauen. "Bulemanns Haus" ging auf ein Bilderbuch mit Schiefertafelbildern
zurück, das 1851 in die Familie gekommen war. Die Blätter des Buches
machten den Eindruck von Schiefertafeln, auf die Bilder mit dem Griffel gemalt
waren. Unter den Bildern waren alte Volksreime und Kinderlieder zu lesen,
darunter der Vers: "In Bulemanns Haus, in Bulemanns Haus, da gucken
die Mäuse zum Fenster heraus." Im "Spiegel des Cyprianus" spielt bei dem
Gespräch des Oberst Hager mit dem Kuno, ehe er ihn tötet, die Volksballade
von der Gräfin von Orlamünde hinein, aus der auch der Name "Hager"
benutzt ist. Im übrigen kristallisierte sich dieses Märchen um einen Vorgang,
der zwölf Jahre zurücklag. Storm fach damals eines seiner Kinder sich in


Grenzbolsn III 1911 33
Storms IMrchcn

sie in seinen Briefen entstehen — nicht wachsen. Sie kamen urplötzlich, so daß
er sich erst Rechenschaft geben konnte, als sie fertig für den Druck vor ihm
lagen. Schon die Schneewittchenszene tauchte in seiner Bräutigamszeit 1844
blitzartig in ihm aus. Auch „Häwelmann", von Storm selbst ein Einfall genannt,
ist aus einem Augenblicksbilde hervorgegangen. Storm: saß am Abend am
Bettchen seines Ältesten voller Vaterfreude:

(Santi. Werke, Bd. 8. S, 217.)

Aber die Augen des strampelnden Hüwelmanns wollten sich nicht schließen.
Mehr sollte der Vater erzählen, immer mehr, bis sich der Kleine plötzlich im
Meere fand, in das ihn der Vater mit seinem „Mehr, mehr!" hatte hinein¬
fahren lassen und aus den: er ihn nun herausholen mußte.

Die Stoffe der drei Hauptmärchen („Hinzelmeier" scheiden wir aus dem
schon erwähnten Grunde aus) flogen dem Dichter 1863 zu. Zum Weihnachts¬
feste dieses Jahres, des letzten in Heiligenstadt, hatte Storm seinen Kindern
neben anderen Büchern (auch Hauffs Märchen) Hackländers Märchen gekauft,
über die er urteilte: „Sie sind freilich schludrig gearbeitet, zum Teil aus Volks¬
märchen zusammengeflickt, aber es ist Stimmung darin." In den Weihnachts¬
tagen las er den „Zauberkrug" vor. Und da mit einem Male standen sie
vor ihm, Stoffe, die er lange gesucht und die nun ungesucht bei ihm anklopften.
Und woher stammten sie? Nicht aus einem der literarischen Vorbilder. Hack¬
länders Patenschaft hat nur den Anstoß gegeben, daß sich das schwebende
Interesse Storms verdichtete. Über die „Regentrnde" weiß er nichts zu berichten,
als daß sie die Reihe einleitete und daß sie im Zusammenhange stand mit dem
„Sinn und Geist der germanischen Mythologie". Wir aber wissen, daß sie
der Ausfluß seiner Naturfreude war. Der Mann, der in so innigem Zusammen¬
hange mit Natur und Heimat stand und nicht müde ward, in ihren Stimmungs¬
zauber immer und immer wieder hinabzutauchen, der mußte die Geister und
geheimnisvollen Kräfte dieser Welt kennen und konnte ihnen näher ins Auge
schauen. „Bulemanns Haus" ging auf ein Bilderbuch mit Schiefertafelbildern
zurück, das 1851 in die Familie gekommen war. Die Blätter des Buches
machten den Eindruck von Schiefertafeln, auf die Bilder mit dem Griffel gemalt
waren. Unter den Bildern waren alte Volksreime und Kinderlieder zu lesen,
darunter der Vers: „In Bulemanns Haus, in Bulemanns Haus, da gucken
die Mäuse zum Fenster heraus." Im „Spiegel des Cyprianus" spielt bei dem
Gespräch des Oberst Hager mit dem Kuno, ehe er ihn tötet, die Volksballade
von der Gräfin von Orlamünde hinein, aus der auch der Name „Hager"
benutzt ist. Im übrigen kristallisierte sich dieses Märchen um einen Vorgang,
der zwölf Jahre zurücklag. Storm fach damals eines seiner Kinder sich in


