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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Dasein draußen und dem zu Haus übermannt und alles Erlebte in ein besonderes
Licht taucht. Diese Verse aus der Jugendzeit sind mehr als aneinander gereihte
Verse, sie sind ein wirkliches Buch, in dem man lesen kann, ein Lebensbuch voller
Kraft und Schönheit, ein Buch, in dem noch das Schwächere innerhalb seines
Rahmens am Platze stehen bleiben darf, weil sein Schöpfer bedeutend genug ist,
uns auch das zumuten zu dürfen.

Tielo liebt es, sich breit auszugeben und erreicht damit starke Wirkungen,
auch von balladenhafter Art; recht als Gegensatz zu ihm versucht es ein anderes
Talent, auf das mit Nachdruck hingewiesen werden muß, Ernst Lissauer, sich zur
allerknappsten Form, zum allersparsamsten Ausdruck seiner künstlerischen Ein¬
drücke zu erziehen. Bei Tielo fällt es auf, wenn das Gedicht "Die Geige" alles
in zwei kurzen Strophen zusammenfaßt:

Du bist mir eine Geige,
Die mir tels Glück gesandt;
Ich spiele oder schweige,
Du ruhst in meiner Hand.
Und deine Saiten beben
Beim feinsten Striche schon:
So gibst du meinem Leben
Die Tiefe und den Ton.

Ernst Lissauer aber felle immer wieder seine Gedichte zu einer Rundung,
innerhalb deren nun zusammengepreßte Bildkraft unabänderlich leben bleibt. So
dichtet er im wörtlichsten Sinn seinen Jubel:

Als ob noch tausendfacher Segen schliefe,
So fühl' ich reich das Bergwerk meiner Kraft.
Ich löse, was zu Licht will, aus der Haft.
Ich bin der Bergmann meiner eignen Tiefe.

Oder er schreibt diese, manchen zunächst befremdenden Verse auf das Brot:

Und er sieht sich selbst in der Arbeit:

Alle diese Verse entstammen dem schmalen Buch "Der Acker" (Jena, Eugen
Diederichs), das freilich verlangt, im Ganzen genossen zu werden, und das dann in
einer starken Steigerung die Fähigkeit zeigt, Eindrücke des äußeren und des inneren
Lebens zu einer merkwürdig geschlossenen Einheit zusammenzuzwingen. Es handelt
sich hier nicht um irgend etwas Artistisches, nicht um ein Suchen nach Apartheit,
sondern um eine durchaus dem Boden nahe Persönlichkeit, die unbekümmert den
ihr gemäßen scharfen Ausdruck sucht und fast immer findet. Es sind vielfach nicht


Neue Lyrik

Dasein draußen und dem zu Haus übermannt und alles Erlebte in ein besonderes
Licht taucht. Diese Verse aus der Jugendzeit sind mehr als aneinander gereihte
Verse, sie sind ein wirkliches Buch, in dem man lesen kann, ein Lebensbuch voller
Kraft und Schönheit, ein Buch, in dem noch das Schwächere innerhalb seines
Rahmens am Platze stehen bleiben darf, weil sein Schöpfer bedeutend genug ist,
uns auch das zumuten zu dürfen.

Tielo liebt es, sich breit auszugeben und erreicht damit starke Wirkungen,
auch von balladenhafter Art; recht als Gegensatz zu ihm versucht es ein anderes
Talent, auf das mit Nachdruck hingewiesen werden muß, Ernst Lissauer, sich zur
allerknappsten Form, zum allersparsamsten Ausdruck seiner künstlerischen Ein¬
drücke zu erziehen. Bei Tielo fällt es auf, wenn das Gedicht „Die Geige" alles
in zwei kurzen Strophen zusammenfaßt:

Du bist mir eine Geige,
Die mir tels Glück gesandt;
Ich spiele oder schweige,
Du ruhst in meiner Hand.
Und deine Saiten beben
Beim feinsten Striche schon:
So gibst du meinem Leben
Die Tiefe und den Ton.

