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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Naturerl'ennemis und Weltanschauung

Als vorbereitende Arbeit für die Lösung aller bereits vorliegenden und
künftiger Aufgaben ist die Tätigkeit der Amurexpedition unter N. L. Gondatti
(dein neuen Generalgouvemeur) anzusehen; als eine besondere Art Senatoren¬
revision sollte sie Aufklärung schaffen über die Zweckmäßigkeit der Verwaltungs¬
tätigkeit der Organe der Lokalverwaltung; sie hat schon manchen veranlaßt, sein
Hirn anzustrengen und tüchtig zu arbeiten. Es ist zu hoffen, daß auf der nach
ihren Angaben zu schaffenden Grundlage eine Epoche schöpferischer und
umgestaltender Tätigkeit einsetzt, die an die besten Zeiten der Verwaltung des
verstorbenen Baron Korff erinnert. In solcher Erwartung durchlebt das Land
gewissermaßen den Tag vor dem Fest und harrt des Augenblicks, wo es selbst
an der Befestigung des russischen Reiches an? Stillen Ozean mitzuarbeiten in
der Lage sein wird.

Was aber die Möglichkeit angriffsweisen Vorgehens von Japan oder China
betrifft, so wird sie in dem Maße gefährlich, als Rußland sich dagegen träge,
teilnahmslos und untätig verhält. Draußen also, an der Grenze der alten
und neuen Welt, reifen große historische Probleme ihrer Lösung entgegen, ent¬
scheiden sich Völkergefchicke. Will Rußland dabei nicht zu kurz kommen, so muß
es ungesäumt und tatkräftig daran gehen, feine Stellung zu befestigen und die
ihm obliegende Kulturarbeit zu leisten "im unerschütterlichen Glauben an die
schöpferische Kraft seines Volkes, an eine bessere, seiner Größe würdige Zukunft".




Naturerkenntnis und Weltanschauung
von Dr. Moa. Worthmaun-
II.

Wenn auch Darwin in seinem grundlegenden Werk es vermieden hat, auf
die Abstammung des Menschen einzugehen, so hat er es doch später nachgeholt,
haben es andere vor ihm getan, und so ist die Frage nach der Entstehung
des Menschen eine so integrierende des Darwinismus geworden, daß dieser
selbst häufig, freilich auch wieder nicht ganz mit Recht, als das Problem der
Affenabstammung bezeichnet wird.

Nicht mit Recht, denn der Darwinismus greift weiter; er ist eben nicht
nur eine naturwissenschaftliche Hypothese, sondern eine Weltanschauung, und als
solche zu betrachten. Er begreift in sich alles das, was heute als Monismus
dem Dualismus, d. h. dem Glauben an einen allmächtigen Gott, gegenüber¬
gestellt wird.

Wir haben als Ausgangspunkt des Dualismus die Erkenntnis der Zweck¬
mäßigkeit in der Welt kennen gelernt. Diese Zweckmäßigkeit, die Teleologie, ist
für unseren Verstand untrennbar verbunden mit dem Begriff eines zwecksetzenden


Naturerl'ennemis und Weltanschauung

Als vorbereitende Arbeit für die Lösung aller bereits vorliegenden und
künftiger Aufgaben ist die Tätigkeit der Amurexpedition unter N. L. Gondatti
(dein neuen Generalgouvemeur) anzusehen; als eine besondere Art Senatoren¬
revision sollte sie Aufklärung schaffen über die Zweckmäßigkeit der Verwaltungs¬
tätigkeit der Organe der Lokalverwaltung; sie hat schon manchen veranlaßt, sein
Hirn anzustrengen und tüchtig zu arbeiten. Es ist zu hoffen, daß auf der nach
ihren Angaben zu schaffenden Grundlage eine Epoche schöpferischer und
umgestaltender Tätigkeit einsetzt, die an die besten Zeiten der Verwaltung des
verstorbenen Baron Korff erinnert. In solcher Erwartung durchlebt das Land
gewissermaßen den Tag vor dem Fest und harrt des Augenblicks, wo es selbst
an der Befestigung des russischen Reiches an? Stillen Ozean mitzuarbeiten in
der Lage sein wird.

Was aber die Möglichkeit angriffsweisen Vorgehens von Japan oder China
betrifft, so wird sie in dem Maße gefährlich, als Rußland sich dagegen träge,
teilnahmslos und untätig verhält. Draußen also, an der Grenze der alten
und neuen Welt, reifen große historische Probleme ihrer Lösung entgegen, ent¬
scheiden sich Völkergefchicke. Will Rußland dabei nicht zu kurz kommen, so muß
es ungesäumt und tatkräftig daran gehen, feine Stellung zu befestigen und die
ihm obliegende Kulturarbeit zu leisten „im unerschütterlichen Glauben an die
schöpferische Kraft seines Volkes, an eine bessere, seiner Größe würdige Zukunft".




