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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und die Lmidgräsin llciroline von Hessen

Töchtern nach Rußland einzuladen. Ein neuer Bericht Asseburgs, geschrieben
nach seiner Zusammenkunft mit dem Kriegsrat Diestel, wird in seinen Denk¬
würdigkeiten nicht erwähnt, und wenn er ja auch in der Zwischenzeit ganz gut
nach Petersburg geschrieben haben könnte, so ist es doch sast unmöglich, daß
darauf so umgehend der Bescheid und der Entschluß erfolgte. Seine letzten
Berichte, noch vor dem Eingreifen König Friedrichs abgefaßt, berücksichtigen noch
beide Prinzessinnen gleichmüßig. Was den Ausschlag zugunsten der Darm¬
städterin gegeben hat, mag die Erwägung gewesen sein, daß Dorothea von
Württemberg trotz ihrer großen Vorzüge, trotz der Vorliebe der Kaiserin für
sie, mit ihren dreizehn Jahren doch zum Heiraten noch zu jung war, und am
1. Oktober war der Großfürst achtzehn Jahre alt und mündig geworden; es
schien Zeit, an seine Zukunft zu denken. Warum aber -- diese Frage stellt
mau unwillkürlich -- sollte die Landgräfin ihre drei Töchter nach Petersburg
bringen? Bisher war doch immer nur von Wilhelminen die Rede gewesen.
Offenbar wollte die Kaiserin sich und ihrem Sohne die Freiheit der Wahl lassen,
da ja auch die beiden anderen Schwestern, Amalia und Luise -- die eine war
ebenso alt, die andere drei Jahre jünger als der Großfürst -- im Alter gut
zu ihm paßten. Und überdies war Katharina, wie wir aus ihren Briefen an
Asseburg erfahren, persönlich nie sehr entzückt von Wilhelminen gewesen. Bemerkens¬
wert ist, daß auch Asseburg in dem letzten Bericht, den er kurz vor der Abreise
der Landgräfin nach Petersburg schickte, der von ihm empfohlenen Prinzessin
keineswegs ein uneingeschränktes Lob spendete. Wenn er wirklich das willen¬
lose Sprachrohr Friedrichs des Großen gewesen wäre, hätte er die Farben gewiß
viel stärker aufgetragen.

Erst am 19. Januar 1773 teilte Solms seinem Gebieter die große Neuigkeit
mit. Aber natürlich hatte der König schon längst durch die Landgrüfin alles
erfahren. Er lud sie sofort mit ihren drei Töchtern nach Potsdam ein, um
dort das Weitere über die russische Reise mit ihr zu verabreden. Auf Karolinens
Wunsch vermittelte er auch, daß in Petersburg das Gerücht ausgesprengt wurde,
der Großfürst habe seine Wahl schon getroffen und die beiden anderen Schwestern
begleiteten die auserkorene Braut nur, weil die Mutter sie nicht allein zu Hause
lassen wolle. Der fein empfindenden Frau war der Gedanke, ihre drei Töchter
gewissermaßen selbst auf den Heiratsmarkt zu bringen, höchst unbehaglich, während
der König höchst neugierig darauf war, wem der neue Paris den Apfel reichen
werde. Karoline klagte, daß ihre vermeintlichen Göttinnen durchaus nicht die
Grazie olympischer Gottheiten besäßen, sondern durch ihre Schüchternheit wahr¬
scheinlich zuerst eiuen unvorteilhaften Eindruck machen würden. Wieder versteht
der gute Freund sie zu trösten: Schüchternheit kleidet die Jugend besser als
Keckheit; und wie rasch -- auch das Beispiel der Kaiserin beweist es -- löst
ein Jahr der Ehe jungen Damen die Zunge. Mit ihrem Gatten, der selbst¬
verständlich auch befragt werden mußte, wurde die Landgräfin bald einig. Er
tat zwar so, als ob er sich über den Hochmut der russischen Einladung ärgere:


