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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

Verbindungslinien auszubauen und -- was durchaus nicht das am wenigsten
Wichtige ist -- die kulturelle Entwicklung zu fördern trachten.

Die jetzige wirtschaftliche Lage Rußlands im fernen Osten ist indessen alles
andere als befriedigend, die "Folge einer Politik, die in der Mandschurei mit
einer einer besseren Sache würdigen Energie einen Scheiterhaufen errichtet hat,
auf dein Myriaden russischer Krieger und viele, viele Millionen verzehrt worden
sind. Die in die Mandschurei gelenkten Ströme russischen Goldes haben dies
Land zum Leben erweckt und befruchtet, fremden Leuten reichen Verdienst gegeben
und alles von Grund auf umgestaltet. Dieser Entwicklung sind die Lebens-
interessen russischer Besitzungen zum Opfer gebracht, ihr sind die traurigen Folgen
für das wirtschaftliche Emporblühen des heute von der benachbarten Mandschurei
völlig abhängig gewordenen Amurlandes allein zuzuschreiben".

Amurland bedarf der Einfuhr der zum Leben notwendigsten Bedürfnisse
aus der Mandschurei: 1907 sind über 7^ Millionen Zentner Getreide,
4 Millionen Zentner Mehl, fast 9 Millionen Zentner Hülsenfrüchte von dort
eingeführt. Amurland zahlt schon jetzt an das Nachbarland über 10 Millionen
Rubel jährlich für landwirtschaftliche Produkte, Pferde, Vieh, Fleisch und der¬
gleichen. China hat diese wirtschaftliche Abhängigkeit des Amurlandes erkannt
und ist imstande, durch Festsetzung des Ausfuhrzolles weitere Summen heraus¬
zuziehen und durch Preistreiberei bei deu Gegenständen dringendsten Bedarfes
die weitere Entwicklung des Landes völlig lahm zu legen.

Für Rußland erwächst daraus die neue Aufgabe, die früheren Fehler seiner
Wirtschaftspolitik wieder gut zu machen. Sie scheint verstanden zu sein. Kenner des
Landes im Osten behaupten, daß Amurland an der Schwelle großer Ereignisse
und Reformen stehe und daß eine neue Ära russischer Politik dort draußen
anbreche.

Nachdem Japan auf dem Festlande festen Fuß gefaßt und sich zum Nachbarn
des Zarenreichs gemacht hat, bleibt den Russen keine Wahl, als sich ebenso fest
auf beiden Ufern des Amur zu basieren oder aber nachzugeben und sich auf
schimpfliche Zurückdrängung aus einer Stellung gefaßt zu machen, die durch die
Arbeit eines Grafen Murawjoff-Amurski, eines Newelski gewonnen und mit
russischem Schweiß und Blut gedüngt ist. Kein Zweifel, daß die Entscheidung
dahin zu falle" hat, daß Rußland sich das Amurland auf immer erhalten und
seinen Einfluß in den anliegenden Grenzgebieten der nördlichen Mandschurei
sichern muß. Die politische Lage läßt sich dazu heute günstig an, nachdem noch
vor kurzem der Boden wankte. Es heißt, sie ausnützen, das Grenzland fest
angliedern und seine Förderung sich angelegen sein lassen; gesteigerte Tätigkeit
muß dann einsetzen, um die Entfaltung heimischer Kräfte und Mittel zu fördern,
ihre Erfolge zu steigern und zu vermehren; dazu bedarf es aber der Entfesselung
der Kräfte und eines festen Systems, sowie völliger Einheitlichkeit in allen
Maßnahmen, endlich Aufstellung und folgerichtiger Beobachtung der haupt¬
sächlichsten leitenden Gesichtspunkte.


Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

Verbindungslinien auszubauen und — was durchaus nicht das am wenigsten
Wichtige ist — die kulturelle Entwicklung zu fördern trachten.

Die jetzige wirtschaftliche Lage Rußlands im fernen Osten ist indessen alles
andere als befriedigend, die „Folge einer Politik, die in der Mandschurei mit
einer einer besseren Sache würdigen Energie einen Scheiterhaufen errichtet hat,
auf dein Myriaden russischer Krieger und viele, viele Millionen verzehrt worden
sind. Die in die Mandschurei gelenkten Ströme russischen Goldes haben dies
Land zum Leben erweckt und befruchtet, fremden Leuten reichen Verdienst gegeben
und alles von Grund auf umgestaltet. Dieser Entwicklung sind die Lebens-
interessen russischer Besitzungen zum Opfer gebracht, ihr sind die traurigen Folgen
für das wirtschaftliche Emporblühen des heute von der benachbarten Mandschurei
völlig abhängig gewordenen Amurlandes allein zuzuschreiben".

Amurland bedarf der Einfuhr der zum Leben notwendigsten Bedürfnisse
aus der Mandschurei: 1907 sind über 7^ Millionen Zentner Getreide,
4 Millionen Zentner Mehl, fast 9 Millionen Zentner Hülsenfrüchte von dort
eingeführt. Amurland zahlt schon jetzt an das Nachbarland über 10 Millionen
Rubel jährlich für landwirtschaftliche Produkte, Pferde, Vieh, Fleisch und der¬
gleichen. China hat diese wirtschaftliche Abhängigkeit des Amurlandes erkannt
und ist imstande, durch Festsetzung des Ausfuhrzolles weitere Summen heraus¬
zuziehen und durch Preistreiberei bei deu Gegenständen dringendsten Bedarfes
die weitere Entwicklung des Landes völlig lahm zu legen.

