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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Bahr

Farben, Tönen, Wärmen, Drucken, Räumen, Zeiten, und an diese Verknüpfungen
sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Alles ist in ewiger Ver¬
änderung. . . . Die ganze innere und äußere Welt, mein Ich und das andere
ist nur eine wogende zähe Masse, die hier dicker wird, dort fast zu zerrinnen
scheint. Das Ich ist nur ein Name für die Elemente, die sich in ihm
verknüpfen."

In seiner Elegie auf den früh gestorbenen Georg Büchner sagt Herwegh:
"Du stammst nun wieder nach dnrchbrochner Schranke in Gottes Haupt ein
leuchtender Gedanke." Dies ist vielleicht der knappste dichterische Ausdruck des
Pantheismus. Die Seele kommt aus Gottes Haupt und kehrt zu Gottes Haupt.
In der Zwischenspanne aber, in: Leben, ist sie ein Selbständiges, ist sie von der
Schranke der Persönlichkeit umstellt. Die "Philosophie des Impressionismus"
nun durchbricht diese Schranke schon bei Lebzeiten des nur in der Illusion
bestehenden Individuums, und alles wird zum Fluten der kaum getrennten
göttlichen Elemente, derselben Gottheit.

Es fehlt aber dieser Anschauung doch wohl am entscheidenden Durchgreifen.
Gewiß, alles fließt, die Außenwelt wechselt, der menschliche Körper verändert
sich, es wechselt auch die Atmosphäre der Seele, ihre Stimmung, auch wohl
sozusagen ihre Haut, die aus dem Glatten ins Runzlig e schrumpfen oder einen
umgekehrten Entwicklungsgang machen kann -- aber in all diesen Veränderungen
bleibt ein stetiges, ein seltsam stetiges, denn es ist dem Gesetz der Entwicklung
und also der Veränderung wie alles andere unterworfen und bewährt sich dennoch
als das Stetige: die innerste Natur des Menschen, seine vor dem ersten Atemzuge
"geprägte Form" -- "so mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen". Goethe,
der Entwicklungsfrcudige, den Bahr als einen Hauptzeugen für seine Welt¬
anschauung anführt, hätte den Impressionisten mit Entrüstung ausgelacht und
hätte ihm dann vielleicht einige Auskunft darüber gegeben, wie stark sich das
Goethesche Ich in allen wesentlichen Charakterzügen vom Studiosus bis zum
Minister, von Friderike bis zu Eckermann als das gleiche bewährte. Es ist
seltsam, aber gerade an den Leuten der scheinbar größten seelischen Verände¬
rungen zeigt sich dem schärfer Blickenden das tatsächliche Gleichbleiben des eigent¬
lichen Wesens, des Charakters: es werden Menschen aus Dirnen zu Betschwestern,
aus Revolutionären zu Anhängern des Absolutismus und haben doch im Wesens¬
kern keine Änderung erfahren.

Und so hat auch der ewig in andere Formen schlüpfende, ewig von anderen
Geistigkeiten ergriffene, der zur philosophischen Leugnung des eigenen Ichs
getriebene Hermann Bahr einen unveränderlichen Wesenskern, und noch dazu
einen ganz schlichten, der sich viel eher der biederen, im ruhigen Glänze
leuchtenden Art Ernst Moritz Arndts vergleichen läßt als dem so unendlich
vielfarbigen Charakter Goethes. Und dies ist die zweite schöne "Untreue" Bahrs
wider den charakterschwachen Vorfahren, daß man den einen in allen Verände¬
rungen sich gleichbleibenden eigentlichen Menschen aus allen neuen Körpern und


Hermann Bahr

Farben, Tönen, Wärmen, Drucken, Räumen, Zeiten, und an diese Verknüpfungen
sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Alles ist in ewiger Ver¬
änderung. . . . Die ganze innere und äußere Welt, mein Ich und das andere
ist nur eine wogende zähe Masse, die hier dicker wird, dort fast zu zerrinnen
scheint. Das Ich ist nur ein Name für die Elemente, die sich in ihm
verknüpfen."

In seiner Elegie auf den früh gestorbenen Georg Büchner sagt Herwegh:
„Du stammst nun wieder nach dnrchbrochner Schranke in Gottes Haupt ein
leuchtender Gedanke." Dies ist vielleicht der knappste dichterische Ausdruck des
Pantheismus. Die Seele kommt aus Gottes Haupt und kehrt zu Gottes Haupt.
In der Zwischenspanne aber, in: Leben, ist sie ein Selbständiges, ist sie von der
Schranke der Persönlichkeit umstellt. Die „Philosophie des Impressionismus"
nun durchbricht diese Schranke schon bei Lebzeiten des nur in der Illusion
bestehenden Individuums, und alles wird zum Fluten der kaum getrennten
göttlichen Elemente, derselben Gottheit.