Grenzbolsn III 1911 33
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[0269] Storms IMrchcn sie in seinen Briefen entstehen — nicht wachsen. Sie kamen urplötzlich, so daß er sich erst Rechenschaft geben konnte, als sie fertig für den Druck vor ihm lagen. Schon die Schneewittchenszene tauchte in seiner Bräutigamszeit 1844 blitzartig in ihm aus. Auch „Häwelmann", von Storm selbst ein Einfall genannt, ist aus einem Augenblicksbilde hervorgegangen. Storm: saß am Abend am Bettchen seines Ältesten voller Vaterfreude: (Santi. Werke, Bd. 8. S, 217.) Aber die Augen des strampelnden Hüwelmanns wollten sich nicht schließen. Mehr sollte der Vater erzählen, immer mehr, bis sich der Kleine plötzlich im Meere fand, in das ihn der Vater mit seinem „Mehr, mehr!" hatte hinein¬ fahren lassen und aus den: er ihn nun herausholen mußte. Die Stoffe der drei Hauptmärchen („Hinzelmeier" scheiden wir aus dem schon erwähnten Grunde aus) flogen dem Dichter 1863 zu. Zum Weihnachts¬ feste dieses Jahres, des letzten in Heiligenstadt, hatte Storm seinen Kindern neben anderen Büchern (auch Hauffs Märchen) Hackländers Märchen gekauft, über die er urteilte: „Sie sind freilich schludrig gearbeitet, zum Teil aus Volks¬ märchen zusammengeflickt, aber es ist Stimmung darin." In den Weihnachts¬ tagen las er den „Zauberkrug" vor. Und da mit einem Male standen sie vor ihm, Stoffe, die er lange gesucht und die nun ungesucht bei ihm anklopften. Und woher stammten sie? Nicht aus einem der literarischen Vorbilder. Hack¬ länders Patenschaft hat nur den Anstoß gegeben, daß sich das schwebende Interesse Storms verdichtete. Über die „Regentrnde" weiß er nichts zu berichten, als daß sie die Reihe einleitete und daß sie im Zusammenhange stand mit dem „Sinn und Geist der germanischen Mythologie". Wir aber wissen, daß sie der Ausfluß seiner Naturfreude war. Der Mann, der in so innigem Zusammen¬ hange mit Natur und Heimat stand und nicht müde ward, in ihren Stimmungs¬ zauber immer und immer wieder hinabzutauchen, der mußte die Geister und geheimnisvollen Kräfte dieser Welt kennen und konnte ihnen näher ins Auge schauen. „Bulemanns Haus" ging auf ein Bilderbuch mit Schiefertafelbildern zurück, das 1851 in die Familie gekommen war. Die Blätter des Buches machten den Eindruck von Schiefertafeln, auf die Bilder mit dem Griffel gemalt waren. Unter den Bildern waren alte Volksreime und Kinderlieder zu lesen, darunter der Vers: „In Bulemanns Haus, in Bulemanns Haus, da gucken die Mäuse zum Fenster heraus." Im „Spiegel des Cyprianus" spielt bei dem Gespräch des Oberst Hager mit dem Kuno, ehe er ihn tötet, die Volksballade von der Gräfin von Orlamünde hinein, aus der auch der Name „Hager" benutzt ist. Im übrigen kristallisierte sich dieses Märchen um einen Vorgang, der zwölf Jahre zurücklag. Storm fach damals eines seiner Kinder sich in Grenzbolsn III 1911 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/269>, abgerufen am 04.01.2025.