Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Staat und Handel Staat ist, in Ordnung und gedeihlicher Förderung halten kann, wenn sie alle Das sind Grundsteine, auf denen ein Staatswesen sich aufbauen kann. Weshalb hat ein Staat wie z. B. der deutsche Schutzzölle auf Feldfrüchte Staat und Handel Staat ist, in Ordnung und gedeihlicher Förderung halten kann, wenn sie alle Das sind Grundsteine, auf denen ein Staatswesen sich aufbauen kann. Weshalb hat ein Staat wie z. B. der deutsche Schutzzölle auf Feldfrüchte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319206"/> <fw type="header" place="top"> Staat und Handel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1506" prev="#ID_1505"> Staat ist, in Ordnung und gedeihlicher Förderung halten kann, wenn sie alle<lb/> freimütig und einsichtsvoll genug siud, zu erkennen, daß sie zum Besten des<lb/> ihren Gedanken anvertrauten Gesamtvolkes handeln sollen. Wenn sie nicht<lb/> einen Stand vor dem anderen begünstigen, wenn sie nicht Interessenpolitik treiben,<lb/> wenn sie nicht hinter der Larve der Volksbeglückung sür eine Partei oder eine<lb/> Religion arbeiten, wenn sie durchdrungen sind von den Grundprinzipien der<lb/> Aufgaben des Staates, ihrem Volke zu schaffen: Nahrung, Freiheit, Arbeit!</p><lb/> <p xml:id="ID_1507"> Das sind Grundsteine, auf denen ein Staatswesen sich aufbauen kann.<lb/> Hilfe bei Durchführung dieser drei Grundprinzipien soll jeden: Staate sein Handel<lb/> leisten, denn der Handel schafft Nahrung herbei, wo solche fehlt, schafft Arbeit,<lb/> denn er arbeitet selbst intensiv, schafft Freiheit, denn er ist selbst frei. Buckle<lb/> aber sagt aus seiner historischen Erfahrung heraus, daß die Handelsgesetzgebung<lb/> alle möglichen Anstrengungen gemacht hat, den Aufschwung des Handels zu<lb/> hemmen. — Weshalb setzt sich denn der Staat in Widerspruch zum Gedeihen seines<lb/> Handels? Behandelt man denn den Handel wirklich so schlecht? Verdient er<lb/> eine solche Behandlung?</p><lb/> <p xml:id="ID_1508" next="#ID_1509"> Weshalb hat ein Staat wie z. B. der deutsche Schutzzölle auf Feldfrüchte<lb/> nötig? und weshalb mußte er sie auf ein so hohes Maß für Getreide (Roggen<lb/> 50 Mark, Weizen 55 Mark, Hafer 50 Mark pro 1000 Kilo) hinaussetzen, daß<lb/> diese Zölle durchschnittlich ein Drittel des Wertes des Getreides ausmachen?<lb/> Zu wessen Schutze sind denn diese Schutzzölle? Dem Volke oder den Feld¬<lb/> früchten zuliebe, die zufällig auf dem Stück Erde wachsen, das von schwarz-<lb/> weißroten Grenzpfählen gegenwärtig umschlossen ist? Das Volk an sich braucht<lb/> keine Schutzzölle, oder es kann solche als eine allgemeine Abgabe erheben,<lb/> gleichsam als Bausteine, um sich den Staat zu bauen. Dann müßten auch<lb/> alle darunter gleichmäßig leiden, gleichmäßig dazu beitragen. Das Volk an<lb/> sich ist glücklich, sobald es satt ist; es ist satt, sobald es Brot so billig bekommt,<lb/> daß es sich auch das Brot wirklich kaufen kann. Deshalb muß es das Bestreben<lb/> eines Staates sein, seinen Menschen Brot so billig zu geben, wie es irgend<lb/> möglich ist, damit die Menschen, die den Staat bilden, Nahrung haben. Hat<lb/> ein Staat durch einen bei sich zum Gesetz gemachten und durchgeführten Schutzzoll<lb/> auch scheinbar einen gewissen Segen gebracht, so wird im Laufe der Zeiten<lb/> auch diese Vernunft Unsinn, auch diese Wohltat Plage. Denn die Notwendig¬<lb/> keit des Schutzzolls muß aufhören, überflüssig werden, muß sich sogar als schädlich<lb/> herausstellen, sobald das Ziel eines vernünftig erhobenen Schutzzolls, nämlich<lb/> die Festigung des Staatskörpers, erreicht ist. Wird er dann nicht abgeschafft,<lb/> so verkehrt er sich in das Gegenteil und fängt an, dem Volke das Leben zu<lb/> erschweren. Die Verteuerung durch Schutzzölle ist künstlich. Durch eine künst¬<lb/> liche Verteuerung des Brotes aber entwertet der Staat nur sein Geld. Denn<lb/> wenn man in Nußland den Roggen für 100 Mark pro 1000 Kilo kaufen<lb/> kaun, in Deutschland aber für dasselbe Quantum 100 Mark plus Zoll vou<lb/> 50 Mark also 150 Mark bezahlen muß, so ist das doch eine Entwertung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0257]
Staat und Handel
Staat ist, in Ordnung und gedeihlicher Förderung halten kann, wenn sie alle
freimütig und einsichtsvoll genug siud, zu erkennen, daß sie zum Besten des
ihren Gedanken anvertrauten Gesamtvolkes handeln sollen. Wenn sie nicht
einen Stand vor dem anderen begünstigen, wenn sie nicht Interessenpolitik treiben,
wenn sie nicht hinter der Larve der Volksbeglückung sür eine Partei oder eine
Religion arbeiten, wenn sie durchdrungen sind von den Grundprinzipien der
Aufgaben des Staates, ihrem Volke zu schaffen: Nahrung, Freiheit, Arbeit!
