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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Bahr

Hermann Bahr
von Victor Klempcre r -

n Hermann Bahrs Feuilletonsammlung "Renaissance" steht die
Skizze "Ein Journalist". Dort wird Pierre Bayle, "der Autor
des berühmten victionnairö", als der eigentlich erste Journalist
im heutigen Wortsinn geschildert, wobei es fast ganz auf einen
harten Tadel des Berufs hinausläuft. In früheren gelehrten
Zeitschriften, heißt es, "gebot die Wissenschaft", bei Bayle wurde der Leser
"der große Herr". Es ist jetzt ein "Zwischenhandel mit geistigen Dingen"
eingerichtet, da kommt es auf die "Etalage" an, "sie sollen hübsch aussehen,
die Neugierde reizen, gekauft werden". -- "Eine unbeschwerliche und angenehme
Bildung den Leuten ins Haus liefern, das war der Gedanke, der den ersten
Journalisten ausmachte." Solchem Geschäft der gefälligen und oberflächlichen
Wiedergabe des Vielen und Verschiedenartigen würde natürlich eine starke Eigen¬
art, eine selbständige Weltanschauung nur in: Wege stehen; das Leichte und
Oberflächliche fließt am leichtesten aus der Feder des seichten und oberflächlichen
Menschen. Als einen "nichts fühlenden Vielschwätzer" stellt denn auch Bahr den
ersten Journalisten hin, um dann wie zur Beruhigung des eigenen Gewissens
zu schließen: "Aber man kann ja auch ein ungetreuer Enkel sein; diesen Trost
wollen wir uns nicht nehmen lassen."

Ein ungetreuer Enkel, aber doch ein Enkel! Sicherlich bleibt selbst der
beste Journalist ein wenig dem von Bahr so unhöflich geschilderten Vorfahren
verwandt. Dieser wird auch einmal als "erster Reporter" bezeichnet, und in
dem mit Notwendigkeit reporterhaften Element des Berufs ist wohl die Ver¬
wandtschaft aller Journalisten mit ihrem Ahnherrn begründet. Sie alle zehren
in weit höherem Maße als die übrige Menschheit, die sich ja auch überkommene
Früchte nutzbar macht, von der geistigen Arbeit anderer; sie alle sind darauf
angewiesen, um jeden Preis, und so manchmal um allzu hohen, gefällig und
auch einer denkfaulen Masse verständlich zu schreiben.

Wer kann nun, wem das klar vor Augen steht und wer hochstrebenden
Geistes ist, dennoch Journalist sein? Hermann Bahr, der zeitig ein faustischer
Student wurde und noch heute als reifer Vierziger einem faustischen Studenten
gleicht, und der sich doch immer mit Leidenschaft als Journalist betätigte und
das quecksilberne Wesen des Journalisten auch in seinen ausgedehntesten und
tiefsinnigsten Büchern nie verleugnet, gibt in dem Roman "Theater" die Antwort
auf diese Frage: "Weil dieser Beruf so große Verlockungen hat. Man darf
sich einbilden, zur ganzen Menschheit zu reden, auf seine Zeit zu wirken, ihre
Gedanken mitzubestimmen, mehr als man es heute von der Kanzel oder vom
Katheder kann. Man ist auch fleißiger, weil man schneller wirkt. . . Heute
habe ich einen Gedanken, morgen läuft er schon durch die Stadt."


Hermann Bahr

Hermann Bahr
von Victor Klempcre r -

n Hermann Bahrs Feuilletonsammlung „Renaissance" steht die
Skizze „Ein Journalist". Dort wird Pierre Bayle, „der Autor
des berühmten victionnairö", als der eigentlich erste Journalist
im heutigen Wortsinn geschildert, wobei es fast ganz auf einen
harten Tadel des Berufs hinausläuft. In früheren gelehrten
Zeitschriften, heißt es, „gebot die Wissenschaft", bei Bayle wurde der Leser
„der große Herr". Es ist jetzt ein „Zwischenhandel mit geistigen Dingen"
eingerichtet, da kommt es auf die „Etalage" an, „sie sollen hübsch aussehen,
die Neugierde reizen, gekauft werden". — „Eine unbeschwerliche und angenehme
Bildung den Leuten ins Haus liefern, das war der Gedanke, der den ersten
Journalisten ausmachte." Solchem Geschäft der gefälligen und oberflächlichen
Wiedergabe des Vielen und Verschiedenartigen würde natürlich eine starke Eigen¬
art, eine selbständige Weltanschauung nur in: Wege stehen; das Leichte und
Oberflächliche fließt am leichtesten aus der Feder des seichten und oberflächlichen
Menschen. Als einen „nichts fühlenden Vielschwätzer" stellt denn auch Bahr den
ersten Journalisten hin, um dann wie zur Beruhigung des eigenen Gewissens
zu schließen: „Aber man kann ja auch ein ungetreuer Enkel sein; diesen Trost
wollen wir uns nicht nehmen lassen."

Ein ungetreuer Enkel, aber doch ein Enkel! Sicherlich bleibt selbst der
beste Journalist ein wenig dem von Bahr so unhöflich geschilderten Vorfahren
verwandt. Dieser wird auch einmal als „erster Reporter" bezeichnet, und in
dem mit Notwendigkeit reporterhaften Element des Berufs ist wohl die Ver¬
wandtschaft aller Journalisten mit ihrem Ahnherrn begründet. Sie alle zehren
in weit höherem Maße als die übrige Menschheit, die sich ja auch überkommene
Früchte nutzbar macht, von der geistigen Arbeit anderer; sie alle sind darauf
angewiesen, um jeden Preis, und so manchmal um allzu hohen, gefällig und
auch einer denkfaulen Masse verständlich zu schreiben.

Wer kann nun, wem das klar vor Augen steht und wer hochstrebenden
Geistes ist, dennoch Journalist sein? Hermann Bahr, der zeitig ein faustischer
Student wurde und noch heute als reifer Vierziger einem faustischen Studenten
gleicht, und der sich doch immer mit Leidenschaft als Journalist betätigte und
das quecksilberne Wesen des Journalisten auch in seinen ausgedehntesten und
tiefsinnigsten Büchern nie verleugnet, gibt in dem Roman „Theater" die Antwort
auf diese Frage: „Weil dieser Beruf so große Verlockungen hat. Man darf
sich einbilden, zur ganzen Menschheit zu reden, auf seine Zeit zu wirken, ihre
Gedanken mitzubestimmen, mehr als man es heute von der Kanzel oder vom
Katheder kann. Man ist auch fleißiger, weil man schneller wirkt. . . Heute
habe ich einen Gedanken, morgen läuft er schon durch die Stadt."


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[0180] Hermann Bahr Hermann Bahr von Victor Klempcre r - n Hermann Bahrs Feuilletonsammlung „Renaissance" steht die Skizze „Ein Journalist". Dort wird Pierre Bayle, „der Autor des berühmten victionnairö", als der eigentlich erste Journalist im heutigen Wortsinn geschildert, wobei es fast ganz auf einen harten Tadel des Berufs hinausläuft. In früheren gelehrten Zeitschriften, heißt es, „gebot die Wissenschaft", bei Bayle wurde der Leser „der große Herr". Es ist jetzt ein „Zwischenhandel mit geistigen Dingen" eingerichtet, da kommt es auf die „Etalage" an, „sie sollen hübsch aussehen, die Neugierde reizen, gekauft werden". — „Eine unbeschwerliche und angenehme Bildung den Leuten ins Haus liefern, das war der Gedanke, der den ersten Journalisten ausmachte." Solchem Geschäft der gefälligen und oberflächlichen Wiedergabe des Vielen und Verschiedenartigen würde natürlich eine starke Eigen¬ art, eine selbständige Weltanschauung nur in: Wege stehen; das Leichte und Oberflächliche fließt am leichtesten aus der Feder des seichten und oberflächlichen Menschen. Als einen „nichts fühlenden Vielschwätzer" stellt denn auch Bahr den ersten Journalisten hin, um dann wie zur Beruhigung des eigenen Gewissens zu schließen: „Aber man kann ja auch ein ungetreuer Enkel sein; diesen Trost wollen wir uns nicht nehmen lassen." Ein ungetreuer Enkel, aber doch ein Enkel! Sicherlich bleibt selbst der beste Journalist ein wenig dem von Bahr so unhöflich geschilderten Vorfahren verwandt. Dieser wird auch einmal als „erster Reporter" bezeichnet, und in dem mit Notwendigkeit reporterhaften Element des Berufs ist wohl die Ver¬ wandtschaft aller Journalisten mit ihrem Ahnherrn begründet. Sie alle zehren in weit höherem Maße als die übrige Menschheit, die sich ja auch überkommene Früchte nutzbar macht, von der geistigen Arbeit anderer; sie alle sind darauf angewiesen, um jeden Preis, und so manchmal um allzu hohen, gefällig und auch einer denkfaulen Masse verständlich zu schreiben. Wer kann nun, wem das klar vor Augen steht und wer hochstrebenden Geistes ist, dennoch Journalist sein? Hermann Bahr, der zeitig ein faustischer Student wurde und noch heute als reifer Vierziger einem faustischen Studenten gleicht, und der sich doch immer mit Leidenschaft als Journalist betätigte und das quecksilberne Wesen des Journalisten auch in seinen ausgedehntesten und tiefsinnigsten Büchern nie verleugnet, gibt in dem Roman „Theater" die Antwort auf diese Frage: „Weil dieser Beruf so große Verlockungen hat. Man darf sich einbilden, zur ganzen Menschheit zu reden, auf seine Zeit zu wirken, ihre Gedanken mitzubestimmen, mehr als man es heute von der Kanzel oder vom Katheder kann. Man ist auch fleißiger, weil man schneller wirkt. . . Heute habe ich einen Gedanken, morgen läuft er schon durch die Stadt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/180>, abgerufen am 29.12.2024.