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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Sorgen und Stützen britischer Weltxolitik

wollen ein weißes Australien und fürchten die namentlich im Norden drohende
japanische Einwanderung, die dereinst zu einer politischen Vormachtstellung der
Japaner werden könnte. Australien ist bereit, mitzuwirken bei der großen Reichs¬
rüstung, bei der gemeinsamen Verteidigung des Imperiums, aber in der aus¬
gesprochenen Absicht, seinen Teil an der Rüstung in erster Linie zu nutzen zur
Verteidigung gegen Japan.

Seine indische Stellung sucht England zu festigen, indem es nicht nur in
Ägypten immer festeren Fuß faßt, sondern auch die Herrschaft über Arabien
erstrebt, so daß, nachdem auch Südpersien in seine Hand gekommen ist, es
schließlich über das ganze Gebiet zwischen dem Nil und der Malayischen Halbinsel
verfügen würde. Seine Stellung in Ägypten und Arabien aber ist nicht minder
erschwert durch die Erfolge der jungtürkischen Bewegung, die einer Festigung
des britischen Einflusses in jenen Gebieten entschieden zuwiderlaufen.

Auf dem anderen Kontinent ist England auch in Kanada nichts weniger
als sorgenfrei. Noch weniger, als es gegenüber Japan seine indisch-australischen
Sorgen zum Ausdrucke kommen lassen möchte, gesteht es gegenüber den Ver¬
einigten Staaten seine Sorge um Kanada. Und doch ist es hier schon oft genug
zu bedenklichen Reibungen gekommen. Der Gegensatz zwischen den beiden
angelsächsischen Großmächten erweitert sich beständig mit der ungeheuren Steigerung
des wirtschaftlichen Wertes von Kanada und des Wettbewerbes englischer und
amerikanischer Erzeugnisse auf dem kanadischen Markte. Jedes Jahr erschließt
neue Quellen industriellen Lebens, neue Zentren der Nohstoffgewinnung aller
Art; die Landwirtschaft, die Mineralgewinnung, die Ausnutzung der reichen
Wasserkräfte durch die elektrische Industrie nehmen ununterbrochen in raschem
Tempo und höchst bemerkenswerten Umfange zu. An diesem Aufschwünge
hat das Mutterland in manchen Beziehungen zeitweise weniger teil als die
benachbarte Union; und so kommt es, daß in England von Zeit zu Zeit Warn¬
rufe vor einer Amerikanisierung Kanadas laut werden konnten. Jahrelang war
die Einwanderung von Bürgern der Vereinigten Staaten nach Kanada größer
als diejenige aus England; und die Einfuhr amerikanischer Waren auf dem
kanadischen Markt ist trotz der Vorzugszölle zugunsten des Mutterlandes an¬
dauernd größer als die englische Einfuhr. Kanada fühlt sich dein Mutterlande
gegenüber in hohem Grade selbständig, und die politische Zukunft dieser Kolonie
bildet eine stete, ernste Sorge für Großbritannien -- zumal nach der weithin
sichtbaren Betätigung kanadischen Unabhängigkeitsgefühls durch das Abkommen
mit dem Nachbarreiche.

Unter ganz anderen Zeichen steht das Verhältnis Großbritanniens zu den
romanischen Ländern, die gegenwärtig wirksame Stützen der britischen Welt¬
stellung und Handelsvorherrschaft bilden. Freilich, es hat nicht immer Frieden
und Freundschaft zwischen Großbritannien und den romanischen Ländern
geherrscht, die heute doch in erheblichem Umfange fast nur noch englische
Vasallenstaaten sind. Namentlich die einst so mächtigen Länder der Iberischen


Sorgen und Stützen britischer Weltxolitik

wollen ein weißes Australien und fürchten die namentlich im Norden drohende
japanische Einwanderung, die dereinst zu einer politischen Vormachtstellung der
Japaner werden könnte. Australien ist bereit, mitzuwirken bei der großen Reichs¬
rüstung, bei der gemeinsamen Verteidigung des Imperiums, aber in der aus¬
gesprochenen Absicht, seinen Teil an der Rüstung in erster Linie zu nutzen zur
Verteidigung gegen Japan.

Seine indische Stellung sucht England zu festigen, indem es nicht nur in
Ägypten immer festeren Fuß faßt, sondern auch die Herrschaft über Arabien
erstrebt, so daß, nachdem auch Südpersien in seine Hand gekommen ist, es
schließlich über das ganze Gebiet zwischen dem Nil und der Malayischen Halbinsel
verfügen würde. Seine Stellung in Ägypten und Arabien aber ist nicht minder
erschwert durch die Erfolge der jungtürkischen Bewegung, die einer Festigung
des britischen Einflusses in jenen Gebieten entschieden zuwiderlaufen.

