Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Bausteine der chinesischen Kultur bezeichnet die konfuzianische Menschlichkeit kaum mehr als ein allgemeines Wohl¬ Daß die Feindesliebe im christlichen Sinne, die in dem Gebote gipfelt, Sind sonach Menschlichkeit und Gerechtigkeit die beiden Grundprinzipien Jeder, der einmal in den Fall gekommen ist, einen fremdsprachigen Text Bausteine der chinesischen Kultur bezeichnet die konfuzianische Menschlichkeit kaum mehr als ein allgemeines Wohl¬ Daß die Feindesliebe im christlichen Sinne, die in dem Gebote gipfelt, Sind sonach Menschlichkeit und Gerechtigkeit die beiden Grundprinzipien Jeder, der einmal in den Fall gekommen ist, einen fremdsprachigen Text <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319075"/> <fw type="header" place="top"> Bausteine der chinesischen Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1040" prev="#ID_1039"> bezeichnet die konfuzianische Menschlichkeit kaum mehr als ein allgemeines Wohl¬<lb/> wollen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Als einer seiner Jünger den Konfuzius<lb/> einmal fragt, ob es ein Wort gebe, nach welchem man sich sein Leben lang<lb/> richten könne, erwidert er: „Vielleicht Gegenseitigkeit: was du nicht willst, daß<lb/> man dir tu, das füg' auch keinem andern zu." Es ist für die chinesisch-kon¬<lb/> fuzianische Denkweise sehr bezeichnend, daß, als hundert Jahre später der Philosoph<lb/> Mob Tih das Gebot der allgemeinen Menschenliebe predigte, Meng-tsze, der<lb/> größte unter den nächsten Nachfolgern des Konfuzius, diese Lehre als im höchsten<lb/> Grade unsittlich und verderblich bekämpfte, weil' sie die geheiligten Bande der<lb/> Blutsverwandtschaft zu lockern drohe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1041"> Daß die Feindesliebe im christlichen Sinne, die in dem Gebote gipfelt,<lb/> Böses mit Gutem zu vergelten, in der konfuzianischen Ethik keinen Platz findet,<lb/> versteht sich hiernach von selbst. Als ihn jemand fragt, ob man Unrecht mit<lb/> Güte vergelten solle, antwortet denn auch Konfuzius gemessen: „Womit wolltest<lb/> du dann Güte vergelten? Mit Gerechtigkeit vergelte man Unrecht; Güte mit Güte."</p><lb/> <p xml:id="ID_1042"> Sind sonach Menschlichkeit und Gerechtigkeit die beiden Grundprinzipien<lb/> des sittlichen Handelns, so ist sein Kompaß und Regulator, nach dem es sich<lb/> in jedem Einzelfalle zu richten hat, um nicht vom rechten Wege abzuirren, das,<lb/> was der Chinese mit dem vieldeutigen Worte ki bezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1043"> Jeder, der einmal in den Fall gekommen ist, einen fremdsprachigen Text<lb/> zu übersetzen, wird die Erfahrung gemacht haben, wie schwierig es oft ist, selbst<lb/> wo es sich um verwandte Idiome handelt, für gewisse Ausdrücke zureichende<lb/> Äquivalente in der eigenen Muttersprache zu finden. Selbstverständlich wächst<lb/> die Schwierigkeit noch ganz erheblich, wenn man es, wie es hier der Fall ist,<lb/> mit einer Sprache zu tun hat, die nicht nur mit der unseren nicht verwandt<lb/> ist, sondern auch obendrein noch einem dem unseren gänzlich fremden Kulturkreise<lb/> angehört. Da bleibt oft kein anderer Ausweg übrig, als den Sprachgebrauch<lb/> zu Rate zu ziehen und sich an der Hand desselben, so gut es eben geht, mit<lb/> Umschreibungen und Definitionen zu behelfen. Ein ähnlicher Fall liegt hier<lb/> vor. Ursprünglich bezeichnet der Ausdruck ki nachweislich nichts anderes als<lb/> Riten und Bräuche, die sich auf den religiösen Kultus beziehen. Soweit wir<lb/> jedoch den Sprachgebrauch historisch zurückverfolgen können, läßt sich eine solche<lb/> Einschränkung auf das religiöse Gebiet allein nicht nachweisen; vielmehr hat es<lb/> bereits in den ältesten Texten den Sinn vorgeschriebener Bräuche sowohl religiösen,<lb/> als auch profanen Charakters. Sonach sind unter ki nicht nur die religiösen<lb/> Riten, sondern auch die Vorschriften der höfischen Etikette und die konventionellen<lb/> Umgangsformen im geselligen und häuslichen Verkehr zu verstehen. Aber auch<lb/> damit ist der Inhalt des vielumfassenden Wortes noch nicht erschöpft, denn<lb/> neben dem schicklichen Verhalten im häuslichen und öffentlichen Leben bedeutet<lb/> es außerdem noch die diesem äußeren Verhalten zugrunde liegende innere<lb/> Gesinnung und dient mithin als gleichzeitiges Äquivalent für unsere Begriffe<lb/> der Schicklichkeit und der Sittlichkeit.