Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Lausteine der chinesischen Aultur Man weiß daher auch genau, an welche Götter man sich in jedem Einzelfalle Der Name Feng-shui bedeutet, wörtlich übersetzt, "Wind und Wasser" und Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß auf dem Boden Lausteine der chinesischen Aultur Man weiß daher auch genau, an welche Götter man sich in jedem Einzelfalle Der Name Feng-shui bedeutet, wörtlich übersetzt, „Wind und Wasser" und Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß auf dem Boden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319124"/> <fw type="header" place="top"> Lausteine der chinesischen Aultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1212" prev="#ID_1211"> Man weiß daher auch genau, an welche Götter man sich in jedem Einzelfalle<lb/> zu richten hat; sie sind gewissermaßen bekannte und konstante Größen, mit denen<lb/> man rechnen kann und von denen man weiß, wie sie zu behandeln und zu<lb/> gewinnen sind. Aber neben den Göttern gibt es noch geheimnisvolle Kräfte,<lb/> von denen sich der Mensch allenthalben und in jedem Augenblick umgeben wähnt<lb/> und die ihm förderlich oder auch verderblich sein können. Und gerade weil<lb/> diese verborgenen Kräfte und Einflüsse so unberechenbar erscheinen, greift der<lb/> Glaube an sie und die Furcht vor ihnen ungleich tiefer ins Leben jedes ein¬<lb/> zelnen ein als der Götterglaube. Das Bestreben, die wohltätigen unter diesen<lb/> Kräften heranzulocken und die schädlichen zu bannen oder womöglich in günstige<lb/> umzuwandeln, hat denn auch eine besondere Geheimwissenschaft hervorgebracht,<lb/> die nachgerade zu einer Macht im Leben der Nation herangewachsen ist, —<lb/> kaum minder allgemein anerkannt und jedenfalls nicht weniger einflußreich auf<lb/> das Tun und Lassen jedes einzelnen als der Konfuzianismus selbst. Es ist<lb/> dies das berüchtigte sogenannte Feng-shui-System, das mit geradezu hypnoti¬<lb/> sierender Gewalt wie ein Alb auf der Seele des ganzen Volkes lastet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1213"> Der Name Feng-shui bedeutet, wörtlich übersetzt, „Wind und Wasser" und<lb/> bezeichnet die Lehre von den tellurischen und atmosphärischen Einflüssen, aber<lb/> nicht etwa im physikalischen, sondern im metaphysischen oder, vielleicht richtiger<lb/> ausgedrückt, im okkultistischen Sinne. Es ist ein geomantisches System, das zu<lb/> lehren vorgibt, wo und wie Gräber, Tempel und Wohngebäude anzulegen<lb/> seien, um die in ihnen untergebrachten Toten, Götter oder lebenden Menschen<lb/> soviel als möglich unter den Schutz günstiger Einflüsse zu stellen, resp, verderb¬<lb/> lichen Einflüssen entgegenzuwirken. Maßgebend sind dabei vor allem die<lb/> Konfigurationen der Erdoberfläche an dem zu wählenden Platze, die astro¬<lb/> logischen Beziehungen jener Konfigurationen zu den himmlischen Gestirnen, unter<lb/> deren Herrschaft sie stehen, das gegenseitige Verhältnis der Elemente, die an<lb/> der gegebenen Örtlichkeit vorwalten, und zahlreiche ähnliche Faktoren, die nur<lb/> der Geomant allein zu beurteilen vermag. Es wird daher keinem Chinesen<lb/> einfallen, ein Haus zu beziehen oder gar zu bauen, ohne die betreffende<lb/> Lokalität vorher sorgfältig von einem Geomanten untersuchen zu lassen; wie es<lb/> anderseits auch nichts Seltenes ist, daß Tote morale-, ja sogar jahrelang<lb/> unbegraben bleiben, weil kein gegen böse Einflüsse geseller Platz zu finden ist, —<lb/> wobei dann freilich auch das geschäftliche Interesse der Geomanten keine ganz<lb/> nebensächliche Rolle zu spielen pflegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß auf dem Boden<lb/> der nüchtern-verständigen Lebensauffassung des Koufuziauismus ein so krasser<lb/> Aberglaube so üppig ins Kraut schießen konnte, wie das hier der Fall ist.<lb/> Aber dennoch liegt die Erklärung nahe genug. Eben weil der Konfuzianismus<lb/> dein Glaubensbedürfnis keinen positiven Anhalt zu geben vermochte, konnte sich<lb/> der Spieltrieb der Einbildungskrast um so freier entfalten; und weil er ander¬<lb/> seits auch dem Forschungstrieb nur wenig Anregung und Nahrung bot, war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Lausteine der chinesischen Aultur
