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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Sorgen und Stützen britischer Wcltpolitik

land auf den Hochstraßen der Völker ganz andere Sorgen als allein um die
Bagdadbahn; und es wird bald genug gezwungen sein, den starr auf den fried¬
lichen deutschen Wettbewerb gerichteten Blick abzulenken auf andere, bedrohlichere
Konkurrenten.

So weit die Ausdehnung des britischen Riesenreiches angewachsen ist, so
stark wachsen die Sorgen um seine Behauptung. Einmal schon ist England
das wertvollste Stück seines Besitzes ans der Hand geglitten; und was seinerzeit
bei der Bildung der Vereinigten Staaten von Amerika geschehen ist, das könnte
sich eines Tages ebensogut in den Vereinigten Staaten von Australien, in den
Vereinigten Staaten von Südafrika oder auch in Kanada wiederholen. Diese
Kolonien fest an das Mutterland zu ketten, ist die ernste Sorge der britischen
Politiker -- eine Sorge, von der auch die sogenannte Tarifreformbewegung
ihren Ursprung nimmt. Um die wirtschaftlichen Interessen der Kolonien eng
mit denen des Mutterlandes zu verknüpfen und dadurch die Haltbarkeit des
politischen Bandes zu sichern, strebte und strebt man danach, in der britischen
Zollpolitik Handhaben zu erlangen, um den Kolonien wirtschaftliche Vorteile
gewähren zu können.

Die dem Mutterlande peinlichen Selbständigkeitsregungen in den Kolonien
sind nicht gering; aber nicht geringer sind auch die äußeren Gefahren, von denen
der Kolonialbesitz bedroht ist. Am lebhaftesten war diese englische Sorge
jederzeit in Indien; heute aber ist sie auch in Australien und Kanada und nicht
zuletzt auch in Ägypten wach geworden. Die feindselige Politik, die England
jahrzehntelang gegen Rußland geführt, war ja stets diktiert von der Sorge um
Indien. Heute, da England und Rußland sich über den astatischen Besitz ver¬
ständigt haben, wendet England sich nicht zuletzt wegen der Sorge um Indien
gegen Dentschland, weil Deutschland die Führung hat in jener Politik, die dein
Handel und Verkehr des europäischen Kontinents von britischen Monopol freie
Wege durch Vorderasien nach dem Persischen Meerbusen schaffen will, indessen England
alle Wege zwischen Europa und Indien in der eigenen Hand zu halten trachtet.

Schon aber beginnt sich das Blatt wieder zu wenden. Die Sorge uni
Indien konzentriert sich nicht mehr auf die deutsche Verkehrspolitik in Vorderasten,
sie wendet sich mehr und mehr den Umwandlungen zu, die Japans Aufstieg in
Asien vorzubereiten scheint. Die Erfolge Japans haben die Selbständigkeits¬
gelüste der Inder mächtig entfacht, und auch bis nach Ägypten hin ist die daraus
sür den britischen Kolonialbesitz entstandene Gefahr getragen. Je mehr das
japanische Reich, das sich heute schon von Sachalin bis Formosa erstreckt und
auch auf Korea nunmehr festen Fuß gefaßt hat, sich in Ostasien ausdehnt, um
so größer wird die indische Sorge für England, aber nicht nur die Sorge
um Indien, sondern zugleich auch die Sorge um die ozeanischen Inseln, schließlich
um ganz Australien!

Schon als das englisch-japanische Bündnis noch fest gefügt war, trieb
Australien für sein Teil eine japanfeindliche Politik. Die britischen Australier


Grenzboten II 1911 öl!
Sorgen und Stützen britischer Wcltpolitik

land auf den Hochstraßen der Völker ganz andere Sorgen als allein um die
Bagdadbahn; und es wird bald genug gezwungen sein, den starr auf den fried¬
lichen deutschen Wettbewerb gerichteten Blick abzulenken auf andere, bedrohlichere
Konkurrenten.

So weit die Ausdehnung des britischen Riesenreiches angewachsen ist, so
stark wachsen die Sorgen um seine Behauptung. Einmal schon ist England
das wertvollste Stück seines Besitzes ans der Hand geglitten; und was seinerzeit
bei der Bildung der Vereinigten Staaten von Amerika geschehen ist, das könnte
sich eines Tages ebensogut in den Vereinigten Staaten von Australien, in den
Vereinigten Staaten von Südafrika oder auch in Kanada wiederholen. Diese
Kolonien fest an das Mutterland zu ketten, ist die ernste Sorge der britischen
Politiker — eine Sorge, von der auch die sogenannte Tarifreformbewegung
ihren Ursprung nimmt. Um die wirtschaftlichen Interessen der Kolonien eng
mit denen des Mutterlandes zu verknüpfen und dadurch die Haltbarkeit des
politischen Bandes zu sichern, strebte und strebt man danach, in der britischen
Zollpolitik Handhaben zu erlangen, um den Kolonien wirtschaftliche Vorteile
gewähren zu können.

