Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Staat und Handel

haben wir doch wohl Proviantämter, die solche Bestände halten, daß wir nicht
verhungern; drittens aber haben wir mit enormen Geldopfern und ohne zu
vieles Murren uns eine Flotte geschaffen, die stark genug ist, uns sür die
Dauer eines modernen Krieges unsere Getreidezufuhren sicher zu stellen. --
Die Staatsleiter müßten aber alle Hilfsmittel der Gesetzgebung aufwenden, um
den billigen Überfluß anderer Ländereien in ihren Staat zu leiten -- und zwar
mit den allergeringsten Kosten, mit den weitaus größten Freiheiten des Handels¬
standes, der das zu seinem Gewerbe gemacht hat, damit das Volk trotz des
geringen Ertrages seines eigenen Landes doch so billig Brot und Nahrung
bekommt, als es irgend zu beschaffen möglich ist. Eines solchen Staates eigene
Ländereien, auf denen der Getreidebau nicht mehr lohnt, können zu Viehzucht
umgewandelt werden, zu Hühner- und Geflügelzucht, zu Gemüse- und Obst¬
gärten, zu Forsten und allem möglichen als Ersatz, oder zur Industrie, um
Waren zu schaffen, die man als Austausch den Kornkammern der Erde geben
kann. Hilft das nicht, nun dann zerschlage der Staat ruhig die großen
Ländereien, die der Allgemeinheit doch nur von verhältnismäßig geringem
Nutzen sein dürften, und teile sie auf in kleine Bauerngehöfte, auf denen
wenigstens ein paar tausend seines Volkes untergebracht sind und sich ihre
Kartoffeln und ihren Kohl bauen können, damit diese wenigstens satt werden
und Nahrung haben und Menschen zeugen können. Der deutsche Staat hat
das teilweise getan, und dabei tritt der große Kulturwert der sogenannten
Ostmarkenpolitik, soweit sie sich auf die Güterzerlegung beschränkt, hervor. Durch
diese Kolonisationsarbeit hat der preußische Staat auch bewiesen, daß er nicht
so "rückständig" ist, wie er verschrien wird. Denn ein Stück Land, in kleine
Ansiedlungen aufgeteilt, gleicht einem Stück Land, das aufgeforstet ist. Dicht
bei dicht stehen die Stämme. Kommt einmal ein Eroberer (einer von außen
oder auch einer von innen), so hat er kein leichtes Spiel, denn er muß jeden
Baum einzeln ausroden. Die Wurzeln der Bäume haften in dem Boden, und
zwar sehr tief, und sie erstarken dadurch auch den Boden.

Die Zollschranken für Getreide sind auf einer gewissen vorgeschrittenen
Entwicklungsstufe des Volkes und bei einer gewissen Höhe des Zolles das böseste
Hindernis zum irdischen Glück eines Volkes, das die Staatskunst der Menschen
erfunden hat. Sie sind künstlich, denn auf der Erde gibt es keine natürlichen
Einengungen, Grenzen und Schranken. Hätte es solche von der Natur aus
gegeben, so hätte niemals der Handel entstehen können, niemals ein Handelsstand
aufblühen können. Aus der freien Bewegungsmöglichkeit ist der Handel ent¬
standen. Jetzt ihn, der so frei in Freiheit entstanden, einengen, hindern, hemmen,
nicht wachsen lassen wollen heißt ihm nicht nur die Lebenskraft nehmen, sondern
ihn: überhaupt seine Existenzmöglichkeit entziehen. Natürlich gilt dieser Satz
vor allem in: engen Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl und den Vater--
lands- oder Staatsgedanken. Denn was ein Staat ohne Handelsstand wäre,,
wird vielleicht einleuchtender erscheinen, wenn man sich in die Anfänge


