Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Bausteine der chinesischen Unterr "Welche Nationen haben sich als die besten Kolonisatoren gezeigt?" -- "Welches Bestrebungen aber, wie sie hier zutage treten, sollten unserseits nach Durch die ursprüngliche Kulturgemeinschaft, verbunden mit der Gemeinsamkeit Wir haben unsere Kulturmission China gegenüber bisher überhaupt viel zu Erstens pflegen sich die Missionare fast immer nur an die untersten Schichten Das Gebot der kindlichen Pietät, das seinen religiösen Ausdruck im Ahnen¬ Bausteine der chinesischen Unterr „Welche Nationen haben sich als die besten Kolonisatoren gezeigt?" — „Welches Bestrebungen aber, wie sie hier zutage treten, sollten unserseits nach Durch die ursprüngliche Kulturgemeinschaft, verbunden mit der Gemeinsamkeit Wir haben unsere Kulturmission China gegenüber bisher überhaupt viel zu Erstens pflegen sich die Missionare fast immer nur an die untersten Schichten Das Gebot der kindlichen Pietät, das seinen religiösen Ausdruck im Ahnen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319127"/> <fw type="header" place="top"> Bausteine der chinesischen Unterr</fw><lb/> <p xml:id="ID_1223" prev="#ID_1222"> „Welche Nationen haben sich als die besten Kolonisatoren gezeigt?" — „Welches<lb/> sind Englands wichtigste strategische Punkte zur See, und welches sollten die<lb/> Chinas sein?" — „Auf welchem Wege lassen sich Gelder und Professoren für<lb/> die neue Erziehungsmethode beschaffen?" — Daß die Prüfungsbehörden, die<lb/> konservativsten Behörden Chinas, derartige Aufgaben stellen, ist ein Zeichen der<lb/> Zeit, das jedenfalls Beachtung verdient.</p><lb/> <p xml:id="ID_1224"> Bestrebungen aber, wie sie hier zutage treten, sollten unserseits nach<lb/> Kräften gefördert werden, denn schon wandern Hunderte von jungen Chinesen<lb/> nach Japan, um sich auf den dortigen Universitäten europäisches Wissen anzu¬<lb/> eignen, während sich gleichzeitig japanische Lehrer und Jnstruktoren scharenweise<lb/> in chinesischen Lehranstalten einnisten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1225"> Durch die ursprüngliche Kulturgemeinschaft, verbunden mit der Gemeinsamkeit<lb/> der Schriftsprache, haben die Japaner ohnehin einen ungeheuren Vorsprung vor<lb/> uns voraus, und es liegt daher die nicht zu unterschätzende Gefahr nahe, daß<lb/> das gesamte chinesische Schul- und Unterrichtswesen sich über kurz oder lang zu<lb/> einem japanischen Monopol gestaltet, wenn wir uns nicht beeilen, auch das<lb/> Unsere zu tun, um uns den Chinesen als Lehrer unentbehrlich zu macheu. Das<lb/> aber liegt in unserem eigensten Interesse; denn nur so wird es uns möglich<lb/> sein, einen Einfluß auf die zukünftige Gestaltung der Dinge in China zu<lb/> erlangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1226"> Wir haben unsere Kulturmission China gegenüber bisher überhaupt viel zu<lb/> einseitig im Sinne einer christlich-religiösen Propaganda aufgefaßt. So berechtigt<lb/> und bewundernswert die Bemühungen der Missionare vielfach auch sind, so<lb/> genügen sie doch bei weitem noch nicht. Zudem ist ihr Erfolg bis jetzt ein<lb/> verschwindend geringer gewesen, und das war auch nicht anders zu erwarten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1227"> Erstens pflegen sich die Missionare fast immer nur an die untersten Schichten<lb/> des Volkes zu wenden, während es gerade darauf ankäme, die gebildeten, ton¬<lb/> angebenden, regierenden Klassen zu gewinnen, weil nur durch sie ein Einfluß<lb/> aus die große Masse ausgeübt werden kann. Zweitens aber gilt es, eine friedliche<lb/> Auseinandersetzung mit dem Konfuzianismus zu ermöglichen; denn so wie die<lb/> Dinge einstweilen und wohl noch für lange Zeit liegen, steht und fällt das<lb/> Chinesentum mit dem Konfuzianismus. Solange die alten Jesuitenmissionare<lb/> des siebzehnten Jahrhunderts den Ahnenkult für einen bürgerlichen, nicht für<lb/> einen religiösen