Es fehlt aber dieser Anschauung doch wohl am entscheidenden Durchgreifen.
Gewiß, alles fließt, die Außenwelt wechselt, der menschliche Körper verändert
sich, es wechselt auch die Atmosphäre der Seele, ihre Stimmung, auch wohl
sozusagen ihre Haut, die aus dem Glatten ins Runzlig e schrumpfen oder einen
umgekehrten Entwicklungsgang machen kann — aber in all diesen Veränderungen
bleibt ein stetiges, ein seltsam stetiges, denn es ist dem Gesetz der Entwicklung
und also der Veränderung wie alles andere unterworfen und bewährt sich dennoch
als das Stetige: die innerste Natur des Menschen, seine vor dem ersten Atemzuge
„geprägte Form" — „so mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen". Goethe,
der Entwicklungsfrcudige, den Bahr als einen Hauptzeugen für seine Welt¬
anschauung anführt, hätte den Impressionisten mit Entrüstung ausgelacht und
hätte ihm dann vielleicht einige Auskunft darüber gegeben, wie stark sich das
Goethesche Ich in allen wesentlichen Charakterzügen vom Studiosus bis zum
Minister, von Friderike bis zu Eckermann als das gleiche bewährte. Es ist
seltsam, aber gerade an den Leuten der scheinbar größten seelischen Verände¬
rungen zeigt sich dem schärfer Blickenden das tatsächliche Gleichbleiben des eigent¬
lichen Wesens, des Charakters: es werden Menschen aus Dirnen zu Betschwestern,
aus Revolutionären zu Anhängern des Absolutismus und haben doch im Wesens¬
kern keine Änderung erfahren.

Und so hat auch der ewig in andere Formen schlüpfende, ewig von anderen
Geistigkeiten ergriffene, der zur philosophischen Leugnung des eigenen Ichs
getriebene Hermann Bahr einen unveränderlichen Wesenskern, und noch dazu
einen ganz schlichten, der sich viel eher der biederen, im ruhigen Glänze
leuchtenden Art Ernst Moritz Arndts vergleichen läßt als dem so unendlich
vielfarbigen Charakter Goethes. Und dies ist die zweite schöne „Untreue" Bahrs
wider den charakterschwachen Vorfahren, daß man den einen in allen Verände¬
rungen sich gleichbleibenden eigentlichen Menschen aus allen neuen Körpern und


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[0183] Hermann Bahr Farben, Tönen, Wärmen, Drucken, Räumen, Zeiten, und an diese Verknüpfungen sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Alles ist in ewiger Ver¬ änderung. . . . Die ganze innere und äußere Welt, mein Ich und das andere ist nur eine wogende zähe Masse, die hier dicker wird, dort fast zu zerrinnen scheint. Das Ich ist nur ein Name für die Elemente, die sich in ihm verknüpfen." In seiner Elegie auf den früh gestorbenen Georg Büchner sagt Herwegh: „Du stammst nun wieder nach dnrchbrochner Schranke in Gottes Haupt ein leuchtender Gedanke." Dies ist vielleicht der knappste dichterische Ausdruck des Pantheismus. Die Seele kommt aus Gottes Haupt und kehrt zu Gottes Haupt. In der Zwischenspanne aber, in: Leben, ist sie ein Selbständiges, ist sie von der Schranke der Persönlichkeit umstellt. Die „Philosophie des Impressionismus" nun durchbricht diese Schranke schon bei Lebzeiten des nur in der Illusion bestehenden Individuums, und alles wird zum Fluten der kaum getrennten göttlichen Elemente, derselben Gottheit. Es fehlt aber dieser Anschauung doch wohl am entscheidenden Durchgreifen. Gewiß, alles fließt, die Außenwelt wechselt, der menschliche Körper verändert sich, es wechselt auch die Atmosphäre der Seele, ihre Stimmung, auch wohl sozusagen ihre Haut, die aus dem Glatten ins Runzlig e schrumpfen oder einen umgekehrten Entwicklungsgang machen kann — aber in all diesen Veränderungen bleibt ein stetiges, ein seltsam stetiges, denn es ist dem Gesetz der Entwicklung und also der Veränderung wie alles andere unterworfen und bewährt sich dennoch als das Stetige: die innerste Natur des Menschen, seine vor dem ersten Atemzuge „geprägte Form" — „so mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen". Goethe, der Entwicklungsfrcudige, den Bahr als einen Hauptzeugen für seine Welt¬ anschauung anführt, hätte den Impressionisten mit Entrüstung ausgelacht und hätte ihm dann vielleicht einige Auskunft darüber gegeben, wie stark sich das Goethesche Ich in allen wesentlichen Charakterzügen vom Studiosus bis zum Minister, von Friderike bis zu Eckermann als das gleiche bewährte. Es ist seltsam, aber gerade an den Leuten der scheinbar größten seelischen Verände¬ rungen zeigt sich dem schärfer Blickenden das tatsächliche Gleichbleiben des eigent¬ lichen Wesens, des Charakters: es werden Menschen aus Dirnen zu Betschwestern, aus Revolutionären zu Anhängern des Absolutismus und haben doch im Wesens¬ kern keine Änderung erfahren. Und so hat auch der ewig in andere Formen schlüpfende, ewig von anderen Geistigkeiten ergriffene, der zur philosophischen Leugnung des eigenen Ichs getriebene Hermann Bahr einen unveränderlichen Wesenskern, und noch dazu einen ganz schlichten, der sich viel eher der biederen, im ruhigen Glänze leuchtenden Art Ernst Moritz Arndts vergleichen läßt als dem so unendlich vielfarbigen Charakter Goethes. Und dies ist die zweite schöne „Untreue" Bahrs wider den charakterschwachen Vorfahren, daß man den einen in allen Verände¬ rungen sich gleichbleibenden eigentlichen Menschen aus allen neuen Körpern und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/183>, abgerufen am 01.01.2025.