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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

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Innere Politik

Die fakultative Feuerbestattung in Preußen -- Die Vertreter der orthodoxen Richtung --
Gefühlsmomente -- Goethe -- Friodhofkuriosa in Berlin -- Feuerbestattung eine
großstädtische Frage

Nachdem das preußische Herrenhaus die Feuerbestattung endgültig
angenommen hat, sind auch die letzten Schwierigkeiten beseitigt, die der fakultativen
Feuerbestattung in Preußen bisher entgegengestanden haben. In Zukunft werden
auch die preußischen Staatsangehörigen sich im eigenen Lande verbrennen lassen
können und nicht mehr gezwungen sein, zu diesem Zwecke vor ihrer letzten großen
Reise noch eine vorletzte Reise ins preußische Ausland anzutreten -- nach Gotha
oder Hamburg. Die Verhandlungen im preußischen Herrenhaus waren ebenso
wie ini preußischen Abgeordnetenhaus recht interessant. Sie zeigten u. a., mit
welcher Zähigkeit besonders religiöse Kreise dieser Neuerung widerstrebten. Dabei
gestanden selbst die Vertreter der orthodoxen Richtung beider Bekenntnisse
im Herrenhause unumwunden zu, daß der Feuerbestattung an sich ein kirchliches
Dogma nicht entgegenstehe. Mit besonderer Entschiedenheit tat das der pro¬
testantische Oberhofprediger l). Drvander, der außerdem noch ausführte, daß
auch von einer Sitteubildung im antichristlichen Sinne hierbei keine Rede sein
könne. Wenn diese Kreise sich dennoch mit so großer Entschiedenheit gegen die
Einführung der fakultativen Feuerbestattung sträubten, so läßt sich der Eindruck
nicht verhehlen, daß sie trotz alledem der Erdbestattung eine religiöse Bedeutung
beimessen und in der Feuerbestattimg an sich einen Verstoß gegen das Wesen
des Christentums erblickten. Nur voll diesem Gesichtspunkt aus ist es verständlich,
wenn Kardinal Dr. Fischer prophezeite, infolge der Einführung der Feuerbestattung
würden die Parteirichtungen anschwellen, die an den Fundamenten des Staates
graben, oder wenn der einer als ultraorthodox bekannten Familie entstammte
Graf Droste zu Vischeriug die Vorlage als "verhängnisvoll in religiöser und
politischer Beziehung" bezeichnete. Aber auch ein aufgeklärter und milder Theologe
wie Oberhofprediger v. Dryander ließ die Behauptung gelten, wonach mit
dieser Frage Gemütswerte zusammenhängen, "die dicht an das religiöse Gebiet
heranreichen". Wenn man schließlich berücksichtigt, daß auch ein Mann wie
Graf Haeseler, der in mancher wichtigen nationalen Frage das richtige Wort
gefunden hat, sich gegen die Vorlage gewandt hat, freilich mit Argumenten, die
nicht frei von Dilettantismus sind, so wird man gestehen müssen, daß es nicht
richtig ist, diesen Widerstand ohne weiteres mit dem Wort Intoleranz abmachen
zu wollen, wie das leider in einem Teil der Presse geschehen ist.

In der Öffentlichkeit ist bei der Erörterung dieser Frage doch zu sehr der
großstädtische Standpunkt zutage getreten. Was von den Gegnern der Vorlage
besonders im preußischen Herrenhaus vom Standpunkt der christlichen Sitte und
des religiösen Empfindens gegen die Feuerbestattung gesagt worden ist, ist an


Grenzboten III 1S11 Is
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Die fakultative Feuerbestattung in Preußen — Die Vertreter der orthodoxen Richtung —
Gefühlsmomente — Goethe — Friodhofkuriosa in Berlin — Feuerbestattung eine
großstädtische Frage

Nachdem das preußische Herrenhaus die Feuerbestattung endgültig
angenommen hat, sind auch die letzten Schwierigkeiten beseitigt, die der fakultativen
Feuerbestattung in Preußen bisher entgegengestanden haben. In Zukunft werden
auch die preußischen Staatsangehörigen sich im eigenen Lande verbrennen lassen
können und nicht mehr gezwungen sein, zu diesem Zwecke vor ihrer letzten großen
Reise noch eine vorletzte Reise ins preußische Ausland anzutreten — nach Gotha
oder Hamburg. Die Verhandlungen im preußischen Herrenhaus waren ebenso
wie ini preußischen Abgeordnetenhaus recht interessant. Sie zeigten u. a., mit
welcher Zähigkeit besonders religiöse Kreise dieser Neuerung widerstrebten. Dabei
gestanden selbst die Vertreter der orthodoxen Richtung beider Bekenntnisse
im Herrenhause unumwunden zu, daß der Feuerbestattung an sich ein kirchliches
Dogma nicht entgegenstehe. Mit besonderer Entschiedenheit tat das der pro¬
testantische Oberhofprediger l). Drvander, der außerdem noch ausführte, daß
auch von einer Sitteubildung im antichristlichen Sinne hierbei keine Rede sein
könne. Wenn diese Kreise sich dennoch mit so großer Entschiedenheit gegen die
Einführung der fakultativen Feuerbestattung sträubten, so läßt sich der Eindruck
nicht verhehlen, daß sie trotz alledem der Erdbestattung eine religiöse Bedeutung
beimessen und in der Feuerbestattimg an sich einen Verstoß gegen das Wesen
des Christentums erblickten. Nur voll diesem Gesichtspunkt aus ist es verständlich,
wenn Kardinal Dr. Fischer prophezeite, infolge der Einführung der Feuerbestattung
würden die Parteirichtungen anschwellen, die an den Fundamenten des Staates
graben, oder wenn der einer als ultraorthodox bekannten Familie entstammte
Graf Droste zu Vischeriug die Vorlage als „verhängnisvoll in religiöser und
politischer Beziehung" bezeichnete. Aber auch ein aufgeklärter und milder Theologe
wie Oberhofprediger v. Dryander ließ die Behauptung gelten, wonach mit
dieser Frage Gemütswerte zusammenhängen, „die dicht an das religiöse Gebiet
heranreichen". Wenn man schließlich berücksichtigt, daß auch ein Mann wie
Graf Haeseler, der in mancher wichtigen nationalen Frage das richtige Wort
gefunden hat, sich gegen die Vorlage gewandt hat, freilich mit Argumenten, die
nicht frei von Dilettantismus sind, so wird man gestehen müssen, daß es nicht
richtig ist, diesen Widerstand ohne weiteres mit dem Wort Intoleranz abmachen
zu wollen, wie das leider in einem Teil der Presse geschehen ist.

