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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen

haben und im Notfalle vorübergehenden Bankkredit erhalten zu können. Doch
waren Bank und Genossenschaften in ihren gegenseitigen Beziehungen vollkommen
frei; es war ein Verkehr auf rein geschäftlicher Grundlage.

Anders mußte die Entwicklung bei den ländlichen Kreditgenossenschaften
verlaufen. Diese waren, verglichen mit den Schulze-Delitzschschen Vereinen,
Zwerginstitute. Ihre Mitgliederzahl war nach dem Raiffeisenschen Prinzip auf
die Dorfgemeinde beschränkt, um eine Gewähr für die richtige Abschätzung der
Kreditwürdigkeit zu haben. Sie war also gering. Das eigene Vermögen, auf
dessen Bildung Schulze den größten Wert legte, war und ist heute noch ver¬
schwindend klein; die Spareinlagen, welche die Genossenschaft aufsammelte, waren
für das Kreditbedürfnis der Mitglieder periodisch bald zu groß, bald zu klein,
ohne daß die Genossenschaft imstande war, den Überschuß zu verwenden oder
den Fehlbetrag im Wege des Kredits zu beschaffen. Diese Verhältnisse drängten
also zur Gründung eines Zentralkreditinstituts, das, in enger Verbindung mit
den Genossenschaften stehend, eine Pflicht sowohl zur Kreditgewährung als zur
Unterbringung müßiger Gelder übernahm. Als solches gründete Raiffeisen nach
einigen fehlgeschlagenen Versuchen die Landwirtschaftliche Zentraldarlehnskasse
in Neuwied in Form einer Aktiengesellschaft. Aktionäre waren die Kredit¬
genossenschaften, der Kreditverkehr der Kasse war auf diese beschränkt. Im
übrigen suchte Raiffeisen durch statutarische Bestimmungen der Zentralkasse den
Charakter eines gemeinnützigen Unternehmens aufzuprägen.

Solange nun die Anzahl der später verbandsmüßig organisierten Raiffeisen-
Genossenschaften gering war, ließ sich diese Zentralisation des Kreditverkehrs in
Neuwied zur Not ertragen. Anders aber wurde es, als die Zahl wuchs und sich
auch auf fernliegende Landesteile erstreckte. Da war es unmöglich, die Kredit¬
würdigkeit von Hunderten, ja Tausenden einzelner Genossenschafter von Neuwied
aus zu prüfen oder auch nur den Geldverkehr von dieser einen Stelle aus zu
regeln. Nach mancherlei Experimenten und Änderungen errichtete man schlie߬
lich in den einzelnen Landesteilen Filialen. Diesen letzteren traten später
"Landesgenossenschaftsbanken" zur Seite, meist in Personalunion mit jenen
geleitet, als Mittelglieder für den Kreditverkehr mit den Betriebs- und Bezugs¬
genossenschaften, und denen die Kreditkasse statutarisch direkt nicht arbeiten durfte.

Das starre Festhalten an dem Raiffeisenschen Prinzip der Zentralisation
erweckte in den Kreisen der Genossenschaften selbst Opposition. Es bildete sich
daher neben der Neuwieder noch eine zweite selbständige Organisation, der
sogenannte Offenbacher oder Reichsverband. Dieser ging auf eine möglichst
weitgehende Dezentralisation aus; er schuf provinzielle Revisionsverbände und
provinzielle Zentralkassen sowohl sür den Kredit- als für den Warenverkehr.

Nun trat im Jahre 1895 die Preußenkasse auf den Plan. Sie war
bekanntlich eine Schöpfung Miguels, der und diesen: Staatsinstitut der Ent¬
wicklung und dem Kreditbedürfnis der ländlichen Genossenschaften zu Hilfe
kommen wollte.


Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen

haben und im Notfalle vorübergehenden Bankkredit erhalten zu können. Doch
waren Bank und Genossenschaften in ihren gegenseitigen Beziehungen vollkommen
frei; es war ein Verkehr auf rein geschäftlicher Grundlage.

Anders mußte die Entwicklung bei den ländlichen Kreditgenossenschaften
verlaufen. Diese waren, verglichen mit den Schulze-Delitzschschen Vereinen,
Zwerginstitute. Ihre Mitgliederzahl war nach dem Raiffeisenschen Prinzip auf
die Dorfgemeinde beschränkt, um eine Gewähr für die richtige Abschätzung der
Kreditwürdigkeit zu haben. Sie war also gering. Das eigene Vermögen, auf
dessen Bildung Schulze den größten Wert legte, war und ist heute noch ver¬
schwindend klein; die Spareinlagen, welche die Genossenschaft aufsammelte, waren
für das Kreditbedürfnis der Mitglieder periodisch bald zu groß, bald zu klein,
ohne daß die Genossenschaft imstande war, den Überschuß zu verwenden oder
den Fehlbetrag im Wege des Kredits zu beschaffen. Diese Verhältnisse drängten
also zur Gründung eines Zentralkreditinstituts, das, in enger Verbindung mit
den Genossenschaften stehend, eine Pflicht sowohl zur Kreditgewährung als zur
Unterbringung müßiger Gelder übernahm. Als solches gründete Raiffeisen nach
einigen fehlgeschlagenen Versuchen die Landwirtschaftliche Zentraldarlehnskasse
in Neuwied in Form einer Aktiengesellschaft. Aktionäre waren die Kredit¬
genossenschaften, der Kreditverkehr der Kasse war auf diese beschränkt. Im
übrigen suchte Raiffeisen durch statutarische Bestimmungen der Zentralkasse den
Charakter eines gemeinnützigen Unternehmens aufzuprägen.

Solange nun die Anzahl der später verbandsmüßig organisierten Raiffeisen-
Genossenschaften gering war, ließ sich diese Zentralisation des Kreditverkehrs in
Neuwied zur Not ertragen. Anders aber wurde es, als die Zahl wuchs und sich
auch auf fernliegende Landesteile erstreckte. Da war es unmöglich, die Kredit¬
würdigkeit von Hunderten, ja Tausenden einzelner Genossenschafter von Neuwied
aus zu prüfen oder auch nur den Geldverkehr von dieser einen Stelle aus zu
regeln. Nach mancherlei Experimenten und Änderungen errichtete man schlie߬
lich in den einzelnen Landesteilen Filialen. Diesen letzteren traten später
„Landesgenossenschaftsbanken" zur Seite, meist in Personalunion mit jenen
geleitet, als Mittelglieder für den Kreditverkehr mit den Betriebs- und Bezugs¬
genossenschaften, und denen die Kreditkasse statutarisch direkt nicht arbeiten durfte.

Das starre Festhalten an dem Raiffeisenschen Prinzip der Zentralisation
erweckte in den Kreisen der Genossenschaften selbst Opposition. Es bildete sich
daher neben der Neuwieder noch eine zweite selbständige Organisation, der
sogenannte Offenbacher oder Reichsverband. Dieser ging auf eine möglichst
weitgehende Dezentralisation aus; er schuf provinzielle Revisionsverbände und
provinzielle Zentralkassen sowohl sür den Kredit- als für den Warenverkehr.

Nun trat im Jahre 1895 die Preußenkasse auf den Plan. Sie war
bekanntlich eine Schöpfung Miguels, der und diesen: Staatsinstitut der Ent¬
wicklung und dem Kreditbedürfnis der ländlichen Genossenschaften zu Hilfe
kommen wollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/159>, abgerufen am 01.01.2025.