Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei auch von Boisseree und den Nazarenern ausgesprochene und von August Kestner Schlegel wirkt dann auf die Brüder Boisseree und ihren Freund Bertram. Nicht zufällig hatte Wackenroder seine Schrift angehenden Künstlern gewidmet: Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei auch von Boisseree und den Nazarenern ausgesprochene und von August Kestner Schlegel wirkt dann auf die Brüder Boisseree und ihren Freund Bertram. Nicht zufällig hatte Wackenroder seine Schrift angehenden Künstlern gewidmet: <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319084"/> <fw type="header" place="top"> Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei</fw><lb/> <p xml:id="ID_1079" prev="#ID_1078"> auch von Boisseree und den Nazarenern ausgesprochene und von August Kestner<lb/> und I. D. Passavant später zur Verteidigung der Nazarener weiter ausgeführte<lb/> und systematisierte Gedanke Bahn, dasz nicht die großen Meister der Hochrenaissance,<lb/> von denen eigentlich, wie sich schon an ihren unmittelbaren Schülern zeige, alles<lb/> Verderben der Kunst ausgegangen sei, sondern ihre Vorläufer, die Quattrocentisten,<lb/> als Vorbilder angesehen werden müßten. Stellte er nun aber diesen italienischen<lb/> Quattrocentisten die Deutschen an die Seite, so scheinen ihm, was in der Folge<lb/> auch DilliS, die Boisseröe und Cornelius vertraten, die Deutschen den Vorzug zu<lb/> verdienen, nicht nur hinsichtlich ihrer Technik, sondern vor allem, weil sie der<lb/> religiösen Bestimmung der Kunst treuer geblieben seien und, wie wir hinzufügen<lb/> müssen, weil Schlegel in Paris bessere und zahlreichere Beispiele der damals viel¬<lb/> fach als Einheit aufgefaßten altdeutschen und altniederländischen Schulen vor Augen<lb/> hatte. Als Merkmal dieser Schulen aber empfand er, Wackenroders Gedanken<lb/> weiter ausführend, „keine verworrenen Haufen von Menschen, sondern wenige und<lb/> einzelne Figuren, aber mit dem Fleiß vollendet, der dem Gefühl von der Würde<lb/> und Heiligkeit der höchsten aller Hieroglyphen, des menschlichen Leibes natürlich<lb/> ist, strenge, ja magere Formen in scharfen Umrissen, die bestimmt heraustreten,<lb/> keine Malerei aus Helldunkel und Schmutz in Nacht und Schlagschatten, sondern<lb/> reine Verhältnisse von Massen und Farben, wie in deutlichen Akkorden; Gewänder<lb/> und Kostüme, die mit zu dem Menschen zu gehören scheinen, so schlicht und naiv<lb/> als diese, in dert Gesichtern (der Stelle, wo das Licht des göttlichen Malergeistes<lb/> am hellsten durchscheint) aber, bei aller Mannigfaltigkeit des Ausdrucks oder<lb/> der Individualität der Züge, durchaus und überall kindlich gutmütige Einfalt und<lb/> Beschränktheit". — Diese Worte klingen bereits wie ein Programm der Nazarener.</p><lb/> <p xml:id="ID_1080"> Schlegel wirkt dann auf die Brüder Boisseree und ihren Freund Bertram.<lb/> In deren klar bewußter Sammlertütigkeit vereinigte sich die Sehnsucht nach der<lb/> besseren Vergangenheit mit Pietät gegen die Schätze der altdeutschen Kunst, die<lb/> durch Aufhebung der Klöster und Zerstörung der alten Kirchen vom Untergang<lb/> bedroht waren und nun achtlos verschleudert, wohl gar zu Möbeln verarbeitet<lb/> wurden. Dazu gesellte -sich bei ihnen lokalpatriotisches und kunsthistorisches<lb/> Interesse und nicht am wenigsten teilnehmende Liebe des Kunstfreundes und<lb/> Entdeckerfreunde des Sammlers. Ihr Beispiel hat auch Göcres und Brentano<lb/> zum Sammeln angeregt, und die schon von Schlegel ausgesprochene Hoff¬<lb/> nung auf ein Nationalmuseum bemächtigte sich, besonders infolge der napo¬<lb/> leonischen und der Freiheitskriege, vieler Köpfe. Dem liebenswürdigen Eifer<lb/> des ehrlichen Sulpiz Boisseröe gelang es sogar, die Antipathie des ganz<lb/> im Klassizismus befangenen alten Goethe zu überwinden, ihm Teilnahme<lb/> für sein Kölner Domwerk abzunötigen, ein Sieg, der freilich von geringer Nach¬<lb/> haltigkeit war. Zwar ließ „der alte Herr" aus Rücksicht gegen Boisseröe in der<lb/> „Italienischen Reise" die Stelle voll Wut und Haß gegen die einst von ihm selbst<lb/> so begeistert gepriesene gotische Architektur fort, aber 1817 zog er zu Felde gegen<lb/> die „neudeutsche religiös-patriotische Kunst", ein Manifest, das die helle Empörung<lb/> aller Romantiker, auch Niebuhrs, hervorrief, wenn sie ihr auch nicht alle so kräftigen<lb/> Ausdruck verliehen wie Dorothea Schlegel. Was war geschehen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1081" next="#ID_1082"> Nicht zufällig hatte Wackenroder seine Schrift angehenden Künstlern gewidmet:<lb/> in der jüngsten Generation lag in der Tat die Erfüllung seiner Sehnsucht! der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0135]
Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei
auch von Boisseree und den Nazarenern ausgesprochene und von August Kestner
und I. D. Passavant später zur Verteidigung der Nazarener weiter ausgeführte
und systematisierte Gedanke Bahn, dasz nicht die großen Meister der Hochrenaissance,
von denen eigentlich, wie sich schon an ihren unmittelbaren Schülern zeige, alles
Verderben der Kunst ausgegangen sei, sondern ihre Vorläufer, die Quattrocentisten,
als Vorbilder angesehen werden müßten. Stellte er nun aber diesen italienischen
Quattrocentisten die Deutschen an die Seite, so scheinen ihm, was in der Folge
auch DilliS, die Boisseröe und Cornelius vertraten, die Deutschen den Vorzug zu
verdienen, nicht nur hinsichtlich ihrer Technik, sondern vor allem, weil sie der
religiösen Bestimmung der Kunst treuer geblieben seien und, wie wir hinzufügen
müssen, weil Schlegel in Paris bessere und zahlreichere Beispiele der damals viel¬
fach als Einheit aufgefaßten altdeutschen und altniederländischen Schulen vor Augen
hatte. Als Merkmal dieser Schulen aber empfand er, Wackenroders Gedanken
weiter ausführend, „keine verworrenen Haufen von Menschen, sondern wenige und
einzelne Figuren, aber mit dem Fleiß vollendet, der dem Gefühl von der Würde
und Heiligkeit der höchsten aller Hieroglyphen, des menschlichen Leibes natürlich
ist, strenge, ja magere Formen in scharfen Umrissen, die bestimmt heraustreten,
keine Malerei aus Helldunkel und Schmutz in Nacht und Schlagschatten, sondern
reine Verhältnisse von Massen und Farben, wie in deutlichen Akkorden; Gewänder
und Kostüme, die mit zu dem Menschen zu gehören scheinen, so schlicht und naiv
als diese, in dert Gesichtern (der Stelle, wo das Licht des göttlichen Malergeistes
am hellsten durchscheint) aber, bei aller Mannigfaltigkeit des Ausdrucks oder
der Individualität der Züge, durchaus und überall kindlich gutmütige Einfalt und
Beschränktheit". — Diese Worte klingen bereits wie ein Programm der Nazarener.
Schlegel wirkt dann auf die Brüder Boisseree und ihren Freund Bertram.
In deren klar bewußter Sammlertütigkeit vereinigte sich die Sehnsucht nach der
besseren Vergangenheit mit Pietät gegen die Schätze der altdeutschen Kunst, die
durch Aufhebung der Klöster und Zerstörung der alten Kirchen vom Untergang
bedroht waren und nun achtlos verschleudert, wohl gar zu Möbeln verarbeitet
wurden. Dazu gesellte -sich bei ihnen lokalpatriotisches und kunsthistorisches
Interesse und nicht am wenigsten teilnehmende Liebe des Kunstfreundes und
Entdeckerfreunde des Sammlers. Ihr Beispiel hat auch Göcres und Brentano
zum Sammeln angeregt, und die schon von Schlegel ausgesprochene Hoff¬
nung auf ein Nationalmuseum bemächtigte sich, besonders infolge der napo¬
leonischen und der Freiheitskriege, vieler Köpfe. Dem liebenswürdigen Eifer
des ehrlichen Sulpiz Boisseröe gelang es sogar, die Antipathie des ganz
im Klassizismus befangenen alten Goethe zu überwinden, ihm Teilnahme
für sein Kölner Domwerk abzunötigen, ein Sieg, der freilich von geringer Nach¬
haltigkeit war. Zwar ließ „der alte Herr" aus Rücksicht gegen Boisseröe in der
„Italienischen Reise" die Stelle voll Wut und Haß gegen die einst von ihm selbst
so begeistert gepriesene gotische Architektur fort, aber 1817 zog er zu Felde gegen
die „neudeutsche religiös-patriotische Kunst", ein Manifest, das die helle Empörung
aller Romantiker, auch Niebuhrs, hervorrief, wenn sie ihr auch nicht alle so kräftigen
Ausdruck verliehen wie Dorothea Schlegel. Was war geschehen?
Nicht zufällig hatte Wackenroder seine Schrift angehenden Künstlern gewidmet:
in der jüngsten Generation lag in der Tat die Erfüllung seiner Sehnsucht! der
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