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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

zu geleiten. Dieser Praxis speziell verdankt der Buddhismus heutzutage seine
Popularität in China, die sich schon darin äußert, daß niemand, nicht einmal
der bildungsstolzeste Konfuzianer, der sonst mit Verachtung aus den Buddhismus
herabsieht, unterlassen wird, nach einen: Todesfall buddhistische Bonzen zur
Abhaltung einer Totenmesse heranzuziehen.

Wenn der Buddhismus auch als fremder Eindringling gegenüber dem
Konfuzianismus eine untergeordnete und keineswegs geachtete Stellung einnimmt,
so hat er sich mithin doch ein Gebiet zu erobern gewußt, wo seine Macht un¬
bestritten ist, -- nämlich das Jenseits, und das ist durchaus nichts Geringes in
einem Lande, wo die Toten tatsächlich beinahe mehr zu bedeuten haben als die
Lebenden.

Im übrigen muß gesagt werden, daß sowohl der Taoismus wie
der Buddhismus viel zu sehr den Charakter religiöser Gemeinschaften bewahrt
haben, um wirklich volkstümlich werden zu können. Taoisten und Buddhisten im
eigentlichen strengen Sinne sind daher wohl auch im Grunde nur die Kleriker
der beiden Religionen. Den: Chinesen als Laien ist die Religion überhaupt
nicht sowohl ein Bekenntnis als vielmehr eine Zuflucht: er wendet sich an seine
Götter, wenn er gerade ihrer Hilfe bedarf, und zwar wendet er sich dann an
diejenige Gottheit, die er im gegebenen Falle sozusagen für die zuständige Instanz
hält, ohne viel danach zu fragen, ob sie buddhistischer oder taoistischer Herkunft
ist. Daher zeigt auch die moderne Volksreligion ein chaotisches Durcheinander
von Elementen, die teils der altchinesischen Naturreligion, teils dem Buddhismus,
teils dein Taoismus entlehnt sind; daneben enthält sie jedoch noch ein ganzes
Heer von Gottheiten , die keiner der drei Religionen angehören, sondern "als
freie Schöpfungen des Volksglaubens anzusehen sind. Dieser Volksglaube aber
stellt eine Vorstellungswelt dar, die sich in ununterbrochenem Flusse und in
beständiger Gärung befindet; irgendein noch so unbedeutender Anlaß kann, wie
sich das in China fast alljährlich beobachten läßt, genügen, um einer neuen
Gottheit zum Dasein zu verhelfen, an die bis dahin niemand gedacht hatte.
Und in der Tat gibt es kein Gewerbe, überhaupt kein Lebensgebiet irgend¬
welcher Art, das nicht unter dem Schutze einer besonderen Gottheit stünde. So
gibt es Schutzgötter der Zimmerleute, Töpfer, Gärtner, Ärzte, Wahrsager,
Barbiere, Schauspieler, Gaukler usw., und selbst die Vertreter weniger ehrsamer
Gewerbe, wie z. B. Spieler, Diebe und Prostituierte, haben ihre himmlischen
Schutzpatrone. Sogar die Tiere stehen unter dem Schutze besonderer Gott¬
heiten, wie es denn einen Gott der Rinder, der Schweine, der Hunde und der
Pferde gibt, und in Su-chow hat sich sogar der Gott der Läuse eines besonderen
Tempels zu erfreuen.

Aber die Götter, so zahlreich sie auch sind, genügen doch lange nicht, um
das Glaubensbedürfnis zu befriedigen, -- ja sie spielen vielleicht nicht einmal
die erste Rolle in der Welt des Übersinnlichen. Jede Gottheit hat doch immer
nur ihren bestimmten Wirkungskreis, über den hinaus ihre Macht nicht reicht.


Bausteine der chinesischen Kultur

zu geleiten. Dieser Praxis speziell verdankt der Buddhismus heutzutage seine
Popularität in China, die sich schon darin äußert, daß niemand, nicht einmal
der bildungsstolzeste Konfuzianer, der sonst mit Verachtung aus den Buddhismus
herabsieht, unterlassen wird, nach einen: Todesfall buddhistische Bonzen zur
Abhaltung einer Totenmesse heranzuziehen.

Wenn der Buddhismus auch als fremder Eindringling gegenüber dem
Konfuzianismus eine untergeordnete und keineswegs geachtete Stellung einnimmt,
so hat er sich mithin doch ein Gebiet zu erobern gewußt, wo seine Macht un¬
bestritten ist, — nämlich das Jenseits, und das ist durchaus nichts Geringes in
einem Lande, wo die Toten tatsächlich beinahe mehr zu bedeuten haben als die
Lebenden.

