Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Hermann Bahr Als die, um es schroff auszudrücken, sittliche Gefahr des Jourualistenberufs Hermann Bahr bewegt sich aus diesem Gebiete des journalistischen Essays Grenzboten III Isel 22
Hermann Bahr Als die, um es schroff auszudrücken, sittliche Gefahr des Jourualistenberufs Hermann Bahr bewegt sich aus diesem Gebiete des journalistischen Essays Grenzboten III Isel 22
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319130"/> <fw type="header" place="top"> Hermann Bahr</fw><lb/> <p xml:id="ID_1236"> Als die, um es schroff auszudrücken, sittliche Gefahr des Jourualistenberufs<lb/> wurde sein Reporterwesen erkannt. Der Reporter gibt das fremde Gut rasch<lb/> weiter; er soll es leicht weitergeben und verfällt dabei allzu häufig der Leicht¬<lb/> fertigkeit. Ein höher stehender Journalist wird bei aller Raschheit des Arbeitens<lb/> die empfangene geistige Ware doch erst sich geistig einverleiben und dann ver¬<lb/> suchen, bei aller Gefälligkeit, bei allem spielerischen der Form dennoch dem bequemen<lb/> Leser unmerklich die ganze Tiefe und Schwere der Sache aufzuzwingen. Er<lb/> wird ein ungetreuer Enkel Bayles sein, indem er den Leser nur scheinbar<lb/> einzig unterhält, während er ihn tatsächlich auf anmutigen Wegen ins Ernste<lb/> fuhrt. Freilich führt auch dieser Weg vom rein Journalistischen zum höheren<lb/> Gebiete des Essays empor — einen Essay schreiben heißt eben den „Versuch"<lb/> wagen, ernste Dinge gefällig spielend abzuhandeln —; aber dies ist wohl das<lb/> beste Lob, das man einigen modernen Journalisten erteilen kann, daß sie<lb/> erfolgreich bemüht sind, den Essay in den Dienst der Journalistik zu stellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237" next="#ID_1238"> Hermann Bahr bewegt sich aus diesem Gebiete des journalistischen Essays<lb/> mit äußerstem Geschick. Das spielerische der Wiedergabe besitzt er in gesteigertem<lb/> Maße, da er seiner österreichischen Anmut in langen Studien den schärferen<lb/> Schliff der französischen Causerie hinzugefügt hat. Und in der Aneignung fremder<lb/> Geistigkeit geht er so weit, daß das Wort „aneignen" nicht mehr zutrifft. Denn<lb/> nicht Hermann Bahr bemächtigt sich der fremden Dinge mehr, sondern sie<lb/> bemächtigen sich seiner, er geht an sie verloren, in ihnen auf. Er schreibt über<lb/> Politik und scheint ein Politiker zu sein, er berichtet von Gemälden und ist ein<lb/> Maler. Und nun gar auf seinem eigentlichen literarischen Gebiet wächst diese<lb/> Wandlungsfähigkeit ins Erstaunliche. Bahr hat viel vom Wesen der weißen<lb/> Mäuse, die in Bergwerken über den Menschen noch unspürbaren Gasen unruhig<lb/> werden; er wittert literarische Luftströmungen, die noch kein anderer ahnt. Er<lb/> hat den Ausdruck „Moderne" geschaffen und ist der Masse der Modernen immer<lb/> vorausgeeilt: vom Naturalismus zum Schwelgen im Psychologischen, danach,<lb/> verzweifelnd am Erfassen des Wirklichen, in die Romantik, ins Symbolistische.<lb/> Und was er als neuestes fand, davon ließ er sich so durchdringen, daß es ihn<lb/> beseelte. Ein Beispiel für viele: Er schildert die „vöcaclence". „Barbaren,<lb/> die nicht an der Kette einer alten Kultur geboren werden, nehmen die Welt,<lb/> wie sie ist, mit den Sinnen in die unbefangene Seele, die sie aus sich ordnen.<lb/> deuten, wesentlich formen mag; die Welt wird ihnen, indem sie ganz in ihre<lb/> Seele und ihre ganze Seele in sie dringt, von selber Kunst. Aber aus dieser<lb/> spinnt eine alte Kultur dann Nebel und Scheine um die Erziehung ihrer Menschen.<lb/> Sie wachsen, unselige Spätlinge, nicht mehr in der wirklichen Welt der Sinne,<lb/> sondern in einer künstlichen von geborgten Träumen auf, demi Erbe von einst.<lb/> Die Werke der Vergangenheit verhüllen ihnen die Dinge der Gegenwart. So<lb/> lernen sie alle Verschönerungen, die je ein schwärmerischer Wahn der Ahnen<lb/> schuf, vom Leben fordern, und weil es nicht geben kann, was nur die Seele<lb/> geben kann, wenden sie sich mit Ekel und Verachtung ab." Dies heißt doch</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III Isel 22</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
