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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

und an mehreren Orten zugleich weilen zu lassen, und was dergleichen magische
Künste mehr sind. Die ehrfurchtsvolle Scheu, mit der sie betrachtet wurden,
mag dann wohl bewirkt haben, daß ihr Beispiel zahlreiche Nachahmer fand,
aus denen in der Folge die Adepten der taoistischen Alchemie hervorgegangen
sind. So artet die tiefsinnige Mystik des Lao-tsze allmählich in eine okkulte
Wissenschaft aus, und das tao sinkt zu einen: Zaubermittel herab, das dazu
dienen soll, Gold herzustellen und das Leben zu verlängern.

Auch der religiöse Taoismus hängt aufs engste mit dein Wunderglauben
zusammen, der in China besonders während der beiden letzten Jahrhunderte
vor Beginn unserer Zeitrechnung die üppigsten Blüten trieb. Zugleich aber knüpft
er an bereits vorhanden gewesene Vorstellungen des alten Volksglaubens an,
denn nur so läßt sich das plötzliche Auftreten einer ganzen Reihe neuer Götter¬
namen erklären, von denen bis dahin nie die Rede gewesen war. Es darf
nämlich aus vereinzelten Hinweisen in der historischen Überlieferung mit Sicherheit
angenommen werden, daß abseits von der uralten Naturreligion das Volk seit
jeher seine eigenen Gottheiten hatte, die jedoch im öffentlichen Kultus nicht berück¬
sichtigt wurden und daher auch in den klassischen Texten des Konfuzianismus
keine Erwähnung gefunden haben. Dieser wilden Schößlinge des Volks¬
glaubens nahm sich nun der Taoismns an, indem er sie seinem Pantheon ein¬
verleibte. Charakteristisch ist aber für den religiösen Taoismus der Hang zur
Magie und Zauberei, worin wiederum seine Verwandtschaft mit dem alchemistischen
Taoismus zutage tritt. Die eigentliche Domäne der taoistischen Priester war zu
allen Zeiten, wie sie es auch jetzt noch ist, das Reich der bösen Geister, welche
Krankheiten, Mißwachs, Überschwemmungen und überhaupt Plagen jeglicher Art
verursachen, und ihre Hauptbeschäftigung demgemäß die Austreibung der Dämonen,
der Exorzismus.

Im übrigen geriet der Taoismus, sowohl in seinen Glaubenslehren als
auch in der äußeren Organisation seines Priestertums und Tempelkults, bald
so sehr unter den Einfluß des Buddhismus, daß es oft sehr schwer ist, Eigenes
von Entlehntem in ihm zu unterscheiden. Es ist dies um so erklärlicher, als ja
die Anschauungen des Lao-tsze zu denen Buddhas von Haus aus in einem
keineswegs so schroffen Gegensatz stehen wie zu denen des Konfuzius, vielmehr
manche wesensverwandte Züge aufweisen, die ein friedliches Zusammengehen
beider Richtungen zum mindesten nicht ausgeschlossen erscheinen lassen: Hier
wie dort das Streben nach Befreiung des Individuums aus den Banden der
Sinnenwelt, hier wie dort das Hinneigen zu einem weltflüchtigen Asketentum,
und hier wie dort ein geschichtlicher Entwicklungsgang, der schließlich beide
Lehren ihrem ursprünglichen Wesen gänzlich entfremdet.

Das erste Eindringen buddhistischer Lehren in China fällt in das erste
Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Um diese Zeit hatte sich der Buddhismus
bereits in eine südliche und eine nördliche Schule gespalten. Während sich die
ursprüngliche Lehre Buddhas im südlichen Buddhismus, der gegenwärtig auf


Bausteine der chinesischen Kultur

und an mehreren Orten zugleich weilen zu lassen, und was dergleichen magische
Künste mehr sind. Die ehrfurchtsvolle Scheu, mit der sie betrachtet wurden,
mag dann wohl bewirkt haben, daß ihr Beispiel zahlreiche Nachahmer fand,
aus denen in der Folge die Adepten der taoistischen Alchemie hervorgegangen
sind. So artet die tiefsinnige Mystik des Lao-tsze allmählich in eine okkulte
Wissenschaft aus, und das tao sinkt zu einen: Zaubermittel herab, das dazu
dienen soll, Gold herzustellen und das Leben zu verlängern.

Auch der religiöse Taoismus hängt aufs engste mit dein Wunderglauben
zusammen, der in China besonders während der beiden letzten Jahrhunderte
vor Beginn unserer Zeitrechnung die üppigsten Blüten trieb. Zugleich aber knüpft
er an bereits vorhanden gewesene Vorstellungen des alten Volksglaubens an,
denn nur so läßt sich das plötzliche Auftreten einer ganzen Reihe neuer Götter¬
namen erklären, von denen bis dahin nie die Rede gewesen war. Es darf
nämlich aus vereinzelten Hinweisen in der historischen Überlieferung mit Sicherheit
angenommen werden, daß abseits von der uralten Naturreligion das Volk seit
jeher seine eigenen Gottheiten hatte, die jedoch im öffentlichen Kultus nicht berück¬
sichtigt wurden und daher auch in den klassischen Texten des Konfuzianismus
keine Erwähnung gefunden haben. Dieser wilden Schößlinge des Volks¬
glaubens nahm sich nun der Taoismns an, indem er sie seinem Pantheon ein¬
verleibte. Charakteristisch ist aber für den religiösen Taoismus der Hang zur
Magie und Zauberei, worin wiederum seine Verwandtschaft mit dem alchemistischen
Taoismus zutage tritt. Die eigentliche Domäne der taoistischen Priester war zu
allen Zeiten, wie sie es auch jetzt noch ist, das Reich der bösen Geister, welche
Krankheiten, Mißwachs, Überschwemmungen und überhaupt Plagen jeglicher Art
verursachen, und ihre Hauptbeschäftigung demgemäß die Austreibung der Dämonen,
der Exorzismus.