Für Rußland erwächst daraus die neue Aufgabe, die früheren Fehler seiner
Wirtschaftspolitik wieder gut zu machen. Sie scheint verstanden zu sein. Kenner des
Landes im Osten behaupten, daß Amurland an der Schwelle großer Ereignisse
und Reformen stehe und daß eine neue Ära russischer Politik dort draußen
anbreche.

Nachdem Japan auf dem Festlande festen Fuß gefaßt und sich zum Nachbarn
des Zarenreichs gemacht hat, bleibt den Russen keine Wahl, als sich ebenso fest
auf beiden Ufern des Amur zu basieren oder aber nachzugeben und sich auf
schimpfliche Zurückdrängung aus einer Stellung gefaßt zu machen, die durch die
Arbeit eines Grafen Murawjoff-Amurski, eines Newelski gewonnen und mit
russischem Schweiß und Blut gedüngt ist. Kein Zweifel, daß die Entscheidung
dahin zu falle» hat, daß Rußland sich das Amurland auf immer erhalten und
seinen Einfluß in den anliegenden Grenzgebieten der nördlichen Mandschurei
sichern muß. Die politische Lage läßt sich dazu heute günstig an, nachdem noch
vor kurzem der Boden wankte. Es heißt, sie ausnützen, das Grenzland fest
angliedern und seine Förderung sich angelegen sein lassen; gesteigerte Tätigkeit
muß dann einsetzen, um die Entfaltung heimischer Kräfte und Mittel zu fördern,
ihre Erfolge zu steigern und zu vermehren; dazu bedarf es aber der Entfesselung
der Kräfte und eines festen Systems, sowie völliger Einheitlichkeit in allen
Maßnahmen, endlich Aufstellung und folgerichtiger Beobachtung der haupt¬
sächlichsten leitenden Gesichtspunkte.


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[0072] Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten Verbindungslinien auszubauen und — was durchaus nicht das am wenigsten Wichtige ist — die kulturelle Entwicklung zu fördern trachten. Die jetzige wirtschaftliche Lage Rußlands im fernen Osten ist indessen alles andere als befriedigend, die „Folge einer Politik, die in der Mandschurei mit einer einer besseren Sache würdigen Energie einen Scheiterhaufen errichtet hat, auf dein Myriaden russischer Krieger und viele, viele Millionen verzehrt worden sind. Die in die Mandschurei gelenkten Ströme russischen Goldes haben dies Land zum Leben erweckt und befruchtet, fremden Leuten reichen Verdienst gegeben und alles von Grund auf umgestaltet. Dieser Entwicklung sind die Lebens- interessen russischer Besitzungen zum Opfer gebracht, ihr sind die traurigen Folgen für das wirtschaftliche Emporblühen des heute von der benachbarten Mandschurei völlig abhängig gewordenen Amurlandes allein zuzuschreiben". Amurland bedarf der Einfuhr der zum Leben notwendigsten Bedürfnisse aus der Mandschurei: 1907 sind über 7^ Millionen Zentner Getreide, 4 Millionen Zentner Mehl, fast 9 Millionen Zentner Hülsenfrüchte von dort eingeführt. Amurland zahlt schon jetzt an das Nachbarland über 10 Millionen Rubel jährlich für landwirtschaftliche Produkte, Pferde, Vieh, Fleisch und der¬ gleichen. China hat diese wirtschaftliche Abhängigkeit des Amurlandes erkannt und ist imstande, durch Festsetzung des Ausfuhrzolles weitere Summen heraus¬ zuziehen und durch Preistreiberei bei deu Gegenständen dringendsten Bedarfes die weitere Entwicklung des Landes völlig lahm zu legen. Für Rußland erwächst daraus die neue Aufgabe, die früheren Fehler seiner Wirtschaftspolitik wieder gut zu machen. Sie scheint verstanden zu sein. Kenner des Landes im Osten behaupten, daß Amurland an der Schwelle großer Ereignisse und Reformen stehe und daß eine neue Ära russischer Politik dort draußen anbreche. Nachdem Japan auf dem Festlande festen Fuß gefaßt und sich zum Nachbarn des Zarenreichs gemacht hat, bleibt den Russen keine Wahl, als sich ebenso fest auf beiden Ufern des Amur zu basieren oder aber nachzugeben und sich auf schimpfliche Zurückdrängung aus einer Stellung gefaßt zu machen, die durch die Arbeit eines Grafen Murawjoff-Amurski, eines Newelski gewonnen und mit russischem Schweiß und Blut gedüngt ist. Kein Zweifel, daß die Entscheidung dahin zu falle» hat, daß Rußland sich das Amurland auf immer erhalten und seinen Einfluß in den anliegenden Grenzgebieten der nördlichen Mandschurei sichern muß. Die politische Lage läßt sich dazu heute günstig an, nachdem noch vor kurzem der Boden wankte. Es heißt, sie ausnützen, das Grenzland fest angliedern und seine Förderung sich angelegen sein lassen; gesteigerte Tätigkeit muß dann einsetzen, um die Entfaltung heimischer Kräfte und Mittel zu fördern, ihre Erfolge zu steigern und zu vermehren; dazu bedarf es aber der Entfesselung der Kräfte und eines festen Systems, sowie völliger Einheitlichkeit in allen Maßnahmen, endlich Aufstellung und folgerichtiger Beobachtung der haupt¬ sächlichsten leitenden Gesichtspunkte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/72>, abgerufen am 03.07.2024.