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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Religion

Laß das, mein Kindt Du fühlst, ich bin dir gut.
Für meine Lieben ließ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Auf die weitere direkte Frage: "Glaubst du an Gott?" antwortet Faust
gleichfalls ausweichend:


Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.

Erst auf die neue Frage des durch diese Antwort ganz erschrockenen
Mädchens: "So glaubst du nicht?" erwidert Faust die bekannten Worte:


Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? usw.

Diese Worte verweisen den Gottesglauben ausschließlich in den Bereich des
Gefühls. Jeden Versuch einer begrifflichen Definition, einer verstandesmäßigen
Erfassung Gottes, einer bestimmten persönlichen Vorstellung lehnen sie ab. Jeder
Name, heißt es, beeinträchtigt die Empfindung.


Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Das Bekenntnis ist insofern auch frei von jedem Konfessioncilismns. Als
Gretchen Faust gleichsam ins Gesicht sagt: "Du hast kein Christentum", vermag
er das nicht zu bestreiten und weiß nur begütigend "Lieb's Kind" zu erwidern.
Auch bekannte Goethe schon einige Zeit, bevor diese Szene gedichtet war, im
November 1773 Lavater unverhohlen: "Ich bin kein Christ." ("Der junge
Goethe" 3, 65.)

Und nicht nur unkonfessioncll ist das Bekenntnis, sondern ausgesprochen
monistisch, insofern hier Gott und Natur als eins erklärt werden.

Diese Anschauung ist der metaphysische Haupt- und Grundgedanke des
Systems vou Spinoza. Gerade in dieser Zeit fing Goethe an, sich mit seinen
Schriften zu beschäftigen, um ihm sein Leben lang tren zu bleiben. Im hohen
Alter bekannte er, daß von drei Männern die größte Wirkung auf ihn aus¬
gegangen sei: von Shakespeare, Linn6 und Spinoza. Und als ihm einmal --
es war im Jahre 1811 -- die Schrift seines Jugendfreundes Fritz Jacobi
"Von den göttlichen Dingen" schmerzlichen Verdruß bereitete, rettete er sich, wie
er schreibt, zu seinem alten Asyl und fand in Spinozas "Ethik" auf mehrere
Wochen seine tägliche Unterhaltung. (Weimarer Ausgabe I, Bd. 36, 71 s.)

Historisch betrachtet, hat jedoch nicht bloß Spinoza an dem Glaubens¬
bekenntnis mitgearbeitet, sondern der Geist des für die Kunst wie die Geistes-


Goethes Religion

Laß das, mein Kindt Du fühlst, ich bin dir gut.
Für meine Lieben ließ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.

Auf die weitere direkte Frage: „Glaubst du an Gott?" antwortet Faust
gleichfalls ausweichend:


Mein Liebchen, wer darf sagen:
Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.

Erst auf die neue Frage des durch diese Antwort ganz erschrockenen
Mädchens: „So glaubst du nicht?" erwidert Faust die bekannten Worte:


Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? usw.

Diese Worte verweisen den Gottesglauben ausschließlich in den Bereich des
Gefühls. Jeden Versuch einer begrifflichen Definition, einer verstandesmäßigen
Erfassung Gottes, einer bestimmten persönlichen Vorstellung lehnen sie ab. Jeder
Name, heißt es, beeinträchtigt die Empfindung.


Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.

Das Bekenntnis ist insofern auch frei von jedem Konfessioncilismns. Als
Gretchen Faust gleichsam ins Gesicht sagt: „Du hast kein Christentum", vermag
er das nicht zu bestreiten und weiß nur begütigend „Lieb's Kind" zu erwidern.
Auch bekannte Goethe schon einige Zeit, bevor diese Szene gedichtet war, im
November 1773 Lavater unverhohlen: „Ich bin kein Christ." („Der junge
Goethe" 3, 65.)