Man weiß daher auch genau, an welche Götter man sich in jedem Einzelfalle
zu richten hat; sie sind gewissermaßen bekannte und konstante Größen, mit denen
man rechnen kann und von denen man weiß, wie sie zu behandeln und zu
gewinnen sind. Aber neben den Göttern gibt es noch geheimnisvolle Kräfte,
von denen sich der Mensch allenthalben und in jedem Augenblick umgeben wähnt
und die ihm förderlich oder auch verderblich sein können. Und gerade weil
diese verborgenen Kräfte und Einflüsse so unberechenbar erscheinen, greift der
Glaube an sie und die Furcht vor ihnen ungleich tiefer ins Leben jedes ein¬
zelnen ein als der Götterglaube. Das Bestreben, die wohltätigen unter diesen
Kräften heranzulocken und die schädlichen zu bannen oder womöglich in günstige
umzuwandeln, hat denn auch eine besondere Geheimwissenschaft hervorgebracht,
die nachgerade zu einer Macht im Leben der Nation herangewachsen ist, —
kaum minder allgemein anerkannt und jedenfalls nicht weniger einflußreich auf
das Tun und Lassen jedes einzelnen als der Konfuzianismus selbst. Es ist
dies das berüchtigte sogenannte Feng-shui-System, das mit geradezu hypnoti¬
sierender Gewalt wie ein Alb auf der Seele des ganzen Volkes lastet.
Der Name Feng-shui bedeutet, wörtlich übersetzt, „Wind und Wasser" und
bezeichnet die Lehre von den tellurischen und atmosphärischen Einflüssen, aber
nicht etwa im physikalischen, sondern im metaphysischen oder, vielleicht richtiger
ausgedrückt, im okkultistischen Sinne. Es ist ein geomantisches System, das zu
lehren vorgibt, wo und wie Gräber, Tempel und Wohngebäude anzulegen
seien, um die in ihnen untergebrachten Toten, Götter oder lebenden Menschen
soviel als möglich unter den Schutz günstiger Einflüsse zu stellen, resp, verderb¬
lichen Einflüssen entgegenzuwirken. Maßgebend sind dabei vor allem die
Konfigurationen der Erdoberfläche an dem zu wählenden Platze, die astro¬
logischen Beziehungen jener Konfigurationen zu den himmlischen Gestirnen, unter
deren Herrschaft sie stehen, das gegenseitige Verhältnis der Elemente, die an
der gegebenen Örtlichkeit vorwalten, und zahlreiche ähnliche Faktoren, die nur
der Geomant allein zu beurteilen vermag. Es wird daher keinem Chinesen
einfallen, ein Haus zu beziehen oder gar zu bauen, ohne die betreffende
Lokalität vorher sorgfältig von einem Geomanten untersuchen zu lassen; wie es
anderseits auch nichts Seltenes ist, daß Tote morale-, ja sogar jahrelang
unbegraben bleiben, weil kein gegen böse Einflüsse geseller Platz zu finden ist, —
wobei dann freilich auch das geschäftliche Interesse der Geomanten keine ganz
nebensächliche Rolle zu spielen pflegt.
Es mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß auf dem Boden
der nüchtern-verständigen Lebensauffassung des Koufuziauismus ein so krasser
Aberglaube so üppig ins Kraut schießen konnte, wie das hier der Fall ist.
Aber dennoch liegt die Erklärung nahe genug. Eben weil der Konfuzianismus
dein Glaubensbedürfnis keinen positiven Anhalt zu geben vermochte, konnte sich
der Spieltrieb der Einbildungskrast um so freier entfalten; und weil er ander¬
seits auch dem Forschungstrieb nur wenig Anregung und Nahrung bot, war
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