Staat und Handel

haben wir doch wohl Proviantämter, die solche Bestände halten, daß wir nicht
verhungern; drittens aber haben wir mit enormen Geldopfern und ohne zu
vieles Murren uns eine Flotte geschaffen, die stark genug ist, uns sür die
Dauer eines modernen Krieges unsere Getreidezufuhren sicher zu stellen. —
Die Staatsleiter müßten aber alle Hilfsmittel der Gesetzgebung aufwenden, um
den billigen Überfluß anderer Ländereien in ihren Staat zu leiten — und zwar
mit den allergeringsten Kosten, mit den weitaus größten Freiheiten des Handels¬
standes, der das zu seinem Gewerbe gemacht hat, damit das Volk trotz des
geringen Ertrages seines eigenen Landes doch so billig Brot und Nahrung
bekommt, als es irgend zu beschaffen möglich ist. Eines solchen Staates eigene
Ländereien, auf denen der Getreidebau nicht mehr lohnt, können zu Viehzucht
umgewandelt werden, zu Hühner- und Geflügelzucht, zu Gemüse- und Obst¬
gärten, zu Forsten und allem möglichen als Ersatz, oder zur Industrie, um
Waren zu schaffen, die man als Austausch den Kornkammern der Erde geben
kann. Hilft das nicht, nun dann zerschlage der Staat ruhig die großen
Ländereien, die der Allgemeinheit doch nur von verhältnismäßig geringem
Nutzen sein dürften, und teile sie auf in kleine Bauerngehöfte, auf denen
wenigstens ein paar tausend seines Volkes untergebracht sind und sich ihre
Kartoffeln und ihren Kohl bauen können, damit diese wenigstens satt werden
und Nahrung haben und Menschen zeugen können. Der deutsche Staat hat
das teilweise getan, und dabei tritt der große Kulturwert der sogenannten
Ostmarkenpolitik, soweit sie sich auf die Güterzerlegung beschränkt, hervor. Durch
diese Kolonisationsarbeit hat der preußische Staat auch bewiesen, daß er nicht
so „rückständig" ist, wie er verschrien wird. Denn ein Stück Land, in kleine
Ansiedlungen aufgeteilt, gleicht einem Stück Land, das aufgeforstet ist. Dicht
bei dicht stehen die Stämme. Kommt einmal ein Eroberer (einer von außen
oder auch einer von innen), so hat er kein leichtes Spiel, denn er muß jeden
Baum einzeln ausroden. Die Wurzeln der Bäume haften in dem Boden, und
zwar sehr tief, und sie erstarken dadurch auch den Boden.

Die Zollschranken für Getreide sind auf einer gewissen vorgeschrittenen
Entwicklungsstufe des Volkes und bei einer gewissen Höhe des Zolles das böseste
Hindernis zum irdischen Glück eines Volkes, das die Staatskunst der Menschen
erfunden hat. Sie sind künstlich, denn auf der Erde gibt es keine natürlichen
Einengungen, Grenzen und Schranken. Hätte es solche von der Natur aus
gegeben, so hätte niemals der Handel entstehen können, niemals ein Handelsstand
aufblühen können. Aus der freien Bewegungsmöglichkeit ist der Handel ent¬
standen. Jetzt ihn, der so frei in Freiheit entstanden, einengen, hindern, hemmen,
nicht wachsen lassen wollen heißt ihm nicht nur die Lebenskraft nehmen, sondern
ihn: überhaupt seine Existenzmöglichkeit entziehen. Natürlich gilt dieser Satz
vor allem in: engen Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl und den Vater--
lands- oder Staatsgedanken. Denn was ein Staat ohne Handelsstand wäre,,
wird vielleicht einleuchtender erscheinen, wenn man sich in die Anfänge