Und nicht nur unkonfessioncll ist das Bekenntnis, sondern ausgesprochen
monistisch, insofern hier Gott und Natur als eins erklärt werden.

Diese Anschauung ist der metaphysische Haupt- und Grundgedanke des
Systems vou Spinoza. Gerade in dieser Zeit fing Goethe an, sich mit seinen
Schriften zu beschäftigen, um ihm sein Leben lang tren zu bleiben. Im hohen
Alter bekannte er, daß von drei Männern die größte Wirkung auf ihn aus¬
gegangen sei: von Shakespeare, Linn6 und Spinoza. Und als ihm einmal —
es war im Jahre 1811 — die Schrift seines Jugendfreundes Fritz Jacobi
„Von den göttlichen Dingen" schmerzlichen Verdruß bereitete, rettete er sich, wie
er schreibt, zu seinem alten Asyl und fand in Spinozas „Ethik" auf mehrere
Wochen seine tägliche Unterhaltung. (Weimarer Ausgabe I, Bd. 36, 71 s.)

Historisch betrachtet, hat jedoch nicht bloß Spinoza an dem Glaubens¬
bekenntnis mitgearbeitet, sondern der Geist des für die Kunst wie die Geistes-


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[0615] Goethes Religion Laß das, mein Kindt Du fühlst, ich bin dir gut. Für meine Lieben ließ ich Leib und Blut, Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben. Auf die weitere direkte Frage: „Glaubst du an Gott?" antwortet Faust gleichfalls ausweichend: Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub' an Gott? Magst Priester oder Weise fragen, Und ihre Antwort scheint nur Spott Über den Frager zu sein. Erst auf die neue Frage des durch diese Antwort ganz erschrockenen Mädchens: „So glaubst du nicht?" erwidert Faust die bekannten Worte: Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub' ihn? Wer empfinden Und sich unterwinden Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? usw. Diese Worte verweisen den Gottesglauben ausschließlich in den Bereich des Gefühls. Jeden Versuch einer begrifflichen Definition, einer verstandesmäßigen Erfassung Gottes, einer bestimmten persönlichen Vorstellung lehnen sie ab. Jeder Name, heißt es, beeinträchtigt die Empfindung. Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut. Das Bekenntnis ist insofern auch frei von jedem Konfessioncilismns. Als Gretchen Faust gleichsam ins Gesicht sagt: „Du hast kein Christentum", vermag er das nicht zu bestreiten und weiß nur begütigend „Lieb's Kind" zu erwidern. Auch bekannte Goethe schon einige Zeit, bevor diese Szene gedichtet war, im November 1773 Lavater unverhohlen: „Ich bin kein Christ." („Der junge Goethe" 3, 65.) Und nicht nur unkonfessioncll ist das Bekenntnis, sondern ausgesprochen monistisch, insofern hier Gott und Natur als eins erklärt werden. Diese Anschauung ist der metaphysische Haupt- und Grundgedanke des Systems vou Spinoza. Gerade in dieser Zeit fing Goethe an, sich mit seinen Schriften zu beschäftigen, um ihm sein Leben lang tren zu bleiben. Im hohen Alter bekannte er, daß von drei Männern die größte Wirkung auf ihn aus¬ gegangen sei: von Shakespeare, Linn6 und Spinoza. Und als ihm einmal — es war im Jahre 1811 — die Schrift seines Jugendfreundes Fritz Jacobi „Von den göttlichen Dingen" schmerzlichen Verdruß bereitete, rettete er sich, wie er schreibt, zu seinem alten Asyl und fand in Spinozas „Ethik" auf mehrere Wochen seine tägliche Unterhaltung. (Weimarer Ausgabe I, Bd. 36, 71 s.) Historisch betrachtet, hat jedoch nicht bloß Spinoza an dem Glaubens¬ bekenntnis mitgearbeitet, sondern der Geist des für die Kunst wie die Geistes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/615>, abgerufen am 22.07.2024.