Naturerkenntnis und Weltanschauung
von Dr. Moa. Worthmaun-
II.

Wenn auch Darwin in seinem grundlegenden Werk es vermieden hat, auf
die Abstammung des Menschen einzugehen, so hat er es doch später nachgeholt,
haben es andere vor ihm getan, und so ist die Frage nach der Entstehung
des Menschen eine so integrierende des Darwinismus geworden, daß dieser
selbst häufig, freilich auch wieder nicht ganz mit Recht, als das Problem der
Affenabstammung bezeichnet wird.

Nicht mit Recht, denn der Darwinismus greift weiter; er ist eben nicht
nur eine naturwissenschaftliche Hypothese, sondern eine Weltanschauung, und als
solche zu betrachten. Er begreift in sich alles das, was heute als Monismus
dem Dualismus, d. h. dem Glauben an einen allmächtigen Gott, gegenüber¬
gestellt wird.

Wir haben als Ausgangspunkt des Dualismus die Erkenntnis der Zweck¬
mäßigkeit in der Welt kennen gelernt. Diese Zweckmäßigkeit, die Teleologie, ist
für unseren Verstand untrennbar verbunden mit dem Begriff eines zwecksetzenden


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[0073] Naturerl'ennemis und Weltanschauung Als vorbereitende Arbeit für die Lösung aller bereits vorliegenden und künftiger Aufgaben ist die Tätigkeit der Amurexpedition unter N. L. Gondatti (dein neuen Generalgouvemeur) anzusehen; als eine besondere Art Senatoren¬ revision sollte sie Aufklärung schaffen über die Zweckmäßigkeit der Verwaltungs¬ tätigkeit der Organe der Lokalverwaltung; sie hat schon manchen veranlaßt, sein Hirn anzustrengen und tüchtig zu arbeiten. Es ist zu hoffen, daß auf der nach ihren Angaben zu schaffenden Grundlage eine Epoche schöpferischer und umgestaltender Tätigkeit einsetzt, die an die besten Zeiten der Verwaltung des verstorbenen Baron Korff erinnert. In solcher Erwartung durchlebt das Land gewissermaßen den Tag vor dem Fest und harrt des Augenblicks, wo es selbst an der Befestigung des russischen Reiches an? Stillen Ozean mitzuarbeiten in der Lage sein wird. Was aber die Möglichkeit angriffsweisen Vorgehens von Japan oder China betrifft, so wird sie in dem Maße gefährlich, als Rußland sich dagegen träge, teilnahmslos und untätig verhält. Draußen also, an der Grenze der alten und neuen Welt, reifen große historische Probleme ihrer Lösung entgegen, ent¬ scheiden sich Völkergefchicke. Will Rußland dabei nicht zu kurz kommen, so muß es ungesäumt und tatkräftig daran gehen, feine Stellung zu befestigen und die ihm obliegende Kulturarbeit zu leisten „im unerschütterlichen Glauben an die schöpferische Kraft seines Volkes, an eine bessere, seiner Größe würdige Zukunft". Naturerkenntnis und Weltanschauung von Dr. Moa. Worthmaun- II. Wenn auch Darwin in seinem grundlegenden Werk es vermieden hat, auf die Abstammung des Menschen einzugehen, so hat er es doch später nachgeholt, haben es andere vor ihm getan, und so ist die Frage nach der Entstehung des Menschen eine so integrierende des Darwinismus geworden, daß dieser selbst häufig, freilich auch wieder nicht ganz mit Recht, als das Problem der Affenabstammung bezeichnet wird. Nicht mit Recht, denn der Darwinismus greift weiter; er ist eben nicht nur eine naturwissenschaftliche Hypothese, sondern eine Weltanschauung, und als solche zu betrachten. Er begreift in sich alles das, was heute als Monismus dem Dualismus, d. h. dem Glauben an einen allmächtigen Gott, gegenüber¬ gestellt wird. Wir haben als Ausgangspunkt des Dualismus die Erkenntnis der Zweck¬ mäßigkeit in der Welt kennen gelernt. Diese Zweckmäßigkeit, die Teleologie, ist für unseren Verstand untrennbar verbunden mit dem Begriff eines zwecksetzenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/73>, abgerufen am 03.07.2024.