Friedrich der Große und die Lmidgräsin llciroline von Hessen

Töchtern nach Rußland einzuladen. Ein neuer Bericht Asseburgs, geschrieben
nach seiner Zusammenkunft mit dem Kriegsrat Diestel, wird in seinen Denk¬
würdigkeiten nicht erwähnt, und wenn er ja auch in der Zwischenzeit ganz gut
nach Petersburg geschrieben haben könnte, so ist es doch sast unmöglich, daß
darauf so umgehend der Bescheid und der Entschluß erfolgte. Seine letzten
Berichte, noch vor dem Eingreifen König Friedrichs abgefaßt, berücksichtigen noch
beide Prinzessinnen gleichmüßig. Was den Ausschlag zugunsten der Darm¬
städterin gegeben hat, mag die Erwägung gewesen sein, daß Dorothea von
Württemberg trotz ihrer großen Vorzüge, trotz der Vorliebe der Kaiserin für
sie, mit ihren dreizehn Jahren doch zum Heiraten noch zu jung war, und am
1. Oktober war der Großfürst achtzehn Jahre alt und mündig geworden; es
schien Zeit, an seine Zukunft zu denken. Warum aber — diese Frage stellt
mau unwillkürlich — sollte die Landgräfin ihre drei Töchter nach Petersburg
bringen? Bisher war doch immer nur von Wilhelminen die Rede gewesen.
Offenbar wollte die Kaiserin sich und ihrem Sohne die Freiheit der Wahl lassen,
da ja auch die beiden anderen Schwestern, Amalia und Luise — die eine war
ebenso alt, die andere drei Jahre jünger als der Großfürst — im Alter gut
zu ihm paßten. Und überdies war Katharina, wie wir aus ihren Briefen an
Asseburg erfahren, persönlich nie sehr entzückt von Wilhelminen gewesen. Bemerkens¬
wert ist, daß auch Asseburg in dem letzten Bericht, den er kurz vor der Abreise
der Landgräfin nach Petersburg schickte, der von ihm empfohlenen Prinzessin
keineswegs ein uneingeschränktes Lob spendete. Wenn er wirklich das willen¬
lose Sprachrohr Friedrichs des Großen gewesen wäre, hätte er die Farben gewiß
viel stärker aufgetragen.

Erst am 19. Januar 1773 teilte Solms seinem Gebieter die große Neuigkeit
mit. Aber natürlich hatte der König schon längst durch die Landgrüfin alles
erfahren. Er lud sie sofort mit ihren drei Töchtern nach Potsdam ein, um
dort das Weitere über die russische Reise mit ihr zu verabreden. Auf Karolinens
Wunsch vermittelte er auch, daß in Petersburg das Gerücht ausgesprengt wurde,
der Großfürst habe seine Wahl schon getroffen und die beiden anderen Schwestern
begleiteten die auserkorene Braut nur, weil die Mutter sie nicht allein zu Hause
lassen wolle. Der fein empfindenden Frau war der Gedanke, ihre drei Töchter
gewissermaßen selbst auf den Heiratsmarkt zu bringen, höchst unbehaglich, während
der König höchst neugierig darauf war, wem der neue Paris den Apfel reichen
werde. Karoline klagte, daß ihre vermeintlichen Göttinnen durchaus nicht die
Grazie olympischer Gottheiten besäßen, sondern durch ihre Schüchternheit wahr¬
scheinlich zuerst eiuen unvorteilhaften Eindruck machen würden. Wieder versteht
der gute Freund sie zu trösten: Schüchternheit kleidet die Jugend besser als
Keckheit; und wie rasch — auch das Beispiel der Kaiserin beweist es — löst
ein Jahr der Ehe jungen Damen die Zunge. Mit ihrem Gatten, der selbst¬
verständlich auch befragt werden mußte, wurde die Landgräfin bald einig. Er
tat zwar so, als ob er sich über den Hochmut der russischen Einladung ärgere:


