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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Bausteine der chinesischen Kultur

eins von den beiden übrigen verzichten müßte, was wäre dann zuerst preis¬
zugeben?" -- Der Meister sagt: "Die Ernährung. Von alters her ist der Tod
allen gemeinsam, aber ohne Vertrauen kann ein Volk nicht bestehen."

Dieser allerdings nur sehr summarische Überblick über die wichtigsten Grund¬
gedanken der konfuzianischen Lehren wird, wie ich hoffe, immerhin genügen,
um mit einiger Deutlichkeit erkennen zu lassen, wes Geistes Kind Konfuzius
war und was für Ziele und Bestrebungen seinen: ganzen Denken und Wirken
die Richtung gaben. ?

Die Vorzüge wie die Schwächen der konfuzianischen Ethik gehen aus der
Wesensart und Geistesrichtung ihres Schöpfers hervor. Konfuzius stand mit
beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit, und was er anstrebte, mußte
daher auch so beschaffen sein, daß es sich verwirklichen ließ: mit unerreichbaren
Idealen rechnet er nicht. Neue Wege hat er in seinen Lehren nicht eingeschlagen,
sondern nur alte und in Verfall geratene wieder gangbar gemacht, und er selbst
kannte die Grenzen, die ihm gesteckt waren, sehr genau, wenn er von sich sagte:
"Ich bin ein Überlieferer, aber kein Schöpfer; ich glaube ans Altertum und
liebe es." Konfuzius war auch kein Wahrheitssucher: die Erkenntnis als solche
hatte für ihn keinen Wert, sondern nur, sofern sie zur Tugend führte, und zwar
zur Tugend im Sinne bürgerlicher Tüchtigkeit, die es dem einzelnen ermöglicht,
den Platz, den er einnimmt, auch auszufüllen. Mehr als das verlangt er
nicht, und dies ist auch der Gedanke, dem er lapidaren Ausdruck gibt in den
.Worten: "Der Fürst sei Fürst, der Untertan sei Untertan, der Vater sei Vater,
der Sohn sei Sohn." Metaphysisches Interesse und dichterische Einbildungskraft
fehlen ihm gänzlich: daher auch in seinen Aussprüchen nie der Ton des begeisterten
Propheten, fondern immer nur verständige, schwunglose Nüchternheit, die bis¬
weilen wohl auch zu einer gewissen hausbackenen Gesinnungstüchtigkeit verflacht.

Alle hier aufgezählten individuellen Züge des Konfuzius sind aber zugleich
auch bestimmende Merkmale des chinesischen Nationalcharakters und erhalten
eben dadurch eine erhöhte Bedeutung; denn sicherlich hat die scharf ausgeprägte
nationale Eigenart seiner Persönlichkeit mächtig zu seinem Erfolge beigetragen.
Daß er jedoch als geistiger Führer der Nation schließlich zu einer Herrschaft
gelangen konnte, die allen Wechsel der Dynastien überdauert und ihm den
Ehrennamen eines ungekrönten Königs eingetragen hat, ist doch wohl zum
wesentlichen Teile den folgenschweren geschichtlichen Ereignissen zuzuschreiben, die
sich wenige Jahrhunderte nach seinem Tode abspielten.

Im Jahre 235 v. Chr. brach die Chou-Dynastie, die langlebigste Dynastie,
die je den Thron Chinas innegehabt hat, zusammen, und ihre Nachfolgerin,
das Haus Ts'in, bezeichnet trotz einer nur funfzigjährigen Herrschaft einen ent¬
scheidenden Wendepunkt in der politischen Geschichte Chinas.

Unter der Regierung des gewaltigen Kaisers Shi-hoang-ti wurden die bis¬
herigen Lehensstaaten in Provinzen umgewandelt, und das Reich erhielt den
Charakter einer zentralisierten Monarchie, den es von nun an für alle Zeiten


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eins von den beiden übrigen verzichten müßte, was wäre dann zuerst preis¬
zugeben?" — Der Meister sagt: „Die Ernährung. Von alters her ist der Tod
allen gemeinsam, aber ohne Vertrauen kann ein Volk nicht bestehen."

Dieser allerdings nur sehr summarische Überblick über die wichtigsten Grund¬
gedanken der konfuzianischen Lehren wird, wie ich hoffe, immerhin genügen,
um mit einiger Deutlichkeit erkennen zu lassen, wes Geistes Kind Konfuzius
war und was für Ziele und Bestrebungen seinen: ganzen Denken und Wirken
die Richtung gaben. ?

Die Vorzüge wie die Schwächen der konfuzianischen Ethik gehen aus der
Wesensart und Geistesrichtung ihres Schöpfers hervor. Konfuzius stand mit
beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit, und was er anstrebte, mußte
daher auch so beschaffen sein, daß es sich verwirklichen ließ: mit unerreichbaren
Idealen rechnet er nicht. Neue Wege hat er in seinen Lehren nicht eingeschlagen,
sondern nur alte und in Verfall geratene wieder gangbar gemacht, und er selbst
kannte die Grenzen, die ihm gesteckt waren, sehr genau, wenn er von sich sagte:
„Ich bin ein Überlieferer, aber kein Schöpfer; ich glaube ans Altertum und
liebe es." Konfuzius war auch kein Wahrheitssucher: die Erkenntnis als solche
hatte für ihn keinen Wert, sondern nur, sofern sie zur Tugend führte, und zwar
zur Tugend im Sinne bürgerlicher Tüchtigkeit, die es dem einzelnen ermöglicht,
den Platz, den er einnimmt, auch auszufüllen. Mehr als das verlangt er
nicht, und dies ist auch der Gedanke, dem er lapidaren Ausdruck gibt in den
.Worten: „Der Fürst sei Fürst, der Untertan sei Untertan, der Vater sei Vater,
der Sohn sei Sohn." Metaphysisches Interesse und dichterische Einbildungskraft
fehlen ihm gänzlich: daher auch in seinen Aussprüchen nie der Ton des begeisterten
Propheten, fondern immer nur verständige, schwunglose Nüchternheit, die bis¬
weilen wohl auch zu einer gewissen hausbackenen Gesinnungstüchtigkeit verflacht.

Alle hier aufgezählten individuellen Züge des Konfuzius sind aber zugleich
auch bestimmende Merkmale des chinesischen Nationalcharakters und erhalten
eben dadurch eine erhöhte Bedeutung; denn sicherlich hat die scharf ausgeprägte
nationale Eigenart seiner Persönlichkeit mächtig zu seinem Erfolge beigetragen.
Daß er jedoch als geistiger Führer der Nation schließlich zu einer Herrschaft
gelangen konnte, die allen Wechsel der Dynastien überdauert und ihm den
Ehrennamen eines ungekrönten Königs eingetragen hat, ist doch wohl zum
wesentlichen Teile den folgenschweren geschichtlichen Ereignissen zuzuschreiben, die
sich wenige Jahrhunderte nach seinem Tode abspielten.

Im Jahre 235 v. Chr. brach die Chou-Dynastie, die langlebigste Dynastie,
die je den Thron Chinas innegehabt hat, zusammen, und ihre Nachfolgerin,
das Haus Ts'in, bezeichnet trotz einer nur funfzigjährigen Herrschaft einen ent¬
scheidenden Wendepunkt in der politischen Geschichte Chinas.

Unter der Regierung des gewaltigen Kaisers Shi-hoang-ti wurden die bis¬
herigen Lehensstaaten in Provinzen umgewandelt, und das Reich erhielt den
Charakter einer zentralisierten Monarchie, den es von nun an für alle Zeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/128>, abgerufen am 07.01.2025.