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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

gefallen. In den Vereinigten Staaten kam der Imperialismus auf, der die
Vorherrschaft in den Ländern um den Stillen Ozean anstrebt und den Ausspruch
Raleighs: "Wer den Ozean beherrscht, der beherrscht den Handel auf ihm, und
wer den Handel, der die Reichtümer der Welt und die Welt selbst" als Leit¬
motiv angenommen hat. Seine Ansichten haben in Verbindung mit der
ungezügelten Energie, mit der riesigen Zunahme ihrer Industrie so weit von den
Vereinigten Staaten Besitz genommen, daß sie einen wesentlichen Einfluß auf
die Veränderung ihrer Handelspolitik und auf den Entschluß ausgeübt haben,
im Kampfe um die Märkte der Welt mit Europa in die Schranken zu treten.
Nachdem sie durch die Besetzung der Philippinen sich ein Eingangstor in China
geöffnet hatten, wurde von den Vereinigten Staaten die Beseitigung aller
Schranken, aller Schutzzölle auf das Panier ihrer Politik geschrieben; eine Art
Größenwahn hat sie erfaßt, da sie den Großen Ozean als amerikanisches Meer
der Zukunft ansehen und selbst die ozeanische Strömung von Amerika nach
China und Japan und wieder zurück zu den eigenen Staaten als inneren Grund
für die alles umfassende Richtung ihrer Handelsbestrebungen ausschlachten. Kein
Wunder, daß die russische Politik der verschlossenen Türen in der Mandschurei
bei ihnen alles andere als Gegenliebe fand und sie ins japanische Lager trieb.
Aber ihre Rechnung hat getrogen, und heute sind nicht nur die asiatischen
Kolonien, sondern auch die eigenen Küsten der Vereinigten Staaten den Freunden
von gestern gegenüber schutzlos. Und die "Politik der offenen Türen" haben die
Japaner auf ihre Weise aufgefaßt. Sie haben nach dem Kriege die Märkte des
Ostens mit ihren billigen Erzeugnissen überschwemmt und tätigen Anteil an dem
Boykott amerikanischer Waren in Südchina genommen. Darauf wurde der
amerikanische Handel aus Korea verdrängt, und endlich kamen die Märkte der
Mandschurei an die Reihe; hier ging die amerikanische Einfuhr von 26,5 Millionen
Dollar im Jahre 1905 durch die Einführung der Vorzugstarife, durch Aus¬
setzung von Subventionen und Bewilligung sonstiger Vorteile für die Einfuhr
aus Japan bis zum Jahre 1909 auf 7,5 Millionen Dollars herunter. Daß
diese Politik der offenen Türen in Amerika ebensowenig Beifall findet als die
frühere russische, ist klar.

Gleichzeitig wurde Japan auf politischem Gebiete unbequem; die Schul¬
frage in San Francisco gab den Vorwand, Händel zu suchen und die Amerikaner
zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Der daraufhin versuchte amerikanische Bluff
mit der Sendung der Flotte in den Stillen Ozean endete aber mit einem kläg¬
lichen Mißerfolg für das amerikanische Ansehen. Und so verträgt sich Japans
Emporkommen weder in wirtschaftlicher noch in politischer Beziehung mit den
Interessen der Vereinigten Staaten. Ein scharfer Zusammenstoß zwischen beiden
Mächten um die Vorherrschaft im Stillen Ozean und Ostasien ist nur noch eine
Frage der Zeit. Beide Parteien rechnen damit und bereiten sich darauf vor.
Sie begannen, freundschaftliche Beziehungen zu Nußland zu suchen; aber der
ungeschickte Vorschlag des Staatssekretärs Knox, die Mandschurei-Eisenbahnen


Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

gefallen. In den Vereinigten Staaten kam der Imperialismus auf, der die
Vorherrschaft in den Ländern um den Stillen Ozean anstrebt und den Ausspruch
Raleighs: „Wer den Ozean beherrscht, der beherrscht den Handel auf ihm, und
wer den Handel, der die Reichtümer der Welt und die Welt selbst" als Leit¬
motiv angenommen hat. Seine Ansichten haben in Verbindung mit der
ungezügelten Energie, mit der riesigen Zunahme ihrer Industrie so weit von den
Vereinigten Staaten Besitz genommen, daß sie einen wesentlichen Einfluß auf
die Veränderung ihrer Handelspolitik und auf den Entschluß ausgeübt haben,
im Kampfe um die Märkte der Welt mit Europa in die Schranken zu treten.
Nachdem sie durch die Besetzung der Philippinen sich ein Eingangstor in China
geöffnet hatten, wurde von den Vereinigten Staaten die Beseitigung aller
Schranken, aller Schutzzölle auf das Panier ihrer Politik geschrieben; eine Art
Größenwahn hat sie erfaßt, da sie den Großen Ozean als amerikanisches Meer
der Zukunft ansehen und selbst die ozeanische Strömung von Amerika nach
China und Japan und wieder zurück zu den eigenen Staaten als inneren Grund
für die alles umfassende Richtung ihrer Handelsbestrebungen ausschlachten. Kein
Wunder, daß die russische Politik der verschlossenen Türen in der Mandschurei
bei ihnen alles andere als Gegenliebe fand und sie ins japanische Lager trieb.
Aber ihre Rechnung hat getrogen, und heute sind nicht nur die asiatischen
Kolonien, sondern auch die eigenen Küsten der Vereinigten Staaten den Freunden
von gestern gegenüber schutzlos. Und die „Politik der offenen Türen" haben die
Japaner auf ihre Weise aufgefaßt. Sie haben nach dem Kriege die Märkte des
Ostens mit ihren billigen Erzeugnissen überschwemmt und tätigen Anteil an dem
Boykott amerikanischer Waren in Südchina genommen. Darauf wurde der
amerikanische Handel aus Korea verdrängt, und endlich kamen die Märkte der
Mandschurei an die Reihe; hier ging die amerikanische Einfuhr von 26,5 Millionen
Dollar im Jahre 1905 durch die Einführung der Vorzugstarife, durch Aus¬
setzung von Subventionen und Bewilligung sonstiger Vorteile für die Einfuhr
aus Japan bis zum Jahre 1909 auf 7,5 Millionen Dollars herunter. Daß
diese Politik der offenen Türen in Amerika ebensowenig Beifall findet als die
frühere russische, ist klar.