Im übrigen muß gesagt werden, daß sowohl der Taoismus wie
der Buddhismus viel zu sehr den Charakter religiöser Gemeinschaften bewahrt
haben, um wirklich volkstümlich werden zu können. Taoisten und Buddhisten im
eigentlichen strengen Sinne sind daher wohl auch im Grunde nur die Kleriker
der beiden Religionen. Den: Chinesen als Laien ist die Religion überhaupt
nicht sowohl ein Bekenntnis als vielmehr eine Zuflucht: er wendet sich an seine
Götter, wenn er gerade ihrer Hilfe bedarf, und zwar wendet er sich dann an
diejenige Gottheit, die er im gegebenen Falle sozusagen für die zuständige Instanz
hält, ohne viel danach zu fragen, ob sie buddhistischer oder taoistischer Herkunft
ist. Daher zeigt auch die moderne Volksreligion ein chaotisches Durcheinander
von Elementen, die teils der altchinesischen Naturreligion, teils dem Buddhismus,
teils dein Taoismus entlehnt sind; daneben enthält sie jedoch noch ein ganzes
Heer von Gottheiten , die keiner der drei Religionen angehören, sondern "als
freie Schöpfungen des Volksglaubens anzusehen sind. Dieser Volksglaube aber
stellt eine Vorstellungswelt dar, die sich in ununterbrochenem Flusse und in
beständiger Gärung befindet; irgendein noch so unbedeutender Anlaß kann, wie
sich das in China fast alljährlich beobachten läßt, genügen, um einer neuen
Gottheit zum Dasein zu verhelfen, an die bis dahin niemand gedacht hatte.
Und in der Tat gibt es kein Gewerbe, überhaupt kein Lebensgebiet irgend¬
welcher Art, das nicht unter dem Schutze einer besonderen Gottheit stünde. So
gibt es Schutzgötter der Zimmerleute, Töpfer, Gärtner, Ärzte, Wahrsager,
Barbiere, Schauspieler, Gaukler usw., und selbst die Vertreter weniger ehrsamer
Gewerbe, wie z. B. Spieler, Diebe und Prostituierte, haben ihre himmlischen
Schutzpatrone. Sogar die Tiere stehen unter dem Schutze besonderer Gott¬
heiten, wie es denn einen Gott der Rinder, der Schweine, der Hunde und der
Pferde gibt, und in Su-chow hat sich sogar der Gott der Läuse eines besonderen
Tempels zu erfreuen.

Aber die Götter, so zahlreich sie auch sind, genügen doch lange nicht, um
das Glaubensbedürfnis zu befriedigen, — ja sie spielen vielleicht nicht einmal
die erste Rolle in der Welt des Übersinnlichen. Jede Gottheit hat doch immer
nur ihren bestimmten Wirkungskreis, über den hinaus ihre Macht nicht reicht.


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[0174] Bausteine der chinesischen Kultur zu geleiten. Dieser Praxis speziell verdankt der Buddhismus heutzutage seine Popularität in China, die sich schon darin äußert, daß niemand, nicht einmal der bildungsstolzeste Konfuzianer, der sonst mit Verachtung aus den Buddhismus herabsieht, unterlassen wird, nach einen: Todesfall buddhistische Bonzen zur Abhaltung einer Totenmesse heranzuziehen. Wenn der Buddhismus auch als fremder Eindringling gegenüber dem Konfuzianismus eine untergeordnete und keineswegs geachtete Stellung einnimmt, so hat er sich mithin doch ein Gebiet zu erobern gewußt, wo seine Macht un¬ bestritten ist, — nämlich das Jenseits, und das ist durchaus nichts Geringes in einem Lande, wo die Toten tatsächlich beinahe mehr zu bedeuten haben als die Lebenden. Im übrigen muß gesagt werden, daß sowohl der Taoismus wie der Buddhismus viel zu sehr den Charakter religiöser Gemeinschaften bewahrt haben, um wirklich volkstümlich werden zu können. Taoisten und Buddhisten im eigentlichen strengen Sinne sind daher wohl auch im Grunde nur die Kleriker der beiden Religionen. Den: Chinesen als Laien ist die Religion überhaupt nicht sowohl ein Bekenntnis als vielmehr eine Zuflucht: er wendet sich an seine Götter, wenn er gerade ihrer Hilfe bedarf, und zwar wendet er sich dann an diejenige Gottheit, die er im gegebenen Falle sozusagen für die zuständige Instanz hält, ohne viel danach zu fragen, ob sie buddhistischer oder taoistischer Herkunft ist. Daher zeigt auch die moderne Volksreligion ein chaotisches Durcheinander von Elementen, die teils der altchinesischen Naturreligion, teils dem Buddhismus, teils dein Taoismus entlehnt sind; daneben enthält sie jedoch noch ein ganzes Heer von Gottheiten , die keiner der drei Religionen angehören, sondern "als freie Schöpfungen des Volksglaubens anzusehen sind. Dieser Volksglaube aber stellt eine Vorstellungswelt dar, die sich in ununterbrochenem Flusse und in beständiger Gärung befindet; irgendein noch so unbedeutender Anlaß kann, wie sich das in China fast alljährlich beobachten läßt, genügen, um einer neuen Gottheit zum Dasein zu verhelfen, an die bis dahin niemand gedacht hatte. Und in der Tat gibt es kein Gewerbe, überhaupt kein Lebensgebiet irgend¬ welcher Art, das nicht unter dem Schutze einer besonderen Gottheit stünde. So gibt es Schutzgötter der Zimmerleute, Töpfer, Gärtner, Ärzte, Wahrsager, Barbiere, Schauspieler, Gaukler usw., und selbst die Vertreter weniger ehrsamer Gewerbe, wie z. B. Spieler, Diebe und Prostituierte, haben ihre himmlischen Schutzpatrone. Sogar die Tiere stehen unter dem Schutze besonderer Gott¬ heiten, wie es denn einen Gott der Rinder, der Schweine, der Hunde und der Pferde gibt, und in Su-chow hat sich sogar der Gott der Läuse eines besonderen Tempels zu erfreuen. Aber die Götter, so zahlreich sie auch sind, genügen doch lange nicht, um das Glaubensbedürfnis zu befriedigen, — ja sie spielen vielleicht nicht einmal die erste Rolle in der Welt des Übersinnlichen. Jede Gottheit hat doch immer nur ihren bestimmten Wirkungskreis, über den hinaus ihre Macht nicht reicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/174>, abgerufen am 01.01.2025.