Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung Verkehr die Grundbegriffe der Sittenlehre Anwendung zu finden. Die Geschäfts¬ Hoffentlich wird aber auch der Staat sich seiner Pflicht, sür die wirtschaftlich Wir geben uns deshalb der Hoffnung hin, daß wenigstens der eine oder Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung Verkehr die Grundbegriffe der Sittenlehre Anwendung zu finden. Die Geschäfts¬ Hoffentlich wird aber auch der Staat sich seiner Pflicht, sür die wirtschaftlich Wir geben uns deshalb der Hoffnung hin, daß wenigstens der eine oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319068"/> <fw type="header" place="top"> Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> Verkehr die Grundbegriffe der Sittenlehre Anwendung zu finden. Die Geschäfts¬<lb/> leute müssen zwar auf Erzielung von Gewinn bedacht, also in gewissem Sinne<lb/> selbstsüchtig sein; der grobe Egoismus, d. h. diejenige Gesinnung, die sich nur<lb/> durch die Rücksicht auf den eigenen Nutzen oder Schaden leiten läßt, ist aber<lb/> auch im Erwerbsleben als unsittlich anzusehen. Und wenn die öffentliche<lb/> Meinung sich erst entschieden in diesem Sinne kundgibt, so wird das egoistische<lb/> Verhalten gewisser Geschäftskreise mehr und mehr eingeschränkt werden. In<lb/> früheren Zeiten vollzog sich die Umwandlung der sittlichen Anschauungen nur<lb/> langsam. Das ist unter der Herrschaft der Presse, der Vereine und der Kongresse<lb/> anders geworden. Wer hätte es früher für möglich gehalten, daß die Ansichten<lb/> über den Alkoholgenuß sich bei uns in kurzer Zeit so ändern könnten, wie es<lb/> in den letzten zwei Jahrzehnten geschehen ist! Da im allgemeinen nicht nur<lb/> das deutsche Volk als solches, sondern auch unsere Geschäftswelt auf hoher sittlicher<lb/> Stufe steht, so darf von einer Belehrung der Verkäufer über ihre Pflichten gegenüber<lb/> den Käufern in absehbarer Zeit ein günstiges Ergebnis erwartet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1009"> Hoffentlich wird aber auch der Staat sich seiner Pflicht, sür die wirtschaftlich<lb/> Schwachen einzutreten, noch mehr bewußt. Sein Bemühen muß dahin gehen,<lb/> wie die Steuern so auch die Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse der<lb/> Leistungsfähigkeit anzupassen. Dies läßt sich auch sehr wohl erreichen, ohne<lb/> daß die Erzeuger und Verkäufer auf angemessene Gewinne zu verzichten haben<lb/> oder durch gesetzliche oder Verwaltungsmaßregeln in der freien Ausübung ihrer<lb/> Erwerbstätigkeit beschränkt zu werden brauchen. Die Durchführung unserer<lb/> Vorschläge würde dem Staate außer geringen Verwaltungskosten keine finanzielle<lb/> Last aufbürden und den Gesamtverdienst des produzierenden Teiles der Bevölke¬<lb/> rung nicht schmälern, da die Nachfrage nach gewerblichen und landwirtschaft¬<lb/> lichen Erzeugnissen zwar einige Änderungen, im ganzen aber weder der Menge,<lb/> noch dem Werte nach eine Minderung erfahren würde. Durch die Unter¬<lb/> suchungen, ob und inwieweit eine Teuerung vorliegt und wie ihr abgeholfen werden<lb/> kann, würde sich die Regierung auch in keiner Weise für die Zukunft binden, da die<lb/> Entscheidung über das weitere Vorgehen von dem Ergebnis der Erhebungen abhängt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1010"> Wir geben uns deshalb der Hoffnung hin, daß wenigstens der eine oder<lb/> der andere Bundesstaat im engeren Rahmen unsern Anregungen Folge geben<lb/> wird. Dadurch würden wertvolle Erfahrungen über die zweckmäßigste Gestaltung<lb/> der weiteren Ermittlungen gesammelt und die anderen Bundesstaaten zur Nach¬<lb/> folge angespornt; denn derjenige Einzelstaat, dem es zuerst gelänge, die Lebenshaltung<lb/> innerhalb seiner Grenzen in fühlbarer Weise zu verbilligen, würde in wirtschaftlicher<lb/> Hinsicht einen erheblichen Vorsprung vor den anderen Staaten gewinnen. Es<lb/> handelt sich hier um ein Gebiet, auf dem auch die kleineren und kleinsten Glieder des<lb/> Deutschen Reiches mit den großen in erfolgreichen Wettbewerb treten können und der<lb/> denDeutschen aus ältester ZeitinnewohnendeSondergeist sich zum Segen des einzelnen<lb/> Stammes wie des ganzen deutschen Volkes in friedlicher Weise zu betätigen vermag.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung
