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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

bewahren sollte. Nachdem aber die Lehensfürsten niedergeworfen und verjagt
worden waren, galt es, noch eine andere, unsichtbare Macht, die dem neuen
Regime als ein gefahrdrohendes Hindernis im Wege stand, zu beseitigen: die
durch ihr Alter geheiligte Tradition. Um dieses Band zwischen Altertum und
Gegenwart endgültig zu zerreißen, erließ Shi-hoang-ti das berüchtigte Edikt der
Bücherverbrennung, durch welches die Konfiskation und Vernichtung der gesamten
schriftlichen Überlieferung angeordnet wurde, mit alleiniger Ausnahme von Texten,
die Medizin, Wahrsagekunst, Ackerbau und Baumzucht zum Gegenstande hatten.
Zuwiderhandelnde sollten mit dem Tode bestraft werden. Der Befehl wurde
im Jahre 213 v. Chr. mit unnachsichtlicher Strenge ausgeführt. Damit schien
das Lebenswerk des Konfuzius für alle Zeiten vernichtet zu sein, und es läßt
sich schwer übersehen, welche Folgen diese drakonische Maßregel nach sich gezogen
hätte, wenn der jungen Dynastie eine längere Dauer beschieden gewesen wäre.
Tatsächlich liegen die Dinge jedoch so, daß durch die Bücherverbrennung gerade
das Gegenteil von dem erreicht wurde, was sie bezweckt hatte. Schon vier
Jahre nach jener Katastrophe starb der Kaiser Shi-hoang-ti, und nach weiteren
sieben Jahren hatten seine unfähigen Nachfolger abgewirtschaftet und die Herr¬
schaft über das Reich verwirkt.

Das neue Herrscherhaus der Hau behielt zwar die von Shi-hoang-ti
geschaffene Organisation, freilich unter schonenden Formen, bei, suchte jedoch im
Gegensatz zu ihm das zerrissene Band der Tradition wiederherzustellen und
dadurch seine Herrschaft gewissermaßen zu legitimieren. Zahllose Hände reckten
sich, um die verloren geglaubten altehrwürdigen Texte wieder aufzufinden und
aus Schutt und Trümmern ans Licht zu fördern, und den erfolgreichen Be¬
mühungen der Gelehrten jener Zeit ist es zu verdanken, daß die klassische
Literatur Chinas schließlich vom Untergange gerettet wurde.

Wie ein Phönix verjüngt ging Konfuzius aus der Asche der Bücher¬
verbrennung hervor: beinahe göttliche Ehren werden ihm erwiesen, Tempel werden
ihm errichtet und seinen Manen Opfer dargebracht, die von ihm gesammelten
Texte erhalten die Geltung heiliger Schriften, seine Lehren und Aussprüche
werden als eine Art Evangelium verehrt und zur Grundlage aller Erziehung
gemacht: kurz, von nun an ist die Herrschaft des Konfuzianismus endgültig
und dauernd gesichert.

Unstreitig waren es zum großen Teil politische Erwägungen, unter deren
Einfluß sich diese Wandlung der Dinge vollzog: die neue Dynastie erblickte
offenbar in der konfuzianischen Überlieferung die sicherste Stütze ihres Thrones,
und es ist daher auch leicht zu begreifen, wenn jetzt die Wiederhersteller und
berufenen Träger jener Überlieferung, die Gelehrten, sich eines außerordentlich
hohen Ansehens erfreuten und zu einem Einfluß auf die öffentlichen Angelegen¬
heiten gelangten, den sie früher nicht in solchem Maße besessen hatten.

Es spricht für die hohe staatsmännische Weisheit der ersten Kaiser der
Hau - Dynastie, daß sie das in der Tradition wurzelnde Feudalsystem zunächst


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bewahren sollte. Nachdem aber die Lehensfürsten niedergeworfen und verjagt
worden waren, galt es, noch eine andere, unsichtbare Macht, die dem neuen
Regime als ein gefahrdrohendes Hindernis im Wege stand, zu beseitigen: die
durch ihr Alter geheiligte Tradition. Um dieses Band zwischen Altertum und
Gegenwart endgültig zu zerreißen, erließ Shi-hoang-ti das berüchtigte Edikt der
Bücherverbrennung, durch welches die Konfiskation und Vernichtung der gesamten
schriftlichen Überlieferung angeordnet wurde, mit alleiniger Ausnahme von Texten,
die Medizin, Wahrsagekunst, Ackerbau und Baumzucht zum Gegenstande hatten.
Zuwiderhandelnde sollten mit dem Tode bestraft werden. Der Befehl wurde
im Jahre 213 v. Chr. mit unnachsichtlicher Strenge ausgeführt. Damit schien
das Lebenswerk des Konfuzius für alle Zeiten vernichtet zu sein, und es läßt
sich schwer übersehen, welche Folgen diese drakonische Maßregel nach sich gezogen
hätte, wenn der jungen Dynastie eine längere Dauer beschieden gewesen wäre.
Tatsächlich liegen die Dinge jedoch so, daß durch die Bücherverbrennung gerade
das Gegenteil von dem erreicht wurde, was sie bezweckt hatte. Schon vier
Jahre nach jener Katastrophe starb der Kaiser Shi-hoang-ti, und nach weiteren
sieben Jahren hatten seine unfähigen Nachfolger abgewirtschaftet und die Herr¬
schaft über das Reich verwirkt.