Die dem Mutterlande peinlichen Selbständigkeitsregungen in den Kolonien
sind nicht gering; aber nicht geringer sind auch die äußeren Gefahren, von denen
der Kolonialbesitz bedroht ist. Am lebhaftesten war diese englische Sorge
jederzeit in Indien; heute aber ist sie auch in Australien und Kanada und nicht
zuletzt auch in Ägypten wach geworden. Die feindselige Politik, die England
jahrzehntelang gegen Rußland geführt, war ja stets diktiert von der Sorge um
Indien. Heute, da England und Rußland sich über den astatischen Besitz ver¬
ständigt haben, wendet England sich nicht zuletzt wegen der Sorge um Indien
gegen Dentschland, weil Deutschland die Führung hat in jener Politik, die dein
Handel und Verkehr des europäischen Kontinents von britischen Monopol freie
Wege durch Vorderasien nach dem Persischen Meerbusen schaffen will, indessen England
alle Wege zwischen Europa und Indien in der eigenen Hand zu halten trachtet.

Schon aber beginnt sich das Blatt wieder zu wenden. Die Sorge uni
Indien konzentriert sich nicht mehr auf die deutsche Verkehrspolitik in Vorderasten,
sie wendet sich mehr und mehr den Umwandlungen zu, die Japans Aufstieg in
Asien vorzubereiten scheint. Die Erfolge Japans haben die Selbständigkeits¬
gelüste der Inder mächtig entfacht, und auch bis nach Ägypten hin ist die daraus
sür den britischen Kolonialbesitz entstandene Gefahr getragen. Je mehr das
japanische Reich, das sich heute schon von Sachalin bis Formosa erstreckt und
auch auf Korea nunmehr festen Fuß gefaßt hat, sich in Ostasien ausdehnt, um
so größer wird die indische Sorge für England, aber nicht nur die Sorge
um Indien, sondern zugleich auch die Sorge um die ozeanischen Inseln, schließlich
um ganz Australien!

Schon als das englisch-japanische Bündnis noch fest gefügt war, trieb
Australien für sein Teil eine japanfeindliche Politik. Die britischen Australier


Grenzboten II 1911 öl!
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[0509] Sorgen und Stützen britischer Wcltpolitik land auf den Hochstraßen der Völker ganz andere Sorgen als allein um die Bagdadbahn; und es wird bald genug gezwungen sein, den starr auf den fried¬ lichen deutschen Wettbewerb gerichteten Blick abzulenken auf andere, bedrohlichere Konkurrenten. So weit die Ausdehnung des britischen Riesenreiches angewachsen ist, so stark wachsen die Sorgen um seine Behauptung. Einmal schon ist England das wertvollste Stück seines Besitzes ans der Hand geglitten; und was seinerzeit bei der Bildung der Vereinigten Staaten von Amerika geschehen ist, das könnte sich eines Tages ebensogut in den Vereinigten Staaten von Australien, in den Vereinigten Staaten von Südafrika oder auch in Kanada wiederholen. Diese Kolonien fest an das Mutterland zu ketten, ist die ernste Sorge der britischen Politiker — eine Sorge, von der auch die sogenannte Tarifreformbewegung ihren Ursprung nimmt. Um die wirtschaftlichen Interessen der Kolonien eng mit denen des Mutterlandes zu verknüpfen und dadurch die Haltbarkeit des politischen Bandes zu sichern, strebte und strebt man danach, in der britischen Zollpolitik Handhaben zu erlangen, um den Kolonien wirtschaftliche Vorteile gewähren zu können. Die dem Mutterlande peinlichen Selbständigkeitsregungen in den Kolonien sind nicht gering; aber nicht geringer sind auch die äußeren Gefahren, von denen der Kolonialbesitz bedroht ist. Am lebhaftesten war diese englische Sorge jederzeit in Indien; heute aber ist sie auch in Australien und Kanada und nicht zuletzt auch in Ägypten wach geworden. Die feindselige Politik, die England jahrzehntelang gegen Rußland geführt, war ja stets diktiert von der Sorge um Indien. Heute, da England und Rußland sich über den astatischen Besitz ver¬ ständigt haben, wendet England sich nicht zuletzt wegen der Sorge um Indien gegen Dentschland, weil Deutschland die Führung hat in jener Politik, die dein Handel und Verkehr des europäischen Kontinents von britischen Monopol freie Wege durch Vorderasien nach dem Persischen Meerbusen schaffen will, indessen England alle Wege zwischen Europa und Indien in der eigenen Hand zu halten trachtet. Schon aber beginnt sich das Blatt wieder zu wenden. Die Sorge uni Indien konzentriert sich nicht mehr auf die deutsche Verkehrspolitik in Vorderasten, sie wendet sich mehr und mehr den Umwandlungen zu, die Japans Aufstieg in Asien vorzubereiten scheint. Die Erfolge Japans haben die Selbständigkeits¬ gelüste der Inder mächtig entfacht, und auch bis nach Ägypten hin ist die daraus sür den britischen Kolonialbesitz entstandene Gefahr getragen. Je mehr das japanische Reich, das sich heute schon von Sachalin bis Formosa erstreckt und auch auf Korea nunmehr festen Fuß gefaßt hat, sich in Ostasien ausdehnt, um so größer wird die indische Sorge für England, aber nicht nur die Sorge um Indien, sondern zugleich auch die Sorge um die ozeanischen Inseln, schließlich um ganz Australien! Schon als das englisch-japanische Bündnis noch fest gefügt war, trieb Australien für sein Teil eine japanfeindliche Politik. Die britischen Australier Grenzboten II 1911 öl!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/509>, abgerufen am 23.07.2024.