Das sind Grundsteine, auf denen ein Staatswesen sich aufbauen kann.
Hilfe bei Durchführung dieser drei Grundprinzipien soll jeden: Staate sein Handel
leisten, denn der Handel schafft Nahrung herbei, wo solche fehlt, schafft Arbeit,
denn er arbeitet selbst intensiv, schafft Freiheit, denn er ist selbst frei. Buckle
aber sagt aus seiner historischen Erfahrung heraus, daß die Handelsgesetzgebung
alle möglichen Anstrengungen gemacht hat, den Aufschwung des Handels zu
hemmen. — Weshalb setzt sich denn der Staat in Widerspruch zum Gedeihen seines
Handels? Behandelt man denn den Handel wirklich so schlecht? Verdient er
eine solche Behandlung?
Weshalb hat ein Staat wie z. B. der deutsche Schutzzölle auf Feldfrüchte
nötig? und weshalb mußte er sie auf ein so hohes Maß für Getreide (Roggen
50 Mark, Weizen 55 Mark, Hafer 50 Mark pro 1000 Kilo) hinaussetzen, daß
diese Zölle durchschnittlich ein Drittel des Wertes des Getreides ausmachen?
Zu wessen Schutze sind denn diese Schutzzölle? Dem Volke oder den Feld¬
früchten zuliebe, die zufällig auf dem Stück Erde wachsen, das von schwarz-
weißroten Grenzpfählen gegenwärtig umschlossen ist? Das Volk an sich braucht
keine Schutzzölle, oder es kann solche als eine allgemeine Abgabe erheben,
gleichsam als Bausteine, um sich den Staat zu bauen. Dann müßten auch
alle darunter gleichmäßig leiden, gleichmäßig dazu beitragen. Das Volk an
sich ist glücklich, sobald es satt ist; es ist satt, sobald es Brot so billig bekommt,
daß es sich auch das Brot wirklich kaufen kann. Deshalb muß es das Bestreben
eines Staates sein, seinen Menschen Brot so billig zu geben, wie es irgend
möglich ist, damit die Menschen, die den Staat bilden, Nahrung haben. Hat
ein Staat durch einen bei sich zum Gesetz gemachten und durchgeführten Schutzzoll
auch scheinbar einen gewissen Segen gebracht, so wird im Laufe der Zeiten
auch diese Vernunft Unsinn, auch diese Wohltat Plage. Denn die Notwendig¬
keit des Schutzzolls muß aufhören, überflüssig werden, muß sich sogar als schädlich
herausstellen, sobald das Ziel eines vernünftig erhobenen Schutzzolls, nämlich
die Festigung des Staatskörpers, erreicht ist. Wird er dann nicht abgeschafft,
so verkehrt er sich in das Gegenteil und fängt an, dem Volke das Leben zu
erschweren. Die Verteuerung durch Schutzzölle ist künstlich. Durch eine künst¬
liche Verteuerung des Brotes aber entwertet der Staat nur sein Geld. Denn
wenn man in Nußland den Roggen für 100 Mark pro 1000 Kilo kaufen
kaun, in Deutschland aber für dasselbe Quantum 100 Mark plus Zoll vou
50 Mark also 150 Mark bezahlen muß, so ist das doch eine Entwertung
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