Hermann Bahr
Als die, um es schroff auszudrücken, sittliche Gefahr des Jourualistenberufs
wurde sein Reporterwesen erkannt. Der Reporter gibt das fremde Gut rasch
weiter; er soll es leicht weitergeben und verfällt dabei allzu häufig der Leicht¬
fertigkeit. Ein höher stehender Journalist wird bei aller Raschheit des Arbeitens
die empfangene geistige Ware doch erst sich geistig einverleiben und dann ver¬
suchen, bei aller Gefälligkeit, bei allem spielerischen der Form dennoch dem bequemen
Leser unmerklich die ganze Tiefe und Schwere der Sache aufzuzwingen. Er
wird ein ungetreuer Enkel Bayles sein, indem er den Leser nur scheinbar
einzig unterhält, während er ihn tatsächlich auf anmutigen Wegen ins Ernste
fuhrt. Freilich führt auch dieser Weg vom rein Journalistischen zum höheren
Gebiete des Essays empor — einen Essay schreiben heißt eben den „Versuch"
wagen, ernste Dinge gefällig spielend abzuhandeln —; aber dies ist wohl das
beste Lob, das man einigen modernen Journalisten erteilen kann, daß sie
erfolgreich bemüht sind, den Essay in den Dienst der Journalistik zu stellen.
Hermann Bahr bewegt sich aus diesem Gebiete des journalistischen Essays
mit äußerstem Geschick. Das spielerische der Wiedergabe besitzt er in gesteigertem
Maße, da er seiner österreichischen Anmut in langen Studien den schärferen
Schliff der französischen Causerie hinzugefügt hat. Und in der Aneignung fremder
Geistigkeit geht er so weit, daß das Wort „aneignen" nicht mehr zutrifft. Denn
nicht Hermann Bahr bemächtigt sich der fremden Dinge mehr, sondern sie
bemächtigen sich seiner, er geht an sie verloren, in ihnen auf. Er schreibt über
Politik und scheint ein Politiker zu sein, er berichtet von Gemälden und ist ein
Maler. Und nun gar auf seinem eigentlichen literarischen Gebiet wächst diese
Wandlungsfähigkeit ins Erstaunliche. Bahr hat viel vom Wesen der weißen
Mäuse, die in Bergwerken über den Menschen noch unspürbaren Gasen unruhig
werden; er wittert literarische Luftströmungen, die noch kein anderer ahnt. Er
hat den Ausdruck „Moderne" geschaffen und ist der Masse der Modernen immer
vorausgeeilt: vom Naturalismus zum Schwelgen im Psychologischen, danach,
verzweifelnd am Erfassen des Wirklichen, in die Romantik, ins Symbolistische.
Und was er als neuestes fand, davon ließ er sich so durchdringen, daß es ihn
beseelte. Ein Beispiel für viele: Er schildert die „vöcaclence". „Barbaren,
die nicht an der Kette einer alten Kultur geboren werden, nehmen die Welt,
wie sie ist, mit den Sinnen in die unbefangene Seele, die sie aus sich ordnen.
deuten, wesentlich formen mag; die Welt wird ihnen, indem sie ganz in ihre
Seele und ihre ganze Seele in sie dringt, von selber Kunst. Aber aus dieser
spinnt eine alte Kultur dann Nebel und Scheine um die Erziehung ihrer Menschen.
Sie wachsen, unselige Spätlinge, nicht mehr in der wirklichen Welt der Sinne,
sondern in einer künstlichen von geborgten Träumen auf, demi Erbe von einst.
Die Werke der Vergangenheit verhüllen ihnen die Dinge der Gegenwart. So
lernen sie alle Verschönerungen, die je ein schwärmerischer Wahn der Ahnen
schuf, vom Leben fordern, und weil es nicht geben kann, was nur die Seele
geben kann, wenden sie sich mit Ekel und Verachtung ab." Dies heißt doch
Grenzboten III Isel 22
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |