Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Bausteine der chinesischen Kultur Umgangssprache und sich zu jener ähnlich verhält wie etwa das Spätlateinische Man sollte nun erwarten, daß der Konfuzianismus wenigstens auf ethischen: Wie ich bereits erwähnte, bilden die Vorschriften des schicklichen Verhaltens, Die klassische Literatur Chinas besitzt drei umfangreiche Ritualsammlungen, Daß unter solchen Umständen die besten Kräfte des Geistes und Gemütes Man könnte vielleicht einwenden, daß die Chinesen bei ihrer angestammten ") Der Erfolg ist in der Tat nicht sehr groß gewesen; doch gibt es auch jetzt "och
Die Schriftltg. eine Anzahl von Zeitschriften in moderner Umgangssprache. Bausteine der chinesischen Kultur Umgangssprache und sich zu jener ähnlich verhält wie etwa das Spätlateinische Man sollte nun erwarten, daß der Konfuzianismus wenigstens auf ethischen: Wie ich bereits erwähnte, bilden die Vorschriften des schicklichen Verhaltens, Die klassische Literatur Chinas besitzt drei umfangreiche Ritualsammlungen, Daß unter solchen Umständen die besten Kräfte des Geistes und Gemütes Man könnte vielleicht einwenden, daß die Chinesen bei ihrer angestammten ") Der Erfolg ist in der Tat nicht sehr groß gewesen; doch gibt es auch jetzt »och
Die Schriftltg. eine Anzahl von Zeitschriften in moderner Umgangssprache. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319081"/> <fw type="header" place="top"> Bausteine der chinesischen Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065"> Umgangssprache und sich zu jener ähnlich verhält wie etwa das Spätlateinische<lb/> zur Sprache Ciceros. Selbstverständlich ist die Literatur dadurch zu einem<lb/> ausschließlichen Privilegium derjenigen geworden, die sich einer gelehrten Bildung<lb/> erfreuen. Zwar hat man neuerdings den Versuch gemacht, einige Zeitschriften<lb/> in der modernen Umgangssprache erscheinen zu lassen, doch scheint das Unter¬<lb/> nehmen bereits im Sande verlaufen zu sein").</p><lb/> <p xml:id="ID_1067"> Man sollte nun erwarten, daß der Konfuzianismus wenigstens auf ethischen:<lb/> Gebiete einen günstigen Erfolg aufzuweisen hätte. Aber auch hier ist das<lb/> Gesamtergebnis leider kein allzu glänzendes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1068"> Wie ich bereits erwähnte, bilden die Vorschriften des schicklichen Verhaltens,<lb/> des ki, die Richtschnur des sittlichen Handelns. Von vornherein lag die Gefahr<lb/> nahe, daß bei einer so einseitigen Betonung eines rein äußerlichen Momentes<lb/> schließlich das korrekte Benehmen an die Stelle des sittlichen Empfindens treten<lb/> könnte: und dieser Fall ist denn auch in der Tat eingetreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1069"> Die klassische Literatur Chinas besitzt drei umfangreiche Ritualsammlungen,<lb/> in denen nicht nur der religiöse Kultus, die höfische Etikette, der gesellschaftliche<lb/> Verkehr, sondern auch das häusliche Leben, wie es sich im Schoße der Familie<lb/> abspielt, durch die denkbar minutiösesten Vorschriften für jeden möglichen Einzelfall<lb/> geregelt ist. Und wenn es auch selbstverständlich ausgeschlossen ist, daß jede<lb/> einzelne der zahllosen Schicklichkeitsregeln buchstäblich befolgt wird, so ist doch<lb/> dieses Formenwesen den Chinesen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen,<lb/> daß es ihnen nachgerade zur zweiten Natur geworden ist. Der nivellierende<lb/> Druck konventioneller Schablone scheint in der Tat allmählich jede freie Ent-<lb/> faltung der Individualität und jede spontane Regung des Gefühls unterdrückt<lb/> zu haben. Wer z. B. die außerordentlich vielfältigen und verwickelten chinesischen<lb/> Totenbräuche kennt, braucht nur einer chinesischen Leichenfeier beizuwohnen, um<lb/> an dem Verhalten der nächsten Leidtragenden beobachten zu können, wie selbst<lb/> der tiefste Schmerz sich nicht frei äußern darf, weil er unter der steten Kontrolle<lb/> ritueller Vorschriften steht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1070"> Daß unter solchen Umständen die besten Kräfte des Geistes und Gemütes<lb/> verkümmern und verkrüppeln müssen, liegt auf der Hand: Klugheit artet in<lb/> berechnende Schlauheit. Wohlwollen in nichtssagende Höflichkeit aus, und in<lb/> der diplomatischen Kunst, die Wahrheit zu umgehen, ohne sich einer direkten<lb/> Unwahrheit schuldig zu machen, haben es die Chinesen vielleicht weiter gebracht<lb/> als irgendein anderes Volk des Orients.