Im übrigen geriet der Taoismus, sowohl in seinen Glaubenslehren als
auch in der äußeren Organisation seines Priestertums und Tempelkults, bald
so sehr unter den Einfluß des Buddhismus, daß es oft sehr schwer ist, Eigenes
von Entlehntem in ihm zu unterscheiden. Es ist dies um so erklärlicher, als ja
die Anschauungen des Lao-tsze zu denen Buddhas von Haus aus in einem
keineswegs so schroffen Gegensatz stehen wie zu denen des Konfuzius, vielmehr
manche wesensverwandte Züge aufweisen, die ein friedliches Zusammengehen
beider Richtungen zum mindesten nicht ausgeschlossen erscheinen lassen: Hier
wie dort das Streben nach Befreiung des Individuums aus den Banden der
Sinnenwelt, hier wie dort das Hinneigen zu einem weltflüchtigen Asketentum,
und hier wie dort ein geschichtlicher Entwicklungsgang, der schließlich beide
Lehren ihrem ursprünglichen Wesen gänzlich entfremdet.

Das erste Eindringen buddhistischer Lehren in China fällt in das erste
Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Um diese Zeit hatte sich der Buddhismus
bereits in eine südliche und eine nördliche Schule gespalten. Während sich die
ursprüngliche Lehre Buddhas im südlichen Buddhismus, der gegenwärtig auf


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[0172] Bausteine der chinesischen Kultur und an mehreren Orten zugleich weilen zu lassen, und was dergleichen magische Künste mehr sind. Die ehrfurchtsvolle Scheu, mit der sie betrachtet wurden, mag dann wohl bewirkt haben, daß ihr Beispiel zahlreiche Nachahmer fand, aus denen in der Folge die Adepten der taoistischen Alchemie hervorgegangen sind. So artet die tiefsinnige Mystik des Lao-tsze allmählich in eine okkulte Wissenschaft aus, und das tao sinkt zu einen: Zaubermittel herab, das dazu dienen soll, Gold herzustellen und das Leben zu verlängern. Auch der religiöse Taoismus hängt aufs engste mit dein Wunderglauben zusammen, der in China besonders während der beiden letzten Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung die üppigsten Blüten trieb. Zugleich aber knüpft er an bereits vorhanden gewesene Vorstellungen des alten Volksglaubens an, denn nur so läßt sich das plötzliche Auftreten einer ganzen Reihe neuer Götter¬ namen erklären, von denen bis dahin nie die Rede gewesen war. Es darf nämlich aus vereinzelten Hinweisen in der historischen Überlieferung mit Sicherheit angenommen werden, daß abseits von der uralten Naturreligion das Volk seit jeher seine eigenen Gottheiten hatte, die jedoch im öffentlichen Kultus nicht berück¬ sichtigt wurden und daher auch in den klassischen Texten des Konfuzianismus keine Erwähnung gefunden haben. Dieser wilden Schößlinge des Volks¬ glaubens nahm sich nun der Taoismns an, indem er sie seinem Pantheon ein¬ verleibte. Charakteristisch ist aber für den religiösen Taoismus der Hang zur Magie und Zauberei, worin wiederum seine Verwandtschaft mit dem alchemistischen Taoismus zutage tritt. Die eigentliche Domäne der taoistischen Priester war zu allen Zeiten, wie sie es auch jetzt noch ist, das Reich der bösen Geister, welche Krankheiten, Mißwachs, Überschwemmungen und überhaupt Plagen jeglicher Art verursachen, und ihre Hauptbeschäftigung demgemäß die Austreibung der Dämonen, der Exorzismus. Im übrigen geriet der Taoismus, sowohl in seinen Glaubenslehren als auch in der äußeren Organisation seines Priestertums und Tempelkults, bald so sehr unter den Einfluß des Buddhismus, daß es oft sehr schwer ist, Eigenes von Entlehntem in ihm zu unterscheiden. Es ist dies um so erklärlicher, als ja die Anschauungen des Lao-tsze zu denen Buddhas von Haus aus in einem keineswegs so schroffen Gegensatz stehen wie zu denen des Konfuzius, vielmehr manche wesensverwandte Züge aufweisen, die ein friedliches Zusammengehen beider Richtungen zum mindesten nicht ausgeschlossen erscheinen lassen: Hier wie dort das Streben nach Befreiung des Individuums aus den Banden der Sinnenwelt, hier wie dort das Hinneigen zu einem weltflüchtigen Asketentum, und hier wie dort ein geschichtlicher Entwicklungsgang, der schließlich beide Lehren ihrem ursprünglichen Wesen gänzlich entfremdet. Das erste Eindringen buddhistischer Lehren in China fällt in das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Um diese Zeit hatte sich der Buddhismus bereits in eine südliche und eine nördliche Schule gespalten. Während sich die ursprüngliche Lehre Buddhas im südlichen Buddhismus, der gegenwärtig auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/172>, abgerufen am 01.01.2025.