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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Landeskunde der Provinz Brandenburg

mit der preußischen Rechtsgeschichte in naher Beziehung und enthält ein gut
Teil der Geschichte des Kammergerichts, als des höchsten preußischen Gerichtshofes.
Die erste Gerichtsbarkeit in der Mark übten naturgemäß die Markgrafen als
eine Art Militärgewalt und später die Lehnsleute unter deren Aufsicht; in den
Städten entstand eine eigene Gerichtsbarkeit, und man verlieh den Bürgern das
Recht aus anderen Städten: so erhielt Brandenburg das magdeburgische Stadt¬
recht und brandenburgisches Recht wurde auf Berlin übertragen, das seinerseits
wieder das Recht an Frankfurt a. d. Oder abgab. Daneben entwickelte sich aus
den Bistümern und Klöstern eine besondere geistliche Gerichtsbarkeit, die in der
Hand der Bischöfe lag. Das zur Anwendung kommende bürgerliche Recht war
vorwiegend das sächsische nach dem Sachsenspiegel mit einigen märkischen Sonder¬
heiten, wie er von dem altmärkischen Edelmann Nicolaus von Buch um 1325
glossiert worden war. Aus dieser Zeit stammen die Patrimonialgerichte der Guts¬
herren auf den Dörfern-, sie haben sich fast unverändert bis in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts erhalten. Eine landesherrliche Aufsicht über diese Stadt-
und Landgerichte wurde erst durch die Hohenzollern wieder eingeführt, doch war
es nicht leicht, Ordnung zu schaffen, weil die Fürstenmacht noch zu schwach war.
Eine höchste allgemein anerkannte Gerichtsbarkeit ins Leben zu rufen, wurde erst
in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts möglich, als die Stände sich damit
einverstanden erklärten, daß sich unter dem Vorsitze des Landesherrn oder seines
Vertreters ein in des Herrn "Kammer" tagendes, aus ständischen Vertretern
zusammengesetztes Gericht bildete, bei dem man sich in höchster Instanz Recht
holen konnte. Das ist der Keim des Kammergerichts, dessen erster Ordnungs¬
entwurf 1516 erschien, aber keine große Bedeutung erhielt, weil es immer noch
mehr ein Standesgericht war, dessen Beisitzer keine juristischen Kenntnisse hatten.
Diese waren nun zwar mit der Eröffnung der Universität in Frankfurt a. d. Oder
1504 allmählich in die Laienkreise gedrungen, aber damit ging hinwiederum das
Sonderrecht zugrunde und das gemeine römische Recht gewann in den Gerichts-
Höfen die Oberhand bis auf das Erbrecht, das 1527 in der Joachimika festgelegt
wurde. Nach langjährigen Kämpfen mit den Ständen sah man auch für das
Strafrecht das Kammergericht als landesherrliches Appellationsgericht an, und
schließlich entwickelte sich der schriftliche Prozeß, der gelehrte Richter voraussetzte,
sowie Notare, die auf Grund kaiserlichen Diploms als amtlich bestellte Urkund¬
personen für Rechtsakte galten. Männer wie der Kanzler Distelmeyer schufen für
solche Gerichtsbarkeit ein vortreffliches Beamtentum, ordneten den Geschäftsbetrieb,
drängten die Kabinettjustiz zurück und begannen auch materiell märkisches Recht
zu schaffen durch Sammlungen von Konstitutionen.

Nach dem Dreißigjährigen Kriege sank der Feudalstaat, wie er immer noch
bestanden hatte, mehr und mehr in Trümmer, die einzelnen Stände waren geschwächt
und die Fürstenmacht gewann festeren Boden. An die Stelle der alten ständischen
Gesetzgebung auf den Landtagen traten die kurfürstlichen Verordnungen, durch die
oft auch geringfügige Fragen entschieden wurden. Die Rechtspflege freilich wurde
dadurch nicht besser; denn die Verordnungen standen nur auf dem Papiere, die
unteren Gerichte entschieden nach Willkür, oft auch durch Bestechung, so daß
Friedrich Wilhelm der Erste bei seinem Regierungsantritte darüber klagte, daß die
schlechte Justiz zum Himmel schreie. Aber dennoch verliefen die Bestrebungen