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
Bausteine der chinesischen Kultur
bezeichnet die konfuzianische Menschlichkeit kaum mehr als ein allgemeines Wohl¬
wollen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Als einer seiner Jünger den Konfuzius
einmal fragt, ob es ein Wort gebe, nach welchem man sich sein Leben lang
richten könne, erwidert er: „Vielleicht Gegenseitigkeit: was du nicht willst, daß
man dir tu, das füg' auch keinem andern zu." Es ist für die chinesisch-kon¬
fuzianische Denkweise sehr bezeichnend, daß, als hundert Jahre später der Philosoph
Mob Tih das Gebot der allgemeinen Menschenliebe predigte, Meng-tsze, der
größte unter den nächsten Nachfolgern des Konfuzius, diese Lehre als im höchsten
Grade unsittlich und verderblich bekämpfte, weil' sie die geheiligten Bande der
Blutsverwandtschaft zu lockern drohe.
Daß die Feindesliebe im christlichen Sinne, die in dem Gebote gipfelt,
Böses mit Gutem zu vergelten, in der konfuzianischen Ethik keinen Platz findet,
versteht sich hiernach von selbst. Als ihn jemand fragt, ob man Unrecht mit
Güte vergelten solle, antwortet denn auch Konfuzius gemessen: „Womit wolltest
du dann Güte vergelten? Mit Gerechtigkeit vergelte man Unrecht; Güte mit Güte."
Sind sonach Menschlichkeit und Gerechtigkeit die beiden Grundprinzipien
des sittlichen Handelns, so ist sein Kompaß und Regulator, nach dem es sich
in jedem Einzelfalle zu richten hat, um nicht vom rechten Wege abzuirren, das,
was der Chinese mit dem vieldeutigen Worte ki bezeichnet.
Jeder, der einmal in den Fall gekommen ist, einen fremdsprachigen Text
zu übersetzen, wird die Erfahrung gemacht haben, wie schwierig es oft ist, selbst
wo es sich um verwandte Idiome handelt, für gewisse Ausdrücke zureichende
Äquivalente in der eigenen Muttersprache zu finden. Selbstverständlich wächst
die Schwierigkeit noch ganz erheblich, wenn man es, wie es hier der Fall ist,
mit einer Sprache zu tun hat, die nicht nur mit der unseren nicht verwandt
ist, sondern auch obendrein noch einem dem unseren gänzlich fremden Kulturkreise
angehört. Da bleibt oft kein anderer Ausweg übrig, als den Sprachgebrauch
zu Rate zu ziehen und sich an der Hand desselben, so gut es eben geht, mit
Umschreibungen und Definitionen zu behelfen. Ein ähnlicher Fall liegt hier
vor. Ursprünglich bezeichnet der Ausdruck ki nachweislich nichts anderes als
Riten und Bräuche, die sich auf den religiösen Kultus beziehen. Soweit wir
jedoch den Sprachgebrauch historisch zurückverfolgen können, läßt sich eine solche
Einschränkung auf das religiöse Gebiet allein nicht nachweisen; vielmehr hat es
bereits in den ältesten Texten den Sinn vorgeschriebener Bräuche sowohl religiösen,
als auch profanen Charakters. Sonach sind unter ki nicht nur die religiösen
Riten, sondern auch die Vorschriften der höfischen Etikette und die konventionellen
Umgangsformen im geselligen und häuslichen Verkehr zu verstehen. Aber auch
damit ist der Inhalt des vielumfassenden Wortes noch nicht erschöpft, denn
neben dem schicklichen Verhalten im häuslichen und öffentlichen Leben bedeutet
es außerdem noch die diesem äußeren Verhalten zugrunde liegende innere
Gesinnung und dient mithin als gleichzeitiges Äquivalent für unsere Begriffe
der Schicklichkeit und der Sittlichkeit.
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