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319208"/>
          <fw type="header" place="top"> Staat und Handel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1512" prev="#ID_1511"> haben wir doch wohl Proviantämter, die solche Bestände halten, daß wir nicht<lb/>
verhungern; drittens aber haben wir mit enormen Geldopfern und ohne zu<lb/>
vieles Murren uns eine Flotte geschaffen, die stark genug ist, uns sür die<lb/>
Dauer eines modernen Krieges unsere Getreidezufuhren sicher zu stellen. &#x2014;<lb/>
Die Staatsleiter müßten aber alle Hilfsmittel der Gesetzgebung aufwenden, um<lb/>
den billigen Überfluß anderer Ländereien in ihren Staat zu leiten &#x2014; und zwar<lb/>
mit den allergeringsten Kosten, mit den weitaus größten Freiheiten des Handels¬<lb/>
standes, der das zu seinem Gewerbe gemacht hat, damit das Volk trotz des<lb/>
geringen Ertrages seines eigenen Landes doch so billig Brot und Nahrung<lb/>
bekommt, als es irgend zu beschaffen möglich ist. Eines solchen Staates eigene<lb/>
Ländereien, auf denen der Getreidebau nicht mehr lohnt, können zu Viehzucht<lb/>
umgewandelt werden, zu Hühner- und Geflügelzucht, zu Gemüse- und Obst¬<lb/>
gärten, zu Forsten und allem möglichen als Ersatz, oder zur Industrie, um<lb/>
Waren zu schaffen, die man als Austausch den Kornkammern der Erde geben<lb/>
kann. Hilft das nicht, nun dann zerschlage der Staat ruhig die großen<lb/>
Ländereien, die der Allgemeinheit doch nur von verhältnismäßig geringem<lb/>
Nutzen sein dürften, und teile sie auf in kleine Bauerngehöfte, auf denen<lb/>
wenigstens ein paar tausend seines Volkes untergebracht sind und sich ihre<lb/>
Kartoffeln und ihren Kohl bauen können, damit diese wenigstens satt werden<lb/>
und Nahrung haben und Menschen zeugen können. Der deutsche Staat hat<lb/>
das teilweise getan, und dabei tritt der große Kulturwert der sogenannten<lb/>
Ostmarkenpolitik, soweit sie sich auf die Güterzerlegung beschränkt, hervor. Durch<lb/>
diese Kolonisationsarbeit hat der preußische Staat auch bewiesen, daß er nicht<lb/>
so &#x201E;rückständig" ist, wie er verschrien wird. Denn ein Stück Land, in kleine<lb/>
Ansiedlungen aufgeteilt, gleicht einem Stück Land, das aufgeforstet ist. Dicht<lb/>
bei dicht stehen die Stämme. Kommt einmal ein Eroberer (einer von außen<lb/>
oder auch einer von innen), so hat er kein leichtes Spiel, denn er muß jeden<lb/>
Baum einzeln ausroden. Die Wurzeln der Bäume haften in dem Boden, und<lb/>
zwar sehr tief, und sie erstarken dadurch auch den Boden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1513" next="#ID_1514"> Die Zollschranken für Getreide sind auf einer gewissen vorgeschrittenen<lb/>
Entwicklungsstufe des Volkes und bei einer gewissen Höhe des Zolles das böseste<lb/>
Hindernis zum irdischen Glück eines Volkes, das die Staatskunst der Menschen<lb/>
erfunden hat. Sie sind künstlich, denn auf der Erde gibt es keine natürlichen<lb/>
Einengungen, Grenzen und Schranken. Hätte es solche von der Natur aus<lb/>
gegeben, so hätte niemals der Handel entstehen können, niemals ein Handelsstand<lb/>
aufblühen können. Aus der freien Bewegungsmöglichkeit ist der Handel ent¬<lb/>
standen. Jetzt ihn, der so frei in Freiheit entstanden, einengen, hindern, hemmen,<lb/>
nicht wachsen lassen wollen heißt ihm nicht nur die Lebenskraft nehmen, sondern<lb/>
ihn: überhaupt seine Existenzmöglichkeit entziehen. Natürlich gilt dieser Satz<lb/>
vor allem in: engen Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl und den Vater--<lb/>
