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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Lombardkredite ist eine Gegenmaßregel von sehr beschränkter Wirkung. Ich
habe mich früher schon (Heft 22 S. 430) darüber ausgesprochen, daß der
wahre Grund für die starke Inanspruchnahme der Reichsbank in der Konzentration
unsers Bankwesens zu suchen ist. Schon in der Bankenquete im Jahre 1908 ist ins¬
besondere von Professor Wagner darauf hingewiesen worden, daß die Barreserven
unserer Banken zu gering seien, und daß die außerordentliche Vermehrung und
rasche Zunahme der Bestände an Depositengeldern den Banken die Verpflichtung
auferlegten, eine höhere Reserve an Kasse und Bankguthaben zu halten, als
die 6 bis 8 Prozent, die sie durchschnittlich auswiesen. Seit dieser Zeit
haben sich nun die Verhältnisse noch ungünstiger verschoben. Der Metall¬
bestand der Reichsbank ist zwar von 1907 auf 1908 um 200 bis 300 Millionen
gewachsen, hat sich aber seit diesem Jahr nicht wesentlich verändert; der Gold¬
vorrat schwankte im Jahre 1910 zwischen 645 und 881 Millionen Mark,
während er nach dem letzten Ausweis sich auf 803 Millionen belief. Dagegen
haben sich allein in den Berliner Banken die Kreditoren, Depositen und
Akzepte vom 31. Dezember 1908 bis zur diesjährigen Aprilbilanz von
4,3 Milliarden auf 6,1 Milliarden vermehrt; die Deckung durch Bar, Bankguthaben
und Wechsel ist gleichzeitig von 41,96 Prozent auf 38,42 Prozent zurück¬
gegangen. Mit andern Worten: die Gesamtbarreserve ist in diesen zwei Jahren
eine beträchtlich schmalere geworden. Die Depositengelder, welche die Banken
aufsammeln, sind ihrer Natur nach nichts anderes als Kassenbestände der
Einzelwirtschaften. Auf diese wird von den Eigentümern zurückgegriffen, sobald
der Bedarf der Wirtschaftsführung dies erforderlich macht. Nach unsern
Zahlungssitten tritt ein solcher verstärkter Bedarf regelmäßig an den Quartals¬
terminen ein und muß befriedigt werden. Haben nun die Banken als Kassen¬
führer der Allgemeinheit nicht dafür Sorge getragen, daß genügende Kassen¬
bestände greifbar vorhanden sind, sondern haben sie einen zu großen Teil
dieser Gelder im Kreditgeschäft, also nicht greifbar, angelegt, so müssen sie
ihrerseits den Fehlbetrag im Wege des Kredits beschaffen. Dies geschieht
dann durch Inanspruchnahme der Reichsbank, bei der, soweit das Guthaben
nicht ausreicht, Wechsel diskontiert oder Vorschüsse gegen Unterpfand entnommen
werden. Gegen diese Inanspruchnahme ist an und für sich nicht das mindeste
einzuwenden. Denn es entspricht ja den ureigensten Aufgaben der Reichsbank,
den vermehrten Bedarf nach Zahlungsmitteln durch das elastische Mittel der
Notenausgabe im Wege der Kreditgewährung zu decken. Diese Notenausgabe
hat aber ihre Grenze an der gesetzlich vorgeschriebenen Dritteldeckung. Würde
diese Grenze erreicht oder rückte sie nur in bedrohliche Nähe, so wäre die Hilfe
der Reichsbank ausgeschaltet. Eine wirtschaftliche Katastrophe wäre die Folge.
