Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethes Religion

Personen ihm selbst als eigene Anschauung zuzuschreiben ist. Lessing verwahrte
sich einmal ausdrücklich dagegen, dasjenige als seine eigene Auffassung zu prokla¬
mieren, was Gestalten seiner Dramen aussprechen. Und jedenfalls ist niemals
außer acht zu lassen, was der vom Dichter gewählte Stoff an Gedanken und
Empfindungen notwendig mit sich bringt. Wir wollen das im Auge behalten,
wenn wir aus den: genialen Prometheusfragment, das Goethe im Sommer
1773 schuf, Schlüsse ziehen auf den religiösen Standpunkt, den er damals einnahm.

Auflehnung gegen die Götter war mit dem Mythos vom Trotz des Titanen
gegeben.


Allein ich sollte Knecht sein,
lind wir alle
Anerkennen droben die Macht des Donnerers?
Nein!

so ruft Prometheus selbstbewußt. Man darf sagen: ein dogmengläubiger Dichter
würde sich kaum einen solchen Stoff wählen und nicht leicht auch einen antiken
Heros so sprechen lassen. Und schwerlich geht man fehl, wenn man behauptet,
daß das Fragment den Charakter eines atheistischen Bekenntnisses Goethes
bedeutet. Man darf das um so eher, als der Dichter mit einem schönen poetischen
Anachronismus in dieser griechischen Heroenwelt Prometheus' Bruder Epimetheus
Worte sprechen läßt, deren tieferer Sinn im Monismus wurzelt. Während es
nämlich dem Wesen der dogmatischen Religion entspricht, daß zwischen der über¬
irdischen Gottheit und den Menschen eine unendliche Kluft besteht, der positive
Glaube mithin einen Dualismus proklamiert, sagt Epimetheus, der eine Art
Vermittlerrolle zwischen Jupiter und Prometheus spielt, zu diesem:


Dein Eigensinn verkennt die Wonne,
Wenn die Götter, du,
Die Deinigen und Welt und Himmel all
Sich als ein innig Ganzes fühlten.

Im Gegensatz zum Dualismus deuten diese Worte den Weg zum Monismus
an. Selbst und unmittelbar konnte die monistische Anschauung in der Dichtung
nicht zum Ausdruck kommen. Das verbot der poetische Vorwurf, insofern er
das Dasein von Göttern zur Voraussetzung hat.

Daß sich aber in diesen Worten die Auffassung des Dichters selbst geltend
macht, lehrt nicht bloß der Umstand, daß Goethe später als den Grund seiner
ganzen Existenz die Vorstellungsart bezeichnete: Gott in der Natur, die Natur in Gott
zu sehen, sondern das berühmte, nur etwa ein oder zwei Jahr später als das
Prometheusfragment verfaßte Glaubensbekenntnis, das Faust vor Gretchen
ablegt. Denn in ihm spricht Goethe selbst. Das hat noch niemand bezweifelt.
Ja, es spricht mehr Goethe als Fällst, da seine Worte im Widerspruch zu der
Fabel des Dramas stehen.

Wie aber ist das Bekenntnis zu verstehen?

Auf Gretchens Frage: "Nun sag', wie hast dn's mit der Religion?" ant¬
wortet Faust zunächst ausweichend:


Goethes Religion

Personen ihm selbst als eigene Anschauung zuzuschreiben ist. Lessing verwahrte
sich einmal ausdrücklich dagegen, dasjenige als seine eigene Auffassung zu prokla¬
mieren, was Gestalten seiner Dramen aussprechen. Und jedenfalls ist niemals
außer acht zu lassen, was der vom Dichter gewählte Stoff an Gedanken und
Empfindungen notwendig mit sich bringt. Wir wollen das im Auge behalten,
wenn wir aus den: genialen Prometheusfragment, das Goethe im Sommer
1773 schuf, Schlüsse ziehen auf den religiösen Standpunkt, den er damals einnahm.

Auflehnung gegen die Götter war mit dem Mythos vom Trotz des Titanen
gegeben.