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[0216] Friedrich der Große und die Lmidgräsin llciroline von Hessen Töchtern nach Rußland einzuladen. Ein neuer Bericht Asseburgs, geschrieben nach seiner Zusammenkunft mit dem Kriegsrat Diestel, wird in seinen Denk¬ würdigkeiten nicht erwähnt, und wenn er ja auch in der Zwischenzeit ganz gut nach Petersburg geschrieben haben könnte, so ist es doch sast unmöglich, daß darauf so umgehend der Bescheid und der Entschluß erfolgte. Seine letzten Berichte, noch vor dem Eingreifen König Friedrichs abgefaßt, berücksichtigen noch beide Prinzessinnen gleichmüßig. Was den Ausschlag zugunsten der Darm¬ städterin gegeben hat, mag die Erwägung gewesen sein, daß Dorothea von Württemberg trotz ihrer großen Vorzüge, trotz der Vorliebe der Kaiserin für sie, mit ihren dreizehn Jahren doch zum Heiraten noch zu jung war, und am 1. Oktober war der Großfürst achtzehn Jahre alt und mündig geworden; es schien Zeit, an seine Zukunft zu denken. Warum aber — diese Frage stellt mau unwillkürlich — sollte die Landgräfin ihre drei Töchter nach Petersburg bringen? Bisher war doch immer nur von Wilhelminen die Rede gewesen. Offenbar wollte die Kaiserin sich und ihrem Sohne die Freiheit der Wahl lassen, da ja auch die beiden anderen Schwestern, Amalia und Luise — die eine war ebenso alt, die andere drei Jahre jünger als der Großfürst — im Alter gut zu ihm paßten. Und überdies war Katharina, wie wir aus ihren Briefen an Asseburg erfahren, persönlich nie sehr entzückt von Wilhelminen gewesen. Bemerkens¬ wert ist, daß auch Asseburg in dem letzten Bericht, den er kurz vor der Abreise der Landgräfin nach Petersburg schickte, der von ihm empfohlenen Prinzessin keineswegs ein uneingeschränktes Lob spendete. Wenn er wirklich das willen¬ lose Sprachrohr Friedrichs des Großen gewesen wäre, hätte er die Farben gewiß viel stärker aufgetragen. Erst am 19. Januar 1773 teilte Solms seinem Gebieter die große Neuigkeit mit. Aber natürlich hatte der König schon längst durch die Landgrüfin alles erfahren. Er lud sie sofort mit ihren drei Töchtern nach Potsdam ein, um dort das Weitere über die russische Reise mit ihr zu verabreden. Auf Karolinens Wunsch vermittelte er auch, daß in Petersburg das Gerücht ausgesprengt wurde, der Großfürst habe seine Wahl schon getroffen und die beiden anderen Schwestern begleiteten die auserkorene Braut nur, weil die Mutter sie nicht allein zu Hause lassen wolle. Der fein empfindenden Frau war der Gedanke, ihre drei Töchter gewissermaßen selbst auf den Heiratsmarkt zu bringen, höchst unbehaglich, während der König höchst neugierig darauf war, wem der neue Paris den Apfel reichen werde. Karoline klagte, daß ihre vermeintlichen Göttinnen durchaus nicht die Grazie olympischer Gottheiten besäßen, sondern durch ihre Schüchternheit wahr¬ scheinlich zuerst eiuen unvorteilhaften Eindruck machen würden. Wieder versteht der gute Freund sie zu trösten: Schüchternheit kleidet die Jugend besser als Keckheit; und wie rasch — auch das Beispiel der Kaiserin beweist es — löst ein Jahr der Ehe jungen Damen die Zunge. Mit ihrem Gatten, der selbst¬ verständlich auch befragt werden mußte, wurde die Landgräfin bald einig. Er tat zwar so, als ob er sich über den Hochmut der russischen Einladung ärgere:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/216>, abgerufen am 06.01.2025.