Um dies zu verhindern, muß also dafür Sorge getragen werden, daß die greif¬
bare Gesamtbarreserve groß genug ist, um diesen periodischen Bedürfnissen zu
entsprechen. Hier liegt aber der wunde Punkt unserer Geld- und Kreditorgani¬
sation. Unsere Barreserve ist nicht ausreichend. Der Metallvorrat der Neichsbank


Reichsspiegel

Lombardkredite ist eine Gegenmaßregel von sehr beschränkter Wirkung. Ich
habe mich früher schon (Heft 22 S. 430) darüber ausgesprochen, daß der
wahre Grund für die starke Inanspruchnahme der Reichsbank in der Konzentration
unsers Bankwesens zu suchen ist. Schon in der Bankenquete im Jahre 1908 ist ins¬
besondere von Professor Wagner darauf hingewiesen worden, daß die Barreserven
unserer Banken zu gering seien, und daß die außerordentliche Vermehrung und
rasche Zunahme der Bestände an Depositengeldern den Banken die Verpflichtung
auferlegten, eine höhere Reserve an Kasse und Bankguthaben zu halten, als
die 6 bis 8 Prozent, die sie durchschnittlich auswiesen. Seit dieser Zeit
haben sich nun die Verhältnisse noch ungünstiger verschoben. Der Metall¬
bestand der Reichsbank ist zwar von 1907 auf 1908 um 200 bis 300 Millionen
gewachsen, hat sich aber seit diesem Jahr nicht wesentlich verändert; der Gold¬
vorrat schwankte im Jahre 1910 zwischen 645 und 881 Millionen Mark,
während er nach dem letzten Ausweis sich auf 803 Millionen belief. Dagegen
haben sich allein in den Berliner Banken die Kreditoren, Depositen und
Akzepte vom 31. Dezember 1908 bis zur diesjährigen Aprilbilanz von
4,3 Milliarden auf 6,1 Milliarden vermehrt; die Deckung durch Bar, Bankguthaben
und Wechsel ist gleichzeitig von 41,96 Prozent auf 38,42 Prozent zurück¬
gegangen. Mit andern Worten: die Gesamtbarreserve ist in diesen zwei Jahren
eine beträchtlich schmalere geworden. Die Depositengelder, welche die Banken
aufsammeln, sind ihrer Natur nach nichts anderes als Kassenbestände der
Einzelwirtschaften. Auf diese wird von den Eigentümern zurückgegriffen, sobald
der Bedarf der Wirtschaftsführung dies erforderlich macht. Nach unsern
Zahlungssitten tritt ein solcher verstärkter Bedarf regelmäßig an den Quartals¬
terminen ein und muß befriedigt werden. Haben nun die Banken als Kassen¬
führer der Allgemeinheit nicht dafür Sorge getragen, daß genügende Kassen¬
bestände greifbar vorhanden sind, sondern haben sie einen zu großen Teil
dieser Gelder im Kreditgeschäft, also nicht greifbar, angelegt, so müssen sie
ihrerseits den Fehlbetrag im Wege des Kredits beschaffen. Dies geschieht
dann durch Inanspruchnahme der Reichsbank, bei der, soweit das Guthaben
nicht ausreicht, Wechsel diskontiert oder Vorschüsse gegen Unterpfand entnommen
werden. Gegen diese Inanspruchnahme ist an und für sich nicht das mindeste
einzuwenden. Denn es entspricht ja den ureigensten Aufgaben der Reichsbank,
den vermehrten Bedarf nach Zahlungsmitteln durch das elastische Mittel der
Notenausgabe im Wege der Kreditgewährung zu decken. Diese Notenausgabe
hat aber ihre Grenze an der gesetzlich vorgeschriebenen Dritteldeckung. Würde
diese Grenze erreicht oder rückte sie nur in bedrohliche Nähe, so wäre die Hilfe
der Reichsbank ausgeschaltet. Eine wirtschaftliche Katastrophe wäre die Folge.