Verkehr die Grundbegriffe der Sittenlehre Anwendung zu finden. Die Geschäfts¬
leute müssen zwar auf Erzielung von Gewinn bedacht, also in gewissem Sinne
selbstsüchtig sein; der grobe Egoismus, d. h. diejenige Gesinnung, die sich nur
durch die Rücksicht auf den eigenen Nutzen oder Schaden leiten läßt, ist aber
auch im Erwerbsleben als unsittlich anzusehen. Und wenn die öffentliche
Meinung sich erst entschieden in diesem Sinne kundgibt, so wird das egoistische
Verhalten gewisser Geschäftskreise mehr und mehr eingeschränkt werden. In
früheren Zeiten vollzog sich die Umwandlung der sittlichen Anschauungen nur
langsam. Das ist unter der Herrschaft der Presse, der Vereine und der Kongresse
anders geworden. Wer hätte es früher für möglich gehalten, daß die Ansichten
über den Alkoholgenuß sich bei uns in kurzer Zeit so ändern könnten, wie es
in den letzten zwei Jahrzehnten geschehen ist! Da im allgemeinen nicht nur
das deutsche Volk als solches, sondern auch unsere Geschäftswelt auf hoher sittlicher
Stufe steht, so darf von einer Belehrung der Verkäufer über ihre Pflichten gegenüber
den Käufern in absehbarer Zeit ein günstiges Ergebnis erwartet werden.
Hoffentlich wird aber auch der Staat sich seiner Pflicht, sür die wirtschaftlich
Schwachen einzutreten, noch mehr bewußt. Sein Bemühen muß dahin gehen,
wie die Steuern so auch die Preise der unentbehrlichen Lebensbedürfnisse der
Leistungsfähigkeit anzupassen. Dies läßt sich auch sehr wohl erreichen, ohne
daß die Erzeuger und Verkäufer auf angemessene Gewinne zu verzichten haben
oder durch gesetzliche oder Verwaltungsmaßregeln in der freien Ausübung ihrer
Erwerbstätigkeit beschränkt zu werden brauchen. Die Durchführung unserer
Vorschläge würde dem Staate außer geringen Verwaltungskosten keine finanzielle
Last aufbürden und den Gesamtverdienst des produzierenden Teiles der Bevölke¬
rung nicht schmälern, da die Nachfrage nach gewerblichen und landwirtschaft¬
lichen Erzeugnissen zwar einige Änderungen, im ganzen aber weder der Menge,
noch dem Werte nach eine Minderung erfahren würde. Durch die Unter¬
suchungen, ob und inwieweit eine Teuerung vorliegt und wie ihr abgeholfen werden
kann, würde sich die Regierung auch in keiner Weise für die Zukunft binden, da die
Entscheidung über das weitere Vorgehen von dem Ergebnis der Erhebungen abhängt.
Wir geben uns deshalb der Hoffnung hin, daß wenigstens der eine oder
der andere Bundesstaat im engeren Rahmen unsern Anregungen Folge geben
wird. Dadurch würden wertvolle Erfahrungen über die zweckmäßigste Gestaltung
der weiteren Ermittlungen gesammelt und die anderen Bundesstaaten zur Nach¬
folge angespornt; denn derjenige Einzelstaat, dem es zuerst gelänge, die Lebenshaltung
innerhalb seiner Grenzen in fühlbarer Weise zu verbilligen, würde in wirtschaftlicher
Hinsicht einen erheblichen Vorsprung vor den anderen Staaten gewinnen. Es
handelt sich hier um ein Gebiet, auf dem auch die kleineren und kleinsten Glieder des
Deutschen Reiches mit den großen in erfolgreichen Wettbewerb treten können und der
denDeutschen aus ältester ZeitinnewohnendeSondergeist sich zum Segen des einzelnen
Stammes wie des ganzen deutschen Volkes in friedlicher Weise zu betätigen vermag.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |