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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Lebensvertenerung und ihre Bekämpfung

Wir möchten deshalb empfehlen, daß durch eine aus erfahrenen Männern
des gewerbtätigen Lebens und der Wissenschaft gebildete Kommission für jede
einzelne Gewerbeklasse eingehend geprüft werde, ob kleine Betriebe unter den
jetzigen Verhältnissen noch im wesentlichen dasselbe zu leisten vermögen wie die
großen, oder ob sie die Waren bei gleichen Preisen nur in erheblich geringerer
Beschaffenheit oder bei gleicher Beschaffenheit -- offen oder verschleiert -- nur
zu wesentlich höheren Preisen als jene liefern können. Letzterenfalls wäre es
unseres Erachtens mit der Rücksicht auf die Verbraucher, d. h. die weit über¬
wiegende Mehrheit der Bevölkerung, nicht zu vereinigen, wenn man solche
Betriebe künstlich erhalten wollte; denn dadurch würde wohl ausschließlich der
miuderbemittelte und mindererfahrene Teil des Volkes, seine breite Masse geschädigt,
deren Interesse zu wahren der Staat besonders berufen ist. Aber auch dem
gewerbtätigen Teile der Bevölkerung ist nicht damit gedient, daß kleine Betriebe,
die unter den jetzigen schwierigen Wirtschaftsverhältnissen den Großbetrieben
gegenüber nicht mehr wettbewerbfähig sind, mit allerlei Mitteln gestützt werden,
die ihnen einen ganz befriedigenden Erfolg doch nicht verbürgen. Jedenfalls
sollte der junge Nachwuchs vor Berufen gewarnt werden, in denen er meist
schwere Enttäuschungen erlebt und im günstigsten Falle nur ein kümmerliches
Auskommen findet.

Eine ganz besondere Rolle in der Volkswirtschaft und bei der Preisbildung
spielt der Unternehmerlohn, d. h. der Überschuß, den ein Unternehmen über alle
sonstigen Selbstkosten hinaus abwirft. Durch ihn werden die meisten neuen
Reichtümer gebildet, durch ihn werden aber auch viele Waren übermäßig ver¬
teuert. Kein verständiger Mensch wird den Unternehmern einen angemessenen
Gewinn mißgönnen. Wollte man ihnen einen solchen vorenthalten, so würden
die Betriebe zum Schaden der Verbraucher entweder eingestellt oder wesentlich
eingeschränkt werden. Es kann sich also nur darum handeln, den Unter¬
nehmergewinn in den richtigen Grenzen zu halten. Diese lassen sich
aber nicht im allgemeinen, für alle Unternehmungen und für alle
Zeiten, sondern nur für einzelne Gewerbeklassen und Zeitabschnitte feststellen.
Als Anhalt wird im Einzelfalle dasjenige zu dienen haben, was der Unter¬
nehmer nach seinen Fähigkeiten und Leistungen als Leiter eines gleichartigen
fremden Betriebes erhalten könnte. Weiter ist zu berücksichtigen, ob es sich um
Erzeugnisse handelt, die für die Verbraucher unentbehrlich sind oder nicht.
Ersterenfalls entspricht es der Billigkeit, daß der Unternehmer sich mit einem
mäßigen Überschuß begnügt, während bei Waren, die niemand zu kaufen braucht,
kein Anlaß vorliegt, ihm eine Beschränkung seines Gewinnes zuzumuten.
Immer wieder aber sollten die Erzeuger darauf hingewiesen werden, daß es
nicht nur für die Abnehmer, sondern auf die Dauer auch für sie selbst nütz¬
licher ist, an vielen Waren wenig als an wenig Waren viel zu verdienen.
Das wirksamste Mittel, um eine Herabminderung unangemessener Unternehmer¬
gewinne zu erzielen, ist ein starker Wettbewerb. Besonders trifft dies auf die


Grenzboten III 1911 14
Die Lebensvertenerung und ihre Bekämpfung

Wir möchten deshalb empfehlen, daß durch eine aus erfahrenen Männern
des gewerbtätigen Lebens und der Wissenschaft gebildete Kommission für jede
einzelne Gewerbeklasse eingehend geprüft werde, ob kleine Betriebe unter den
jetzigen Verhältnissen noch im wesentlichen dasselbe zu leisten vermögen wie die
großen, oder ob sie die Waren bei gleichen Preisen nur in erheblich geringerer
Beschaffenheit oder bei gleicher Beschaffenheit — offen oder verschleiert — nur
zu wesentlich höheren Preisen als jene liefern können. Letzterenfalls wäre es
unseres Erachtens mit der Rücksicht auf die Verbraucher, d. h. die weit über¬
wiegende Mehrheit der Bevölkerung, nicht zu vereinigen, wenn man solche
Betriebe künstlich erhalten wollte; denn dadurch würde wohl ausschließlich der
miuderbemittelte und mindererfahrene Teil des Volkes, seine breite Masse geschädigt,
deren Interesse zu wahren der Staat besonders berufen ist. Aber auch dem
gewerbtätigen Teile der Bevölkerung ist nicht damit gedient, daß kleine Betriebe,
die unter den jetzigen schwierigen Wirtschaftsverhältnissen den Großbetrieben
gegenüber nicht mehr wettbewerbfähig sind, mit allerlei Mitteln gestützt werden,
die ihnen einen ganz befriedigenden Erfolg doch nicht verbürgen. Jedenfalls
sollte der junge Nachwuchs vor Berufen gewarnt werden, in denen er meist
schwere Enttäuschungen erlebt und im günstigsten Falle nur ein kümmerliches
Auskommen findet.

Eine ganz besondere Rolle in der Volkswirtschaft und bei der Preisbildung
spielt der Unternehmerlohn, d. h. der Überschuß, den ein Unternehmen über alle
sonstigen Selbstkosten hinaus abwirft. Durch ihn werden die meisten neuen
Reichtümer gebildet, durch ihn werden aber auch viele Waren übermäßig ver¬
teuert. Kein verständiger Mensch wird den Unternehmern einen angemessenen
Gewinn mißgönnen. Wollte man ihnen einen solchen vorenthalten, so würden
die Betriebe zum Schaden der Verbraucher entweder eingestellt oder wesentlich
eingeschränkt werden. Es kann sich also nur darum handeln, den Unter¬
nehmergewinn in den richtigen Grenzen zu halten. Diese lassen sich
aber nicht im allgemeinen, für alle Unternehmungen und für alle
Zeiten, sondern nur für einzelne Gewerbeklassen und Zeitabschnitte feststellen.
Als Anhalt wird im Einzelfalle dasjenige zu dienen haben, was der Unter¬
nehmer nach seinen Fähigkeiten und Leistungen als Leiter eines gleichartigen
fremden Betriebes erhalten könnte. Weiter ist zu berücksichtigen, ob es sich um
Erzeugnisse handelt, die für die Verbraucher unentbehrlich sind oder nicht.
Ersterenfalls entspricht es der Billigkeit, daß der Unternehmer sich mit einem
mäßigen Überschuß begnügt, während bei Waren, die niemand zu kaufen braucht,
kein Anlaß vorliegt, ihm eine Beschränkung seines Gewinnes zuzumuten.
Immer wieder aber sollten die Erzeuger darauf hingewiesen werden, daß es
nicht nur für die Abnehmer, sondern auf die Dauer auch für sie selbst nütz¬
licher ist, an vielen Waren wenig als an wenig Waren viel zu verdienen.
Das wirksamste Mittel, um eine Herabminderung unangemessener Unternehmer¬
gewinne zu erzielen, ist ein starker Wettbewerb. Besonders trifft dies auf die


Grenzboten III 1911 14
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[0117] Die Lebensvertenerung und ihre Bekämpfung Wir möchten deshalb empfehlen, daß durch eine aus erfahrenen Männern des gewerbtätigen Lebens und der Wissenschaft gebildete Kommission für jede einzelne Gewerbeklasse eingehend geprüft werde, ob kleine Betriebe unter den jetzigen Verhältnissen noch im wesentlichen dasselbe zu leisten vermögen wie die großen, oder ob sie die Waren bei gleichen Preisen nur in erheblich geringerer Beschaffenheit oder bei gleicher Beschaffenheit — offen oder verschleiert — nur zu wesentlich höheren Preisen als jene liefern können. Letzterenfalls wäre es unseres Erachtens mit der Rücksicht auf die Verbraucher, d. h. die weit über¬ wiegende Mehrheit der Bevölkerung, nicht zu vereinigen, wenn man solche Betriebe künstlich erhalten wollte; denn dadurch würde wohl ausschließlich der miuderbemittelte und mindererfahrene Teil des Volkes, seine breite Masse geschädigt, deren Interesse zu wahren der Staat besonders berufen ist. Aber auch dem gewerbtätigen Teile der Bevölkerung ist nicht damit gedient, daß kleine Betriebe, die unter den jetzigen schwierigen Wirtschaftsverhältnissen den Großbetrieben gegenüber nicht mehr wettbewerbfähig sind, mit allerlei Mitteln gestützt werden, die ihnen einen ganz befriedigenden Erfolg doch nicht verbürgen. Jedenfalls sollte der junge Nachwuchs vor Berufen gewarnt werden, in denen er meist schwere Enttäuschungen erlebt und im günstigsten Falle nur ein kümmerliches Auskommen findet. Eine ganz besondere Rolle in der Volkswirtschaft und bei der Preisbildung spielt der Unternehmerlohn, d. h. der Überschuß, den ein Unternehmen über alle sonstigen Selbstkosten hinaus abwirft. Durch ihn werden die meisten neuen Reichtümer gebildet, durch ihn werden aber auch viele Waren übermäßig ver¬ teuert. Kein verständiger Mensch wird den Unternehmern einen angemessenen Gewinn mißgönnen. Wollte man ihnen einen solchen vorenthalten, so würden die Betriebe zum Schaden der Verbraucher entweder eingestellt oder wesentlich eingeschränkt werden. Es kann sich also nur darum handeln, den Unter¬ nehmergewinn in den richtigen Grenzen zu halten. Diese lassen sich aber nicht im allgemeinen, für alle Unternehmungen und für alle Zeiten, sondern nur für einzelne Gewerbeklassen und Zeitabschnitte feststellen. Als Anhalt wird im Einzelfalle dasjenige zu dienen haben, was der Unter¬ nehmer nach seinen Fähigkeiten und Leistungen als Leiter eines gleichartigen fremden Betriebes erhalten könnte. Weiter ist zu berücksichtigen, ob es sich um Erzeugnisse handelt, die für die Verbraucher unentbehrlich sind oder nicht. Ersterenfalls entspricht es der Billigkeit, daß der Unternehmer sich mit einem mäßigen Überschuß begnügt, während bei Waren, die niemand zu kaufen braucht, kein Anlaß vorliegt, ihm eine Beschränkung seines Gewinnes zuzumuten. Immer wieder aber sollten die Erzeuger darauf hingewiesen werden, daß es nicht nur für die Abnehmer, sondern auf die Dauer auch für sie selbst nütz¬ licher ist, an vielen Waren wenig als an wenig Waren viel zu verdienen. Das wirksamste Mittel, um eine Herabminderung unangemessener Unternehmer¬ gewinne zu erzielen, ist ein starker Wettbewerb. Besonders trifft dies auf die Grenzboten III 1911 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/117>, abgerufen am 04.01.2025.