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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

nicht nur sich anzueignen, sondern ihm auch ein spezifisch nationales Gepräge
zu geben, -- aber doch eben nur Nachahmer. Der Chinese hingegen verdankt,
was er ist, sich selber: daher von alters her der starre Konservatismus und
die instinktive Abneigung gegen alles Fremde.

Bei dem Japaner überwiegt das Talent, beim Chinesen der Charakter.
Die Chinesen sind typische Autodidakten, und daraus erklären sich ihre Vorzüge
wie auch ihre Mängel: sowohl die schöpferische Originalität und der Stolz auf
die eigenen geistigen Errungenschaften, wie nicht minder die indolente Selbst¬
genügsamkeit und der bornierte Eigendünkel.

Ferner (und das sollte bei einem Vergleich der beiden Nationen nicht über¬
sehen werden) fehlt dem Chinesen kriegerischer Sinn und Unternehmungslust,
zwei Eigenschaften, die den Japaner in hohem Grade auszeichnen; und es ist
schon aus diesem Grunde kaum anzunehmen, daß sie in dem bevorstehenden
politischen und wissenschaftlichen Kampf, der ihnen wider ihren Willen aufgedrängt
wird, jemals aus der Defensive zur Offensive übergehen werden. Sie werden
sich vermutlich, wie sie das auch bisher getan haben, nur vielleicht in erhöhtem
Maße, gegen die verhaßten fremden Eindringlinge und Störenfriede zu wehren
suchen, sich im übrigen aber wohl darauf beschränken, ihren Besitzstand soviel
als möglich zu verteidigen. Anderseits sind sie aber auch wieder viel zu geriebene
Praktiker und Geschäftsleute, um die Vorteile, die sich ihnen aus dem Verkehr
mit dem Auslande bieten, nicht nach Gebühr zu würdigen und sich demgemäß
zunutze zu machen. So hartnäckig auch der Widerstand des geomcmtischen
Aberglaubens gegen Telegraphenstangen und Schienenstränge war und vielfach
auch jetzt noch ist, weil sie angeblich die Ruhe der Toten gefährden und dadurch
zugleich die Wohlfahrt der Lebenden schädigen: -- er hat schließlich doch nicht
verhindern können, daß sich das Eisenbahn- und Telephonnetz auch in China
mit jedem Jahre weiter ausdehnt, denn der Chinese ist eben, trotz allem Aber¬
glauben, doch klug genug, um einzusehen, daß jene imaginären Nachteile von
tatsächlichen Vorteilen weit überwogen werden: Beweis dafür die kurze Eisen¬
bahnstrecke zwischen Peking und Tientsin, die schon im ersten Jahre ihres
Bestehens den bisherigen Warenverkehr per Boot und Karren vollständig lahm¬
gelegt hat.

Es läßt sich denn auch gar nicht mehr leugnen, daß sich in jüngster Zeit
fortschrittliche Bestrebungen in den verschiedensten Gebieten des geistigen und
wirtschaftlichen Lebens geltend zu machen beginnen, von denen früher nicht die
Rede war. Schon die Themata bei den Staatsprüfungen im Jahre 1903
lassen deutlich erkennen, wie der Hase läuft. Als Beweis dafür hier nur ein
paar der Fragen, die den Kandidaten zur Bearbeitung gegeben wurden: "Wie
lassen sich die Hilfsquellen Chinas durch Bergbau und Eisenbahnen am besten
erschließen?" -- "Nach welcher Richtung hin sind unsere Zivil- und Strafgesetze
abzuändern, damit China seine Autorität auch auf die (Fremden) ausdehnen
kann, die jetzt noch die Privilegien der Exterritorialitätsklausel genießen?" --


Bausteine der chinesischen Kultur

nicht nur sich anzueignen, sondern ihm auch ein spezifisch nationales Gepräge
zu geben, — aber doch eben nur Nachahmer. Der Chinese hingegen verdankt,
was er ist, sich selber: daher von alters her der starre Konservatismus und
die instinktive Abneigung gegen alles Fremde.

Bei dem Japaner überwiegt das Talent, beim Chinesen der Charakter.
Die Chinesen sind typische Autodidakten, und daraus erklären sich ihre Vorzüge
wie auch ihre Mängel: sowohl die schöpferische Originalität und der Stolz auf
die eigenen geistigen Errungenschaften, wie nicht minder die indolente Selbst¬
genügsamkeit und der bornierte Eigendünkel.

Ferner (und das sollte bei einem Vergleich der beiden Nationen nicht über¬
sehen werden) fehlt dem Chinesen kriegerischer Sinn und Unternehmungslust,
zwei Eigenschaften, die den Japaner in hohem Grade auszeichnen; und es ist
schon aus diesem Grunde kaum anzunehmen, daß sie in dem bevorstehenden
politischen und wissenschaftlichen Kampf, der ihnen wider ihren Willen aufgedrängt
wird, jemals aus der Defensive zur Offensive übergehen werden. Sie werden
sich vermutlich, wie sie das auch bisher getan haben, nur vielleicht in erhöhtem
Maße, gegen die verhaßten fremden Eindringlinge und Störenfriede zu wehren
suchen, sich im übrigen aber wohl darauf beschränken, ihren Besitzstand soviel
als möglich zu verteidigen. Anderseits sind sie aber auch wieder viel zu geriebene
Praktiker und Geschäftsleute, um die Vorteile, die sich ihnen aus dem Verkehr
mit dem Auslande bieten, nicht nach Gebühr zu würdigen und sich demgemäß
zunutze zu machen. So hartnäckig auch der Widerstand des geomcmtischen
Aberglaubens gegen Telegraphenstangen und Schienenstränge war und vielfach
auch jetzt noch ist, weil sie angeblich die Ruhe der Toten gefährden und dadurch
zugleich die Wohlfahrt der Lebenden schädigen: — er hat schließlich doch nicht
verhindern können, daß sich das Eisenbahn- und Telephonnetz auch in China
mit jedem Jahre weiter ausdehnt, denn der Chinese ist eben, trotz allem Aber¬
glauben, doch klug genug, um einzusehen, daß jene imaginären Nachteile von
tatsächlichen Vorteilen weit überwogen werden: Beweis dafür die kurze Eisen¬
bahnstrecke zwischen Peking und Tientsin, die schon im ersten Jahre ihres
Bestehens den bisherigen Warenverkehr per Boot und Karren vollständig lahm¬
gelegt hat.

Es läßt sich denn auch gar nicht mehr leugnen, daß sich in jüngster Zeit
fortschrittliche Bestrebungen in den verschiedensten Gebieten des geistigen und
wirtschaftlichen Lebens geltend zu machen beginnen, von denen früher nicht die
Rede war. Schon die Themata bei den Staatsprüfungen im Jahre 1903
lassen deutlich erkennen, wie der Hase läuft. Als Beweis dafür hier nur ein
paar der Fragen, die den Kandidaten zur Bearbeitung gegeben wurden: „Wie
lassen sich die Hilfsquellen Chinas durch Bergbau und Eisenbahnen am besten
erschließen?" — „Nach welcher Richtung hin sind unsere Zivil- und Strafgesetze
abzuändern, damit China seine Autorität auch auf die (Fremden) ausdehnen
kann, die jetzt noch die Privilegien der Exterritorialitätsklausel genießen?" —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/177>, abgerufen am 01.01.2025.