Das neue Herrscherhaus der Hau behielt zwar die von Shi-hoang-ti
geschaffene Organisation, freilich unter schonenden Formen, bei, suchte jedoch im
Gegensatz zu ihm das zerrissene Band der Tradition wiederherzustellen und
dadurch seine Herrschaft gewissermaßen zu legitimieren. Zahllose Hände reckten
sich, um die verloren geglaubten altehrwürdigen Texte wieder aufzufinden und
aus Schutt und Trümmern ans Licht zu fördern, und den erfolgreichen Be¬
mühungen der Gelehrten jener Zeit ist es zu verdanken, daß die klassische
Literatur Chinas schließlich vom Untergange gerettet wurde.

Wie ein Phönix verjüngt ging Konfuzius aus der Asche der Bücher¬
verbrennung hervor: beinahe göttliche Ehren werden ihm erwiesen, Tempel werden
ihm errichtet und seinen Manen Opfer dargebracht, die von ihm gesammelten
Texte erhalten die Geltung heiliger Schriften, seine Lehren und Aussprüche
werden als eine Art Evangelium verehrt und zur Grundlage aller Erziehung
gemacht: kurz, von nun an ist die Herrschaft des Konfuzianismus endgültig
und dauernd gesichert.

Unstreitig waren es zum großen Teil politische Erwägungen, unter deren
Einfluß sich diese Wandlung der Dinge vollzog: die neue Dynastie erblickte
offenbar in der konfuzianischen Überlieferung die sicherste Stütze ihres Thrones,
und es ist daher auch leicht zu begreifen, wenn jetzt die Wiederhersteller und
berufenen Träger jener Überlieferung, die Gelehrten, sich eines außerordentlich
hohen Ansehens erfreuten und zu einem Einfluß auf die öffentlichen Angelegen¬
heiten gelangten, den sie früher nicht in solchem Maße besessen hatten.

Es spricht für die hohe staatsmännische Weisheit der ersten Kaiser der
Hau - Dynastie, daß sie das in der Tradition wurzelnde Feudalsystem zunächst


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[0129] Bausteine der chinesischen Kultur bewahren sollte. Nachdem aber die Lehensfürsten niedergeworfen und verjagt worden waren, galt es, noch eine andere, unsichtbare Macht, die dem neuen Regime als ein gefahrdrohendes Hindernis im Wege stand, zu beseitigen: die durch ihr Alter geheiligte Tradition. Um dieses Band zwischen Altertum und Gegenwart endgültig zu zerreißen, erließ Shi-hoang-ti das berüchtigte Edikt der Bücherverbrennung, durch welches die Konfiskation und Vernichtung der gesamten schriftlichen Überlieferung angeordnet wurde, mit alleiniger Ausnahme von Texten, die Medizin, Wahrsagekunst, Ackerbau und Baumzucht zum Gegenstande hatten. Zuwiderhandelnde sollten mit dem Tode bestraft werden. Der Befehl wurde im Jahre 213 v. Chr. mit unnachsichtlicher Strenge ausgeführt. Damit schien das Lebenswerk des Konfuzius für alle Zeiten vernichtet zu sein, und es läßt sich schwer übersehen, welche Folgen diese drakonische Maßregel nach sich gezogen hätte, wenn der jungen Dynastie eine längere Dauer beschieden gewesen wäre. Tatsächlich liegen die Dinge jedoch so, daß durch die Bücherverbrennung gerade das Gegenteil von dem erreicht wurde, was sie bezweckt hatte. Schon vier Jahre nach jener Katastrophe starb der Kaiser Shi-hoang-ti, und nach weiteren sieben Jahren hatten seine unfähigen Nachfolger abgewirtschaftet und die Herr¬ schaft über das Reich verwirkt. Das neue Herrscherhaus der Hau behielt zwar die von Shi-hoang-ti geschaffene Organisation, freilich unter schonenden Formen, bei, suchte jedoch im Gegensatz zu ihm das zerrissene Band der Tradition wiederherzustellen und dadurch seine Herrschaft gewissermaßen zu legitimieren. Zahllose Hände reckten sich, um die verloren geglaubten altehrwürdigen Texte wieder aufzufinden und aus Schutt und Trümmern ans Licht zu fördern, und den erfolgreichen Be¬ mühungen der Gelehrten jener Zeit ist es zu verdanken, daß die klassische Literatur Chinas schließlich vom Untergange gerettet wurde. Wie ein Phönix verjüngt ging Konfuzius aus der Asche der Bücher¬ verbrennung hervor: beinahe göttliche Ehren werden ihm erwiesen, Tempel werden ihm errichtet und seinen Manen Opfer dargebracht, die von ihm gesammelten Texte erhalten die Geltung heiliger Schriften, seine Lehren und Aussprüche werden als eine Art Evangelium verehrt und zur Grundlage aller Erziehung gemacht: kurz, von nun an ist die Herrschaft des Konfuzianismus endgültig und dauernd gesichert. Unstreitig waren es zum großen Teil politische Erwägungen, unter deren Einfluß sich diese Wandlung der Dinge vollzog: die neue Dynastie erblickte offenbar in der konfuzianischen Überlieferung die sicherste Stütze ihres Thrones, und es ist daher auch leicht zu begreifen, wenn jetzt die Wiederhersteller und berufenen Träger jener Überlieferung, die Gelehrten, sich eines außerordentlich hohen Ansehens erfreuten und zu einem Einfluß auf die öffentlichen Angelegen¬ heiten gelangten, den sie früher nicht in solchem Maße besessen hatten. Es spricht für die hohe staatsmännische Weisheit der ersten Kaiser der Hau - Dynastie, daß sie das in der Tradition wurzelnde Feudalsystem zunächst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/129>, abgerufen am 06.01.2025.