Landeskunde der Provinz Brandenburg

mit der preußischen Rechtsgeschichte in naher Beziehung und enthält ein gut
Teil der Geschichte des Kammergerichts, als des höchsten preußischen Gerichtshofes.
Die erste Gerichtsbarkeit in der Mark übten naturgemäß die Markgrafen als
eine Art Militärgewalt und später die Lehnsleute unter deren Aufsicht; in den
Städten entstand eine eigene Gerichtsbarkeit, und man verlieh den Bürgern das
Recht aus anderen Städten: so erhielt Brandenburg das magdeburgische Stadt¬
recht und brandenburgisches Recht wurde auf Berlin übertragen, das seinerseits
wieder das Recht an Frankfurt a. d. Oder abgab. Daneben entwickelte sich aus
den Bistümern und Klöstern eine besondere geistliche Gerichtsbarkeit, die in der
Hand der Bischöfe lag. Das zur Anwendung kommende bürgerliche Recht war
vorwiegend das sächsische nach dem Sachsenspiegel mit einigen märkischen Sonder¬
heiten, wie er von dem altmärkischen Edelmann Nicolaus von Buch um 1325
glossiert worden war. Aus dieser Zeit stammen die Patrimonialgerichte der Guts¬
herren auf den Dörfern-, sie haben sich fast unverändert bis in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts erhalten. Eine landesherrliche Aufsicht über diese Stadt-
und Landgerichte wurde erst durch die Hohenzollern wieder eingeführt, doch war
es nicht leicht, Ordnung zu schaffen, weil die Fürstenmacht noch zu schwach war.
Eine höchste allgemein anerkannte Gerichtsbarkeit ins Leben zu rufen, wurde erst
in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts möglich, als die Stände sich damit
einverstanden erklärten, daß sich unter dem Vorsitze des Landesherrn oder seines
Vertreters ein in des Herrn „Kammer" tagendes, aus ständischen Vertretern
zusammengesetztes Gericht bildete, bei dem man sich in höchster Instanz Recht
holen konnte. Das ist der Keim des Kammergerichts, dessen erster Ordnungs¬
entwurf 1516 erschien, aber keine große Bedeutung erhielt, weil es immer noch
mehr ein Standesgericht war, dessen Beisitzer keine juristischen Kenntnisse hatten.
Diese waren nun zwar mit der Eröffnung der Universität in Frankfurt a. d. Oder
1504 allmählich in die Laienkreise gedrungen, aber damit ging hinwiederum das
Sonderrecht zugrunde und das gemeine römische Recht gewann in den Gerichts-
Höfen die Oberhand bis auf das Erbrecht, das 1527 in der Joachimika festgelegt
wurde. Nach langjährigen Kämpfen mit den Ständen sah man auch für das
Strafrecht das Kammergericht als landesherrliches Appellationsgericht an, und
schließlich entwickelte sich der schriftliche Prozeß, der gelehrte Richter voraussetzte,
sowie Notare, die auf Grund kaiserlichen Diploms als amtlich bestellte Urkund¬
personen für Rechtsakte galten. Männer wie der Kanzler Distelmeyer schufen für
solche Gerichtsbarkeit ein vortreffliches Beamtentum, ordneten den Geschäftsbetrieb,
drängten die Kabinettjustiz zurück und begannen auch materiell märkisches Recht
zu schaffen durch Sammlungen von Konstitutionen.

Nach dem Dreißigjährigen Kriege sank der Feudalstaat, wie er immer noch
bestanden hatte, mehr und mehr in Trümmer, die einzelnen Stände waren geschwächt
und die Fürstenmacht gewann festeren Boden. An die Stelle der alten ständischen
Gesetzgebung auf den Landtagen traten die kurfürstlichen Verordnungen, durch die
oft auch geringfügige Fragen entschieden wurden. Die Rechtspflege freilich wurde
dadurch nicht besser; denn die Verordnungen standen nur auf dem Papiere, die
unteren Gerichte entschieden nach Willkür, oft auch durch Bestechung, so daß
Friedrich Wilhelm der Erste bei seinem Regierungsantritte darüber klagte, daß die
schlechte Justiz zum Himmel schreie. Aber dennoch verliefen die Bestrebungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/140>, abgerufen am 01.01.2025.