Gleichzeitig wurde Japan auf politischem Gebiete unbequem; die Schul¬
frage in San Francisco gab den Vorwand, Händel zu suchen und die Amerikaner
zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Der daraufhin versuchte amerikanische Bluff
mit der Sendung der Flotte in den Stillen Ozean endete aber mit einem kläg¬
lichen Mißerfolg für das amerikanische Ansehen. Und so verträgt sich Japans
Emporkommen weder in wirtschaftlicher noch in politischer Beziehung mit den
Interessen der Vereinigten Staaten. Ein scharfer Zusammenstoß zwischen beiden
Mächten um die Vorherrschaft im Stillen Ozean und Ostasien ist nur noch eine
Frage der Zeit. Beide Parteien rechnen damit und bereiten sich darauf vor.
Sie begannen, freundschaftliche Beziehungen zu Nußland zu suchen; aber der
ungeschickte Vorschlag des Staatssekretärs Knox, die Mandschurei-Eisenbahnen


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[0066] Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten gefallen. In den Vereinigten Staaten kam der Imperialismus auf, der die Vorherrschaft in den Ländern um den Stillen Ozean anstrebt und den Ausspruch Raleighs: „Wer den Ozean beherrscht, der beherrscht den Handel auf ihm, und wer den Handel, der die Reichtümer der Welt und die Welt selbst" als Leit¬ motiv angenommen hat. Seine Ansichten haben in Verbindung mit der ungezügelten Energie, mit der riesigen Zunahme ihrer Industrie so weit von den Vereinigten Staaten Besitz genommen, daß sie einen wesentlichen Einfluß auf die Veränderung ihrer Handelspolitik und auf den Entschluß ausgeübt haben, im Kampfe um die Märkte der Welt mit Europa in die Schranken zu treten. Nachdem sie durch die Besetzung der Philippinen sich ein Eingangstor in China geöffnet hatten, wurde von den Vereinigten Staaten die Beseitigung aller Schranken, aller Schutzzölle auf das Panier ihrer Politik geschrieben; eine Art Größenwahn hat sie erfaßt, da sie den Großen Ozean als amerikanisches Meer der Zukunft ansehen und selbst die ozeanische Strömung von Amerika nach China und Japan und wieder zurück zu den eigenen Staaten als inneren Grund für die alles umfassende Richtung ihrer Handelsbestrebungen ausschlachten. Kein Wunder, daß die russische Politik der verschlossenen Türen in der Mandschurei bei ihnen alles andere als Gegenliebe fand und sie ins japanische Lager trieb. Aber ihre Rechnung hat getrogen, und heute sind nicht nur die asiatischen Kolonien, sondern auch die eigenen Küsten der Vereinigten Staaten den Freunden von gestern gegenüber schutzlos. Und die „Politik der offenen Türen" haben die Japaner auf ihre Weise aufgefaßt. Sie haben nach dem Kriege die Märkte des Ostens mit ihren billigen Erzeugnissen überschwemmt und tätigen Anteil an dem Boykott amerikanischer Waren in Südchina genommen. Darauf wurde der amerikanische Handel aus Korea verdrängt, und endlich kamen die Märkte der Mandschurei an die Reihe; hier ging die amerikanische Einfuhr von 26,5 Millionen Dollar im Jahre 1905 durch die Einführung der Vorzugstarife, durch Aus¬ setzung von Subventionen und Bewilligung sonstiger Vorteile für die Einfuhr aus Japan bis zum Jahre 1909 auf 7,5 Millionen Dollars herunter. Daß diese Politik der offenen Türen in Amerika ebensowenig Beifall findet als die frühere russische, ist klar. Gleichzeitig wurde Japan auf politischem Gebiete unbequem; die Schul¬ frage in San Francisco gab den Vorwand, Händel zu suchen und die Amerikaner zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Der daraufhin versuchte amerikanische Bluff mit der Sendung der Flotte in den Stillen Ozean endete aber mit einem kläg¬ lichen Mißerfolg für das amerikanische Ansehen. Und so verträgt sich Japans Emporkommen weder in wirtschaftlicher noch in politischer Beziehung mit den Interessen der Vereinigten Staaten. Ein scharfer Zusammenstoß zwischen beiden Mächten um die Vorherrschaft im Stillen Ozean und Ostasien ist nur noch eine Frage der Zeit. Beide Parteien rechnen damit und bereiten sich darauf vor. Sie begannen, freundschaftliche Beziehungen zu Nußland zu suchen; aber der ungeschickte Vorschlag des Staatssekretärs Knox, die Mandschurei-Eisenbahnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/66>, abgerufen am 03.07.2024.