Ernst Lissauer aber felle immer wieder seine Gedichte zu einer Rundung,
innerhalb deren nun zusammengepreßte Bildkraft unabänderlich leben bleibt. So
dichtet er im wörtlichsten Sinn seinen Jubel:

Als ob noch tausendfacher Segen schliefe,
So fühl' ich reich das Bergwerk meiner Kraft.
Ich löse, was zu Licht will, aus der Haft.
Ich bin der Bergmann meiner eignen Tiefe.

Oder er schreibt diese, manchen zunächst befremdenden Verse auf das Brot:

Und er sieht sich selbst in der Arbeit:

Alle diese Verse entstammen dem schmalen Buch „Der Acker" (Jena, Eugen
Diederichs), das freilich verlangt, im Ganzen genossen zu werden, und das dann in
einer starken Steigerung die Fähigkeit zeigt, Eindrücke des äußeren und des inneren
Lebens zu einer merkwürdig geschlossenen Einheit zusammenzuzwingen. Es handelt
sich hier nicht um irgend etwas Artistisches, nicht um ein Suchen nach Apartheit,
sondern um eine durchaus dem Boden nahe Persönlichkeit, die unbekümmert den
ihr gemäßen scharfen Ausdruck sucht und fast immer findet. Es sind vielfach nicht


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[0236] Neue Lyrik Dasein draußen und dem zu Haus übermannt und alles Erlebte in ein besonderes Licht taucht. Diese Verse aus der Jugendzeit sind mehr als aneinander gereihte Verse, sie sind ein wirkliches Buch, in dem man lesen kann, ein Lebensbuch voller Kraft und Schönheit, ein Buch, in dem noch das Schwächere innerhalb seines Rahmens am Platze stehen bleiben darf, weil sein Schöpfer bedeutend genug ist, uns auch das zumuten zu dürfen. Tielo liebt es, sich breit auszugeben und erreicht damit starke Wirkungen, auch von balladenhafter Art; recht als Gegensatz zu ihm versucht es ein anderes Talent, auf das mit Nachdruck hingewiesen werden muß, Ernst Lissauer, sich zur allerknappsten Form, zum allersparsamsten Ausdruck seiner künstlerischen Ein¬ drücke zu erziehen. Bei Tielo fällt es auf, wenn das Gedicht „Die Geige" alles in zwei kurzen Strophen zusammenfaßt: Du bist mir eine Geige, Die mir tels Glück gesandt; Ich spiele oder schweige, Du ruhst in meiner Hand. Und deine Saiten beben Beim feinsten Striche schon: So gibst du meinem Leben Die Tiefe und den Ton. Ernst Lissauer aber felle immer wieder seine Gedichte zu einer Rundung, innerhalb deren nun zusammengepreßte Bildkraft unabänderlich leben bleibt. So dichtet er im wörtlichsten Sinn seinen Jubel: Als ob noch tausendfacher Segen schliefe, So fühl' ich reich das Bergwerk meiner Kraft. Ich löse, was zu Licht will, aus der Haft. Ich bin der Bergmann meiner eignen Tiefe. Oder er schreibt diese, manchen zunächst befremdenden Verse auf das Brot: Und er sieht sich selbst in der Arbeit: Alle diese Verse entstammen dem schmalen Buch „Der Acker" (Jena, Eugen Diederichs), das freilich verlangt, im Ganzen genossen zu werden, und das dann in einer starken Steigerung die Fähigkeit zeigt, Eindrücke des äußeren und des inneren Lebens zu einer merkwürdig geschlossenen Einheit zusammenzuzwingen. Es handelt sich hier nicht um irgend etwas Artistisches, nicht um ein Suchen nach Apartheit, sondern um eine durchaus dem Boden nahe Persönlichkeit, die unbekümmert den ihr gemäßen scharfen Ausdruck sucht und fast immer findet. Es sind vielfach nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/236>, abgerufen am 01.01.2025.