In der Öffentlichkeit ist bei der Erörterung dieser Frage doch zu sehr der
großstädtische Standpunkt zutage getreten. Was von den Gegnern der Vorlage
besonders im preußischen Herrenhaus vom Standpunkt der christlichen Sitte und
des religiösen Empfindens gegen die Feuerbestattung gesagt worden ist, ist an


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[0101] Reichsspiegel Reichsspiegel Innere Politik Die fakultative Feuerbestattung in Preußen — Die Vertreter der orthodoxen Richtung — Gefühlsmomente — Goethe — Friodhofkuriosa in Berlin — Feuerbestattung eine großstädtische Frage Nachdem das preußische Herrenhaus die Feuerbestattung endgültig angenommen hat, sind auch die letzten Schwierigkeiten beseitigt, die der fakultativen Feuerbestattung in Preußen bisher entgegengestanden haben. In Zukunft werden auch die preußischen Staatsangehörigen sich im eigenen Lande verbrennen lassen können und nicht mehr gezwungen sein, zu diesem Zwecke vor ihrer letzten großen Reise noch eine vorletzte Reise ins preußische Ausland anzutreten — nach Gotha oder Hamburg. Die Verhandlungen im preußischen Herrenhaus waren ebenso wie ini preußischen Abgeordnetenhaus recht interessant. Sie zeigten u. a., mit welcher Zähigkeit besonders religiöse Kreise dieser Neuerung widerstrebten. Dabei gestanden selbst die Vertreter der orthodoxen Richtung beider Bekenntnisse im Herrenhause unumwunden zu, daß der Feuerbestattung an sich ein kirchliches Dogma nicht entgegenstehe. Mit besonderer Entschiedenheit tat das der pro¬ testantische Oberhofprediger l). Drvander, der außerdem noch ausführte, daß auch von einer Sitteubildung im antichristlichen Sinne hierbei keine Rede sein könne. Wenn diese Kreise sich dennoch mit so großer Entschiedenheit gegen die Einführung der fakultativen Feuerbestattung sträubten, so läßt sich der Eindruck nicht verhehlen, daß sie trotz alledem der Erdbestattung eine religiöse Bedeutung beimessen und in der Feuerbestattimg an sich einen Verstoß gegen das Wesen des Christentums erblickten. Nur voll diesem Gesichtspunkt aus ist es verständlich, wenn Kardinal Dr. Fischer prophezeite, infolge der Einführung der Feuerbestattung würden die Parteirichtungen anschwellen, die an den Fundamenten des Staates graben, oder wenn der einer als ultraorthodox bekannten Familie entstammte Graf Droste zu Vischeriug die Vorlage als „verhängnisvoll in religiöser und politischer Beziehung" bezeichnete. Aber auch ein aufgeklärter und milder Theologe wie Oberhofprediger v. Dryander ließ die Behauptung gelten, wonach mit dieser Frage Gemütswerte zusammenhängen, „die dicht an das religiöse Gebiet heranreichen". Wenn man schließlich berücksichtigt, daß auch ein Mann wie Graf Haeseler, der in mancher wichtigen nationalen Frage das richtige Wort gefunden hat, sich gegen die Vorlage gewandt hat, freilich mit Argumenten, die nicht frei von Dilettantismus sind, so wird man gestehen müssen, daß es nicht richtig ist, diesen Widerstand ohne weiteres mit dem Wort Intoleranz abmachen zu wollen, wie das leider in einem Teil der Presse geschehen ist. In der Öffentlichkeit ist bei der Erörterung dieser Frage doch zu sehr der großstädtische Standpunkt zutage getreten. Was von den Gegnern der Vorlage besonders im preußischen Herrenhaus vom Standpunkt der christlichen Sitte und des religiösen Empfindens gegen die Feuerbestattung gesagt worden ist, ist an Grenzboten III 1S11 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/101>, abgerufen am 01.01.2025.