lands- oder Staatsgedanken. Denn was ein Staat ohne Handelsstand wäre,,<lb/>
wird vielleicht einleuchtender erscheinen, wenn man sich in die Anfänge</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Staat und Handel haben wir doch wohl Proviantämter, die solche Bestände halten, daß wir nicht verhungern; drittens aber haben wir mit enormen Geldopfern und ohne zu vieles Murren uns eine Flotte geschaffen, die stark genug ist, uns sür die Dauer eines modernen Krieges unsere Getreidezufuhren sicher zu stellen. — Die Staatsleiter müßten aber alle Hilfsmittel der Gesetzgebung aufwenden, um den billigen Überfluß anderer Ländereien in ihren Staat zu leiten — und zwar mit den allergeringsten Kosten, mit den weitaus größten Freiheiten des Handels¬ standes, der das zu seinem Gewerbe gemacht hat, damit das Volk trotz des geringen Ertrages seines eigenen Landes doch so billig Brot und Nahrung bekommt, als es irgend zu beschaffen möglich ist. Eines solchen Staates eigene Ländereien, auf denen der Getreidebau nicht mehr lohnt, können zu Viehzucht umgewandelt werden, zu Hühner- und Geflügelzucht, zu Gemüse- und Obst¬ gärten, zu Forsten und allem möglichen als Ersatz, oder zur Industrie, um Waren zu schaffen, die man als Austausch den Kornkammern der Erde geben kann. Hilft das nicht, nun dann zerschlage der Staat ruhig die großen Ländereien, die der Allgemeinheit doch nur von verhältnismäßig geringem Nutzen sein dürften, und teile sie auf in kleine Bauerngehöfte, auf denen wenigstens ein paar tausend seines Volkes untergebracht sind und sich ihre Kartoffeln und ihren Kohl bauen können, damit diese wenigstens satt werden und Nahrung haben und Menschen zeugen können. Der deutsche Staat hat das teilweise getan, und dabei tritt der große Kulturwert der sogenannten Ostmarkenpolitik, soweit sie sich auf die Güterzerlegung beschränkt, hervor. Durch diese Kolonisationsarbeit hat der preußische Staat auch bewiesen, daß er nicht so „rückständig" ist, wie er verschrien wird. Denn ein Stück Land, in kleine Ansiedlungen aufgeteilt, gleicht einem Stück Land, das aufgeforstet ist. Dicht bei dicht stehen die Stämme. Kommt einmal ein Eroberer (einer von außen oder auch einer von innen), so hat er kein leichtes Spiel, denn er muß jeden Baum einzeln ausroden. Die Wurzeln der Bäume haften in dem Boden, und zwar sehr tief, und sie erstarken dadurch auch den Boden. Die Zollschranken für Getreide sind auf einer gewissen vorgeschrittenen Entwicklungsstufe des Volkes und bei einer gewissen Höhe des Zolles das böseste Hindernis zum irdischen Glück eines Volkes, das die Staatskunst der Menschen erfunden hat. Sie sind künstlich, denn auf der Erde gibt es keine natürlichen Einengungen, Grenzen und Schranken. Hätte es solche von der Natur aus gegeben, so hätte niemals der Handel entstehen können, niemals ein Handelsstand aufblühen können. Aus der freien Bewegungsmöglichkeit ist der Handel ent¬ standen. Jetzt ihn, der so frei in Freiheit entstanden, einengen, hindern, hemmen, nicht wachsen lassen wollen heißt ihm nicht nur die Lebenskraft nehmen, sondern ihn: überhaupt seine Existenzmöglichkeit entziehen. Natürlich gilt dieser Satz vor allem in: engen Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl und den Vater-- lands- oder Staatsgedanken. Denn was ein Staat ohne Handelsstand wäre,, wird vielleicht einleuchtender erscheinen, wenn man sich in die Anfänge

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/259>, abgerufen am 04.01.2025.