Allein ich sollte Knecht sein,
lind wir alle
Anerkennen droben die Macht des Donnerers?
Nein!

so ruft Prometheus selbstbewußt. Man darf sagen: ein dogmengläubiger Dichter
würde sich kaum einen solchen Stoff wählen und nicht leicht auch einen antiken
Heros so sprechen lassen. Und schwerlich geht man fehl, wenn man behauptet,
daß das Fragment den Charakter eines atheistischen Bekenntnisses Goethes
bedeutet. Man darf das um so eher, als der Dichter mit einem schönen poetischen
Anachronismus in dieser griechischen Heroenwelt Prometheus' Bruder Epimetheus
Worte sprechen läßt, deren tieferer Sinn im Monismus wurzelt. Während es
nämlich dem Wesen der dogmatischen Religion entspricht, daß zwischen der über¬
irdischen Gottheit und den Menschen eine unendliche Kluft besteht, der positive
Glaube mithin einen Dualismus proklamiert, sagt Epimetheus, der eine Art
Vermittlerrolle zwischen Jupiter und Prometheus spielt, zu diesem:


Dein Eigensinn verkennt die Wonne,
Wenn die Götter, du,
Die Deinigen und Welt und Himmel all
Sich als ein innig Ganzes fühlten.

Im Gegensatz zum Dualismus deuten diese Worte den Weg zum Monismus
an. Selbst und unmittelbar konnte die monistische Anschauung in der Dichtung
nicht zum Ausdruck kommen. Das verbot der poetische Vorwurf, insofern er
das Dasein von Göttern zur Voraussetzung hat.

Daß sich aber in diesen Worten die Auffassung des Dichters selbst geltend
macht, lehrt nicht bloß der Umstand, daß Goethe später als den Grund seiner
ganzen Existenz die Vorstellungsart bezeichnete: Gott in der Natur, die Natur in Gott
zu sehen, sondern das berühmte, nur etwa ein oder zwei Jahr später als das
Prometheusfragment verfaßte Glaubensbekenntnis, das Faust vor Gretchen
ablegt. Denn in ihm spricht Goethe selbst. Das hat noch niemand bezweifelt.
Ja, es spricht mehr Goethe als Fällst, da seine Worte im Widerspruch zu der
Fabel des Dramas stehen.

Wie aber ist das Bekenntnis zu verstehen?