</p><lb/> <p xml:id="ID_1071" next="#ID_1072"> Man könnte vielleicht einwenden, daß die Chinesen bei ihrer angestammten<lb/> Abneigung und dem allgemein verbreiteten Mißtrauen gegen alles Fremde sich<lb/> dem Auslande gegenüber nicht so geben, wie sie sind, und daß daher die Gefahr<lb/> einer einseitigen und daher ungerechten Beurteilung des chinesischen National¬<lb/> charakters kaum zu vermeiden sei. Nun ist es allerdings ganz richtig, daß es</p><lb/> <note xml:id="FID_8" place="foot"> ") Der Erfolg ist in der Tat nicht sehr groß gewesen; doch gibt es auch jetzt »och<lb/><note type="byline"> Die Schriftltg.</note> eine Anzahl von Zeitschriften in moderner Umgangssprache. </note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
Bausteine der chinesischen Kultur
Umgangssprache und sich zu jener ähnlich verhält wie etwa das Spätlateinische
zur Sprache Ciceros. Selbstverständlich ist die Literatur dadurch zu einem
ausschließlichen Privilegium derjenigen geworden, die sich einer gelehrten Bildung
erfreuen. Zwar hat man neuerdings den Versuch gemacht, einige Zeitschriften
in der modernen Umgangssprache erscheinen zu lassen, doch scheint das Unter¬
nehmen bereits im Sande verlaufen zu sein").
Man sollte nun erwarten, daß der Konfuzianismus wenigstens auf ethischen:
Gebiete einen günstigen Erfolg aufzuweisen hätte. Aber auch hier ist das
Gesamtergebnis leider kein allzu glänzendes.
Wie ich bereits erwähnte, bilden die Vorschriften des schicklichen Verhaltens,
des ki, die Richtschnur des sittlichen Handelns. Von vornherein lag die Gefahr
nahe, daß bei einer so einseitigen Betonung eines rein äußerlichen Momentes
schließlich das korrekte Benehmen an die Stelle des sittlichen Empfindens treten
könnte: und dieser Fall ist denn auch in der Tat eingetreten.
Die klassische Literatur Chinas besitzt drei umfangreiche Ritualsammlungen,
in denen nicht nur der religiöse Kultus, die höfische Etikette, der gesellschaftliche
Verkehr, sondern auch das häusliche Leben, wie es sich im Schoße der Familie
abspielt, durch die denkbar minutiösesten Vorschriften für jeden möglichen Einzelfall
geregelt ist. Und wenn es auch selbstverständlich ausgeschlossen ist, daß jede
einzelne der zahllosen Schicklichkeitsregeln buchstäblich befolgt wird, so ist doch
dieses Formenwesen den Chinesen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen,
daß es ihnen nachgerade zur zweiten Natur geworden ist. Der nivellierende
Druck konventioneller Schablone scheint in der Tat allmählich jede freie Ent-
faltung der Individualität und jede spontane Regung des Gefühls unterdrückt
zu haben. Wer z. B. die außerordentlich vielfältigen und verwickelten chinesischen
Totenbräuche kennt, braucht nur einer chinesischen Leichenfeier beizuwohnen, um
an dem Verhalten der nächsten Leidtragenden beobachten zu können, wie selbst
der tiefste Schmerz sich nicht frei äußern darf, weil er unter der steten Kontrolle
ritueller Vorschriften steht.
Daß unter solchen Umständen die besten Kräfte des Geistes und Gemütes
verkümmern und verkrüppeln müssen, liegt auf der Hand: Klugheit artet in
berechnende Schlauheit. Wohlwollen in nichtssagende Höflichkeit aus, und in
der diplomatischen Kunst, die Wahrheit zu umgehen, ohne sich einer direkten
Unwahrheit schuldig zu machen, haben es die Chinesen vielleicht weiter gebracht
als irgendein anderes Volk des Orients.
Man könnte vielleicht einwenden, daß die Chinesen bei ihrer angestammten
Abneigung und dem allgemein verbreiteten Mißtrauen gegen alles Fremde sich
dem Auslande gegenüber nicht so geben, wie sie sind, und daß daher die Gefahr
einer einseitigen und daher ungerechten Beurteilung des chinesischen National¬
charakters kaum zu vermeiden sei. Nun ist es allerdings ganz richtig, daß es
") Der Erfolg ist in der Tat nicht sehr groß gewesen; doch gibt es auch jetzt »och
Die Schriftltg. eine Anzahl von Zeitschriften in moderner Umgangssprache.
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