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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Lebcnsvcrtcucrung und ihre Bekämpfung

Bekämpfung des Bodenwuchers in den Städten zu. Ein erheblicher Rückgang
der Grundstückspreise ist nur dann zu erwarten, wenn die Gemeinden oder die
weiteren Kommunalverbände selbst Grundbesitz kaufen und verkaufen, wenn alle
irgendwie entbehrlichen, das Bauen beschränkenden Bestimmungen beseitigt werden
und wenn gleichzeitig der Vorortbahnverkehr ohne Rücksicht auf das finanzielle
Ergebnis in großzügiger Weise so ausgestaltet wird, daß auch die weitere
Umgebung der Städte der Besiedelung durch die städtische Bevölkerung erschlösse"
wird, wenn also das Angebot in Grundstücken gegen jetzt eine außerordentliche
Steigerung erfährt. Wir empfehlen in dieser Hinsicht die Ausführungen der
erwähnten Schrift über die Not des höheren Mittelstandes der Beachtung
unserer Politiker. Ähnlich verhält es sich mit den Kohlenpreisen. Nur eine
starke Erhöhung des Angebotes durch Erleichterung der Einfuhr fremder Kohle
und durch erhebliche Erweiterung des Betriebes der Staatsbergverwaltuug kann
die im Interesse unserer Industrie und der Privatwirtschaften dringend erwünschte
Verbilligung der Kohlen herbeiführen. Mit dem Verfasser der Schrift würden
auch wir die Verstaatlichung des gesamten Stein- und Braunkohlenbergbaus
in Preußen freudig begrüßen, obwohl das jetzige finanzielle Ergebnis der staat¬
lichen Zechen nicht günstig ist.

Um eine Herabsetzung der Preise der sonstigen unentbehrlichen Lebens¬
bedürfnisse zu erreichen, stehen, wie die von uns empfohlenen Untersuchungen
ergeben dürften, zunächst verschiedene andere Wege offen. Sollten sie aber wider
Erwarten nicht zum Ziele führen, so werden die Gemeinden, da sie für das
wirtschaftliche Wohl ihrer Einwohner zu sorgen haben, nicht davon absehen
dürfen, in Wettbewerb mit den beteiligten Gewerbetreibenden zu treten und die
Beschaffung und Feilhaltung der betreffenden Lebensbedürfnisse (Fleisch, Gemüse,
Brot, Wohnungen!) selbst in die Hand zu nehmen, wenigstens solange, bis die
Unternehmer den billigen Ansprüchen der Abnehmer entgegenkommen. Eine
Regelung der Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse durch polizeiliche
Taxen muß dagegen ausgeschlossen bleiben, und zwar schon deshalb, weil sie
bei Waren, die in sehr verschiedener Güte geliefert werden können, ihren Zweck
verfehlen. Auch sonstige Beschränkungen der Unternehmer in bezug auf die
Höhe der Preise und ihres Gewinns erscheinen nur in ganz besonderen Aus¬
nahmefällen, wie in bezug auf Kali und Diamanten, gerechtfertigt.

Im allgemeinen genügt die Aufklärung des Publikums darüber, wie die
Preise der Lebensbedürfnisse sich zusammensetzen und welcher Teil davon aus
den Unternehmergewinn entfällt. Das Volk und alle, die für sein Wohl zu
sorgen haben, werden daraus ersehen, worauf die Lebensverteuerung zurück¬
zuführen und wer dafür verantwortlich zu machen ist. Durch die Veröffent¬
lichungen über die Entstehung der Preise und durch die Erörterungen, die sich
daran besonders in der Presse und in öffentlichen Versammlungen knüpfen dürften,
wird auch das Gewissen der Verkäufer geschärft werden. Wie auf alle sonstigen
Beziehungen der Menschen zueinander, so haben auch auf ihren wirtschaftlichen


Die Lebcnsvcrtcucrung und ihre Bekämpfung

Bekämpfung des Bodenwuchers in den Städten zu. Ein erheblicher Rückgang
der Grundstückspreise ist nur dann zu erwarten, wenn die Gemeinden oder die
weiteren Kommunalverbände selbst Grundbesitz kaufen und verkaufen, wenn alle
irgendwie entbehrlichen, das Bauen beschränkenden Bestimmungen beseitigt werden
und wenn gleichzeitig der Vorortbahnverkehr ohne Rücksicht auf das finanzielle
Ergebnis in großzügiger Weise so ausgestaltet wird, daß auch die weitere
Umgebung der Städte der Besiedelung durch die städtische Bevölkerung erschlösse»
wird, wenn also das Angebot in Grundstücken gegen jetzt eine außerordentliche
Steigerung erfährt. Wir empfehlen in dieser Hinsicht die Ausführungen der
erwähnten Schrift über die Not des höheren Mittelstandes der Beachtung
unserer Politiker. Ähnlich verhält es sich mit den Kohlenpreisen. Nur eine
starke Erhöhung des Angebotes durch Erleichterung der Einfuhr fremder Kohle
und durch erhebliche Erweiterung des Betriebes der Staatsbergverwaltuug kann
die im Interesse unserer Industrie und der Privatwirtschaften dringend erwünschte
Verbilligung der Kohlen herbeiführen. Mit dem Verfasser der Schrift würden
auch wir die Verstaatlichung des gesamten Stein- und Braunkohlenbergbaus
in Preußen freudig begrüßen, obwohl das jetzige finanzielle Ergebnis der staat¬
lichen Zechen nicht günstig ist.