Auf Gretchens Frage: „Nun sag', wie hast dn's mit der Religion?" ant¬
wortet Faust zunächst ausweichend:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0614" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318897"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethes Religion</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_4165" prev="#ID_4164"> Personen ihm selbst als eigene Anschauung zuzuschreiben ist. Lessing verwahrte<lb/>
sich einmal ausdrücklich dagegen, dasjenige als seine eigene Auffassung zu prokla¬<lb/>
mieren, was Gestalten seiner Dramen aussprechen. Und jedenfalls ist niemals<lb/>
außer acht zu lassen, was der vom Dichter gewählte Stoff an Gedanken und<lb/>
Empfindungen notwendig mit sich bringt. Wir wollen das im Auge behalten,<lb/>
wenn wir aus den: genialen Prometheusfragment, das Goethe im Sommer<lb/>
1773 schuf, Schlüsse ziehen auf den religiösen Standpunkt, den er damals einnahm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4166"> Auflehnung gegen die Götter war mit dem Mythos vom Trotz des Titanen<lb/>
gegeben.</p><lb/>
          <quote> Allein ich sollte Knecht sein,<lb/>
lind wir alle<lb/>
Anerkennen droben die Macht des Donnerers?<lb/>
Nein!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_4167"> so ruft Prometheus selbstbewußt. Man darf sagen: ein dogmengläubiger Dichter<lb/>
würde sich kaum einen solchen Stoff wählen und nicht leicht auch einen antiken<lb/>
Heros so sprechen lassen. Und schwerlich geht man fehl, wenn man behauptet,<lb/>
daß das Fragment den Charakter eines atheistischen Bekenntnisses Goethes<lb/>
bedeutet. Man darf das um so eher, als der Dichter mit einem schönen poetischen<lb/>
Anachronismus in dieser griechischen Heroenwelt Prometheus' Bruder Epimetheus<lb/>
Worte sprechen läßt, deren tieferer Sinn im Monismus wurzelt. Während es<lb/>
nämlich dem Wesen der dogmatischen Religion entspricht, daß zwischen der über¬<lb/>
irdischen Gottheit und den Menschen eine unendliche Kluft besteht, der positive<lb/>
Glaube mithin einen Dualismus proklamiert, sagt Epimetheus, der eine Art<lb/>
Vermittlerrolle zwischen Jupiter und Prometheus spielt, zu diesem:</p><lb/>
          <quote> Dein Eigensinn verkennt die Wonne,<lb/>
Wenn die Götter, du,<lb/>
Die Deinigen und Welt und Himmel all<lb/>
Sich als ein innig Ganzes fühlten.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_4168"> Im Gegensatz zum Dualismus deuten diese Worte den Weg zum Monismus<lb/>
an. Selbst und unmittelbar konnte die monistische Anschauung in der Dichtung<lb/>
nicht zum Ausdruck kommen. Das verbot der poetische Vorwurf, insofern er<lb/>
das Dasein von Göttern zur Voraussetzung hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4169"> Daß sich aber in diesen Worten die Auffassung des Dichters selbst geltend<lb/>
macht, lehrt nicht bloß der Umstand, daß Goethe später als den Grund seiner<lb/>
ganzen Existenz die Vorstellungsart bezeichnete: Gott in der Natur, die Natur in Gott<lb/>
zu sehen, sondern das berühmte, nur etwa ein oder zwei Jahr später als das<lb/>
Prometheusfragment verfaßte Glaubensbekenntnis, das Faust vor Gretchen<lb/>
ablegt. Denn in ihm spricht Goethe selbst. Das hat noch niemand bezweifelt.<lb/>
Ja, es spricht mehr Goethe als Fällst, da seine Worte im Widerspruch zu der<lb/>
Fabel des Dramas stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4170"> Wie aber ist das Bekenntnis zu verstehen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4171"> Auf Gretchens Frage: &#x201E;Nun sag', wie hast dn's mit der Religion?" ant¬<lb/>
wortet Faust zunächst ausweichend:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0614] Goethes Religion Personen ihm selbst als eigene Anschauung zuzuschreiben ist. Lessing verwahrte sich einmal ausdrücklich dagegen, dasjenige als seine eigene Auffassung zu prokla¬ mieren, was Gestalten seiner Dramen aussprechen. Und jedenfalls ist niemals außer acht zu lassen, was der vom Dichter gewählte Stoff an Gedanken und Empfindungen notwendig mit sich bringt. Wir wollen das im Auge behalten, wenn wir aus den: genialen Prometheusfragment, das Goethe im Sommer 1773 schuf, Schlüsse ziehen auf den religiösen Standpunkt, den er damals einnahm. Auflehnung gegen die Götter war mit dem Mythos vom Trotz des Titanen gegeben. Allein ich sollte Knecht sein, lind wir alle Anerkennen droben die Macht des Donnerers? Nein! so ruft Prometheus selbstbewußt. Man darf sagen: ein dogmengläubiger Dichter würde sich kaum einen solchen Stoff wählen und nicht leicht auch einen antiken Heros so sprechen lassen. Und schwerlich geht man fehl, wenn man behauptet, daß das Fragment den Charakter eines atheistischen Bekenntnisses Goethes bedeutet. Man darf das um so eher, als der Dichter mit einem schönen poetischen Anachronismus in dieser griechischen Heroenwelt Prometheus' Bruder Epimetheus Worte sprechen läßt, deren tieferer Sinn im Monismus wurzelt. Während es nämlich dem Wesen der dogmatischen Religion entspricht, daß zwischen der über¬ irdischen Gottheit und den Menschen eine unendliche Kluft besteht, der positive Glaube mithin einen Dualismus proklamiert, sagt Epimetheus, der eine Art Vermittlerrolle zwischen Jupiter und Prometheus spielt, zu diesem: Dein Eigensinn verkennt die Wonne, Wenn die Götter, du, Die Deinigen und Welt und Himmel all Sich als ein innig Ganzes fühlten. Im Gegensatz zum Dualismus deuten diese Worte den Weg zum Monismus an. Selbst und unmittelbar konnte die monistische Anschauung in der Dichtung nicht zum Ausdruck kommen. Das verbot der poetische Vorwurf, insofern er das Dasein von Göttern zur Voraussetzung hat. Daß sich aber in diesen Worten die Auffassung des Dichters selbst geltend macht, lehrt nicht bloß der Umstand, daß Goethe später als den Grund seiner ganzen Existenz die Vorstellungsart bezeichnete: Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen, sondern das berühmte, nur etwa ein oder zwei Jahr später als das Prometheusfragment verfaßte Glaubensbekenntnis, das Faust vor Gretchen ablegt. Denn in ihm spricht Goethe selbst. Das hat noch niemand bezweifelt. Ja, es spricht mehr Goethe als Fällst, da seine Worte im Widerspruch zu der Fabel des Dramas stehen. Wie aber ist das Bekenntnis zu verstehen? Auf Gretchens Frage: „Nun sag', wie hast dn's mit der Religion?" ant¬ wortet Faust zunächst ausweichend:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/614
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/614>, abgerufen am 22.07.2024.