Ritus erklärten und demgemäß unbeanstandet ließen, war ihre<lb/> Propaganda von glänzendem Erfolge gekrönt, und sie hatten sich daneben eines<lb/> Einflusses am kaiserlichen Hofe zu erfreuen, wie er seither keinem Europäer<lb/> wieder zuteil geworden ist. Das alles änderte sich mit einem Schlage, als der<lb/> Papst Clemens der Elfte im Jahre 1704 auf Betreiben der Dominikaner den<lb/> Ahnenkult als heidnischen Brauch verdammte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1228" next="#ID_1229"> Das Gebot der kindlichen Pietät, das seinen religiösen Ausdruck im Ahnen¬<lb/> kult findet, ist die Grundlage des ganzen sittlichen Lebens in China, sie ist das<lb/> Fundament der konfuzianischen Kultur: vernichtet man dies Fundament, so stürzt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
Bausteine der chinesischen Unterr
„Welche Nationen haben sich als die besten Kolonisatoren gezeigt?" — „Welches
sind Englands wichtigste strategische Punkte zur See, und welches sollten die
Chinas sein?" — „Auf welchem Wege lassen sich Gelder und Professoren für
die neue Erziehungsmethode beschaffen?" — Daß die Prüfungsbehörden, die
konservativsten Behörden Chinas, derartige Aufgaben stellen, ist ein Zeichen der
Zeit, das jedenfalls Beachtung verdient.
Bestrebungen aber, wie sie hier zutage treten, sollten unserseits nach
Kräften gefördert werden, denn schon wandern Hunderte von jungen Chinesen
nach Japan, um sich auf den dortigen Universitäten europäisches Wissen anzu¬
eignen, während sich gleichzeitig japanische Lehrer und Jnstruktoren scharenweise
in chinesischen Lehranstalten einnisten.
Durch die ursprüngliche Kulturgemeinschaft, verbunden mit der Gemeinsamkeit
der Schriftsprache, haben die Japaner ohnehin einen ungeheuren Vorsprung vor
uns voraus, und es liegt daher die nicht zu unterschätzende Gefahr nahe, daß
das gesamte chinesische Schul- und Unterrichtswesen sich über kurz oder lang zu
einem japanischen Monopol gestaltet, wenn wir uns nicht beeilen, auch das
Unsere zu tun, um uns den Chinesen als Lehrer unentbehrlich zu macheu. Das
aber liegt in unserem eigensten Interesse; denn nur so wird es uns möglich
sein, einen Einfluß auf die zukünftige Gestaltung der Dinge in China zu
erlangen.
Wir haben unsere Kulturmission China gegenüber bisher überhaupt viel zu
einseitig im Sinne einer christlich-religiösen Propaganda aufgefaßt. So berechtigt
und bewundernswert die Bemühungen der Missionare vielfach auch sind, so
genügen sie doch bei weitem noch nicht. Zudem ist ihr Erfolg bis jetzt ein
verschwindend geringer gewesen, und das war auch nicht anders zu erwarten.
Erstens pflegen sich die Missionare fast immer nur an die untersten Schichten
des Volkes zu wenden, während es gerade darauf ankäme, die gebildeten, ton¬
angebenden, regierenden Klassen zu gewinnen, weil nur durch sie ein Einfluß
aus die große Masse ausgeübt werden kann. Zweitens aber gilt es, eine friedliche
Auseinandersetzung mit dem Konfuzianismus zu ermöglichen; denn so wie die
Dinge einstweilen und wohl noch für lange Zeit liegen, steht und fällt das
Chinesentum mit dem Konfuzianismus. Solange die alten Jesuitenmissionare
des siebzehnten Jahrhunderts den Ahnenkult für einen bürgerlichen, nicht für
einen religiösen Ritus erklärten und demgemäß unbeanstandet ließen, war ihre
Propaganda von glänzendem Erfolge gekrönt, und sie hatten sich daneben eines
Einflusses am kaiserlichen Hofe zu erfreuen, wie er seither keinem Europäer
wieder zuteil geworden ist. Das alles änderte sich mit einem Schlage, als der
Papst Clemens der Elfte im Jahre 1704 auf Betreiben der Dominikaner den
Ahnenkult als heidnischen Brauch verdammte.
Das Gebot der kindlichen Pietät, das seinen religiösen Ausdruck im Ahnen¬
kult findet, ist die Grundlage des ganzen sittlichen Lebens in China, sie ist das
Fundament der konfuzianischen Kultur: vernichtet man dies Fundament, so stürzt
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