Auf dem anderen Kontinent ist England auch in Kanada nichts weniger
als sorgenfrei. Noch weniger, als es gegenüber Japan seine indisch-australischen
Sorgen zum Ausdrucke kommen lassen möchte, gesteht es gegenüber den Ver¬
einigten Staaten seine Sorge um Kanada. Und doch ist es hier schon oft genug
zu bedenklichen Reibungen gekommen. Der Gegensatz zwischen den beiden
angelsächsischen Großmächten erweitert sich beständig mit der ungeheuren Steigerung
des wirtschaftlichen Wertes von Kanada und des Wettbewerbes englischer und
amerikanischer Erzeugnisse auf dem kanadischen Markte. Jedes Jahr erschließt
neue Quellen industriellen Lebens, neue Zentren der Nohstoffgewinnung aller
Art; die Landwirtschaft, die Mineralgewinnung, die Ausnutzung der reichen
Wasserkräfte durch die elektrische Industrie nehmen ununterbrochen in raschem
Tempo und höchst bemerkenswerten Umfange zu. An diesem Aufschwünge
hat das Mutterland in manchen Beziehungen zeitweise weniger teil als die
benachbarte Union; und so kommt es, daß in England von Zeit zu Zeit Warn¬
rufe vor einer Amerikanisierung Kanadas laut werden konnten. Jahrelang war
die Einwanderung von Bürgern der Vereinigten Staaten nach Kanada größer
als diejenige aus England; und die Einfuhr amerikanischer Waren auf dem
kanadischen Markt ist trotz der Vorzugszölle zugunsten des Mutterlandes an¬
dauernd größer als die englische Einfuhr. Kanada fühlt sich dein Mutterlande
gegenüber in hohem Grade selbständig, und die politische Zukunft dieser Kolonie
bildet eine stete, ernste Sorge für Großbritannien — zumal nach der weithin
sichtbaren Betätigung kanadischen Unabhängigkeitsgefühls durch das Abkommen
mit dem Nachbarreiche.

Unter ganz anderen Zeichen steht das Verhältnis Großbritanniens zu den
romanischen Ländern, die gegenwärtig wirksame Stützen der britischen Welt¬
stellung und Handelsvorherrschaft bilden. Freilich, es hat nicht immer Frieden
und Freundschaft zwischen Großbritannien und den romanischen Ländern
geherrscht, die heute doch in erheblichem Umfange fast nur noch englische
Vasallenstaaten sind. Namentlich die einst so mächtigen Länder der Iberischen


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[0510] Sorgen und Stützen britischer Weltxolitik wollen ein weißes Australien und fürchten die namentlich im Norden drohende japanische Einwanderung, die dereinst zu einer politischen Vormachtstellung der Japaner werden könnte. Australien ist bereit, mitzuwirken bei der großen Reichs¬ rüstung, bei der gemeinsamen Verteidigung des Imperiums, aber in der aus¬ gesprochenen Absicht, seinen Teil an der Rüstung in erster Linie zu nutzen zur Verteidigung gegen Japan. Seine indische Stellung sucht England zu festigen, indem es nicht nur in Ägypten immer festeren Fuß faßt, sondern auch die Herrschaft über Arabien erstrebt, so daß, nachdem auch Südpersien in seine Hand gekommen ist, es schließlich über das ganze Gebiet zwischen dem Nil und der Malayischen Halbinsel verfügen würde. Seine Stellung in Ägypten und Arabien aber ist nicht minder erschwert durch die Erfolge der jungtürkischen Bewegung, die einer Festigung des britischen Einflusses in jenen Gebieten entschieden zuwiderlaufen. Auf dem anderen Kontinent ist England auch in Kanada nichts weniger als sorgenfrei. Noch weniger, als es gegenüber Japan seine indisch-australischen Sorgen zum Ausdrucke kommen lassen möchte, gesteht es gegenüber den Ver¬ einigten Staaten seine Sorge um Kanada. Und doch ist es hier schon oft genug zu bedenklichen Reibungen gekommen. Der Gegensatz zwischen den beiden angelsächsischen Großmächten erweitert sich beständig mit der ungeheuren Steigerung des wirtschaftlichen Wertes von Kanada und des Wettbewerbes englischer und amerikanischer Erzeugnisse auf dem kanadischen Markte. Jedes Jahr erschließt neue Quellen industriellen Lebens, neue Zentren der Nohstoffgewinnung aller Art; die Landwirtschaft, die Mineralgewinnung, die Ausnutzung der reichen Wasserkräfte durch die elektrische Industrie nehmen ununterbrochen in raschem Tempo und höchst bemerkenswerten Umfange zu. An diesem Aufschwünge hat das Mutterland in manchen Beziehungen zeitweise weniger teil als die benachbarte Union; und so kommt es, daß in England von Zeit zu Zeit Warn¬ rufe vor einer Amerikanisierung Kanadas laut werden konnten. Jahrelang war die Einwanderung von Bürgern der Vereinigten Staaten nach Kanada größer als diejenige aus England; und die Einfuhr amerikanischer Waren auf dem kanadischen Markt ist trotz der Vorzugszölle zugunsten des Mutterlandes an¬ dauernd größer als die englische Einfuhr. Kanada fühlt sich dein Mutterlande gegenüber in hohem Grade selbständig, und die politische Zukunft dieser Kolonie bildet eine stete, ernste Sorge für Großbritannien — zumal nach der weithin sichtbaren Betätigung kanadischen Unabhängigkeitsgefühls durch das Abkommen mit dem Nachbarreiche. Unter ganz anderen Zeichen steht das Verhältnis Großbritanniens zu den romanischen Ländern, die gegenwärtig wirksame Stützen der britischen Welt¬ stellung und Handelsvorherrschaft bilden. Freilich, es hat nicht immer Frieden und Freundschaft zwischen Großbritannien und den romanischen Ländern geherrscht, die heute doch in erheblichem Umfange fast nur noch englische Vasallenstaaten sind. Namentlich die einst so mächtigen Länder der Iberischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/510>, abgerufen am 26.08.2024.