Um eine Herabsetzung der Preise der sonstigen unentbehrlichen Lebens¬
bedürfnisse zu erreichen, stehen, wie die von uns empfohlenen Untersuchungen
ergeben dürften, zunächst verschiedene andere Wege offen. Sollten sie aber wider
Erwarten nicht zum Ziele führen, so werden die Gemeinden, da sie für das
wirtschaftliche Wohl ihrer Einwohner zu sorgen haben, nicht davon absehen
dürfen, in Wettbewerb mit den beteiligten Gewerbetreibenden zu treten und die
Beschaffung und Feilhaltung der betreffenden Lebensbedürfnisse (Fleisch, Gemüse,
Brot, Wohnungen!) selbst in die Hand zu nehmen, wenigstens solange, bis die
Unternehmer den billigen Ansprüchen der Abnehmer entgegenkommen. Eine
Regelung der Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse durch polizeiliche
Taxen muß dagegen ausgeschlossen bleiben, und zwar schon deshalb, weil sie
bei Waren, die in sehr verschiedener Güte geliefert werden können, ihren Zweck
verfehlen. Auch sonstige Beschränkungen der Unternehmer in bezug auf die
Höhe der Preise und ihres Gewinns erscheinen nur in ganz besonderen Aus¬
nahmefällen, wie in bezug auf Kali und Diamanten, gerechtfertigt.

Im allgemeinen genügt die Aufklärung des Publikums darüber, wie die
Preise der Lebensbedürfnisse sich zusammensetzen und welcher Teil davon aus
den Unternehmergewinn entfällt. Das Volk und alle, die für sein Wohl zu
sorgen haben, werden daraus ersehen, worauf die Lebensverteuerung zurück¬
zuführen und wer dafür verantwortlich zu machen ist. Durch die Veröffent¬
lichungen über die Entstehung der Preise und durch die Erörterungen, die sich
daran besonders in der Presse und in öffentlichen Versammlungen knüpfen dürften,
wird auch das Gewissen der Verkäufer geschärft werden. Wie auf alle sonstigen
Beziehungen der Menschen zueinander, so haben auch auf ihren wirtschaftlichen


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[0118] Die Lebcnsvcrtcucrung und ihre Bekämpfung Bekämpfung des Bodenwuchers in den Städten zu. Ein erheblicher Rückgang der Grundstückspreise ist nur dann zu erwarten, wenn die Gemeinden oder die weiteren Kommunalverbände selbst Grundbesitz kaufen und verkaufen, wenn alle irgendwie entbehrlichen, das Bauen beschränkenden Bestimmungen beseitigt werden und wenn gleichzeitig der Vorortbahnverkehr ohne Rücksicht auf das finanzielle Ergebnis in großzügiger Weise so ausgestaltet wird, daß auch die weitere Umgebung der Städte der Besiedelung durch die städtische Bevölkerung erschlösse» wird, wenn also das Angebot in Grundstücken gegen jetzt eine außerordentliche Steigerung erfährt. Wir empfehlen in dieser Hinsicht die Ausführungen der erwähnten Schrift über die Not des höheren Mittelstandes der Beachtung unserer Politiker. Ähnlich verhält es sich mit den Kohlenpreisen. Nur eine starke Erhöhung des Angebotes durch Erleichterung der Einfuhr fremder Kohle und durch erhebliche Erweiterung des Betriebes der Staatsbergverwaltuug kann die im Interesse unserer Industrie und der Privatwirtschaften dringend erwünschte Verbilligung der Kohlen herbeiführen. Mit dem Verfasser der Schrift würden auch wir die Verstaatlichung des gesamten Stein- und Braunkohlenbergbaus in Preußen freudig begrüßen, obwohl das jetzige finanzielle Ergebnis der staat¬ lichen Zechen nicht günstig ist. Um eine Herabsetzung der Preise der sonstigen unentbehrlichen Lebens¬ bedürfnisse zu erreichen, stehen, wie die von uns empfohlenen Untersuchungen ergeben dürften, zunächst verschiedene andere Wege offen. Sollten sie aber wider Erwarten nicht zum Ziele führen, so werden die Gemeinden, da sie für das wirtschaftliche Wohl ihrer Einwohner zu sorgen haben, nicht davon absehen dürfen, in Wettbewerb mit den beteiligten Gewerbetreibenden zu treten und die Beschaffung und Feilhaltung der betreffenden Lebensbedürfnisse (Fleisch, Gemüse, Brot, Wohnungen!) selbst in die Hand zu nehmen, wenigstens solange, bis die Unternehmer den billigen Ansprüchen der Abnehmer entgegenkommen. Eine Regelung der Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse durch polizeiliche Taxen muß dagegen ausgeschlossen bleiben, und zwar schon deshalb, weil sie bei Waren, die in sehr verschiedener Güte geliefert werden können, ihren Zweck verfehlen. Auch sonstige Beschränkungen der Unternehmer in bezug auf die Höhe der Preise und ihres Gewinns erscheinen nur in ganz besonderen Aus¬ nahmefällen, wie in bezug auf Kali und Diamanten, gerechtfertigt. Im allgemeinen genügt die Aufklärung des Publikums darüber, wie die Preise der Lebensbedürfnisse sich zusammensetzen und welcher Teil davon aus den Unternehmergewinn entfällt. Das Volk und alle, die für sein Wohl zu sorgen haben, werden daraus ersehen, worauf die Lebensverteuerung zurück¬ zuführen und wer dafür verantwortlich zu machen ist. Durch die Veröffent¬ lichungen über die Entstehung der Preise und durch die Erörterungen, die sich daran besonders in der Presse und in öffentlichen Versammlungen knüpfen dürften, wird auch das Gewissen der Verkäufer geschärft werden. Wie auf alle sonstigen Beziehungen der Menschen zueinander, so haben auch auf ihren wirtschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/118>, abgerufen am 01.01.2025.