Um dies zu verhindern, muß also dafür Sorge getragen werden, daß die greif¬
bare Gesamtbarreserve groß genug ist, um diesen periodischen Bedürfnissen zu
entsprechen. Hier liegt aber der wunde Punkt unserer Geld- und Kreditorgani¬
sation. Unsere Barreserve ist nicht ausreichend. Der Metallvorrat der Neichsbank


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[0106] Reichsspiegel Lombardkredite ist eine Gegenmaßregel von sehr beschränkter Wirkung. Ich habe mich früher schon (Heft 22 S. 430) darüber ausgesprochen, daß der wahre Grund für die starke Inanspruchnahme der Reichsbank in der Konzentration unsers Bankwesens zu suchen ist. Schon in der Bankenquete im Jahre 1908 ist ins¬ besondere von Professor Wagner darauf hingewiesen worden, daß die Barreserven unserer Banken zu gering seien, und daß die außerordentliche Vermehrung und rasche Zunahme der Bestände an Depositengeldern den Banken die Verpflichtung auferlegten, eine höhere Reserve an Kasse und Bankguthaben zu halten, als die 6 bis 8 Prozent, die sie durchschnittlich auswiesen. Seit dieser Zeit haben sich nun die Verhältnisse noch ungünstiger verschoben. Der Metall¬ bestand der Reichsbank ist zwar von 1907 auf 1908 um 200 bis 300 Millionen gewachsen, hat sich aber seit diesem Jahr nicht wesentlich verändert; der Gold¬ vorrat schwankte im Jahre 1910 zwischen 645 und 881 Millionen Mark, während er nach dem letzten Ausweis sich auf 803 Millionen belief. Dagegen haben sich allein in den Berliner Banken die Kreditoren, Depositen und Akzepte vom 31. Dezember 1908 bis zur diesjährigen Aprilbilanz von 4,3 Milliarden auf 6,1 Milliarden vermehrt; die Deckung durch Bar, Bankguthaben und Wechsel ist gleichzeitig von 41,96 Prozent auf 38,42 Prozent zurück¬ gegangen. Mit andern Worten: die Gesamtbarreserve ist in diesen zwei Jahren eine beträchtlich schmalere geworden. Die Depositengelder, welche die Banken aufsammeln, sind ihrer Natur nach nichts anderes als Kassenbestände der Einzelwirtschaften. Auf diese wird von den Eigentümern zurückgegriffen, sobald der Bedarf der Wirtschaftsführung dies erforderlich macht. Nach unsern Zahlungssitten tritt ein solcher verstärkter Bedarf regelmäßig an den Quartals¬ terminen ein und muß befriedigt werden. Haben nun die Banken als Kassen¬ führer der Allgemeinheit nicht dafür Sorge getragen, daß genügende Kassen¬ bestände greifbar vorhanden sind, sondern haben sie einen zu großen Teil dieser Gelder im Kreditgeschäft, also nicht greifbar, angelegt, so müssen sie ihrerseits den Fehlbetrag im Wege des Kredits beschaffen. Dies geschieht dann durch Inanspruchnahme der Reichsbank, bei der, soweit das Guthaben nicht ausreicht, Wechsel diskontiert oder Vorschüsse gegen Unterpfand entnommen werden. Gegen diese Inanspruchnahme ist an und für sich nicht das mindeste einzuwenden. Denn es entspricht ja den ureigensten Aufgaben der Reichsbank, den vermehrten Bedarf nach Zahlungsmitteln durch das elastische Mittel der Notenausgabe im Wege der Kreditgewährung zu decken. Diese Notenausgabe hat aber ihre Grenze an der gesetzlich vorgeschriebenen Dritteldeckung. Würde diese Grenze erreicht oder rückte sie nur in bedrohliche Nähe, so wäre die Hilfe der Reichsbank ausgeschaltet. Eine wirtschaftliche Katastrophe wäre die Folge. Um dies zu verhindern, muß also dafür Sorge getragen werden, daß die greif¬ bare Gesamtbarreserve groß genug ist, um diesen periodischen Bedürfnissen zu entsprechen. Hier liegt aber der wunde Punkt unserer Geld- und Kreditorgani¬ sation. Unsere Barreserve ist nicht ausreichend. Der Metallvorrat der Neichsbank

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/106>, abgerufen am 01.01.2025.