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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Tagesfragen

Einer nationalen Arveiterpartei redete
Albrecht Graf zu Stolberg Wernigerode in
Heft 19 der Grenzboten das Wort. Nationale
Sorgen haben ihm Wohl die Feder in die Hand
gedrückt. Wie mancher andere hat auch er nach
Mitteln gesucht, um der bedrohlich steigenden
roten Flut einen wirksamen Damm entgegen¬
zusetzen. Eine nationale Arbeiterpartei soll
die Gefahr bannen, verkennend, das; das
Betreten dieses Weges viel leichter eine
Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen
Sozialdemokratie herbeiführt. Das eben be¬
rührte Doppelgebiet verlangt eine scharfe
Trennung; wieder andere Gesichtspunkte lassen
eine schiefe Auffassung zu. Die Wichtigkeit
des Themas an und für sich rechtfertigt eine
eine eingehende, klärende Diskussion.

Graf Stolverg spricht für nationale
Gewerkschaften, durch diese zur nationalen
Arbeiterpartei. DistinZuo I Zunächst nationale
Gewerkschaften! Schon hier zeigt der Ver¬
fasser auf Abwege, wenn er für diese doch
wirtschaftlichen Gebilde Zuschüsse seitens der
Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt
die notwendige Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit, dieses mächtige Agens im gewerk¬
schaftlichen Leben? "Unterstützung durch die
Besitzenden" haben wir bereits im Wirtschafts¬
leben. Oder ist es etwas anderes, wenn die
Werkskassen mit großen Mitteln ausgestattet
werden? Zu welchem Zwecke? Zur Ertötung
gewerkschaftlicher Kenne. Anders jedoch ist
die Fragestellung, ob nicht die Behörden und die
Besitzenden in wohlverstandenen nationalen
Interesse den nationalen Gewerkschaften ihre
moralische Unterstützung leihen sollen. Und
dieseFrage muß uneingeschränkt bejaht werden.
Die rauhe Wirklichkeit zeigt, das; gerade in
dieser Beziehung noch ein gewaltiges Stück
Arbeit geleistet werden muß. Wenn führende
Großindustrielle die sozialdemokratischen Ge¬
werkschaften den christlich-nationalen Gewerk¬
schaften vorziehen, dann zeigt das deutlich
genug, daß der Aufklärungsarbeit noch viel
zu tun übrig bleibt. Es gibt auch einen
Klassenkampf von oben, dessen Gefahr nicht
zu unterschätzen ist.

Tatsächlich haben wir bereits nationale
Gewerkschaften. Dazu gehören allerdings

[Spaltenumbruch]

nicht die sogenannten gelben Gewerkschaften.
Sie können den Titel "Gewerkschaften" ebenso¬
wenig für sich in Anspruch nehmen, wie sie
als ernstliche oder gar gefährliche Konkurrenten
der angeblich freien Gewerkschaften in Betracht
kommen können. Andersdiechristlich-nationalen
Gewerkschaften! Ihre zehnjährige Geschichte
beweist, daß sie allein qualifiziert und in der
Lage sind, den sozialdemokratischen Gewerk¬
schaften Paroli zu bieten. Mag der rauhe
Kampf des Alltags die christlich-nationalen
Gewerkschaften in eine Kcnnpfesrcihe mit
den "freien" Gewerkschaften gedrängt haben,
so beweist das nichts gegen sie; ihren Grund¬
linien nach sind sie die geborenen Feinde
der Sozialdemokratie. Die christlich-natio¬
nalen Gewerkschaften haben die deutschen
Arbeiter, die, betört von der Sozialdemokratie,
nach Utopien auszogen, wieder auf Positiven
Boden gestellt. Gegenüber dem notorischen
Atheismus und Materialismus der Sozial¬
demokratie hat die christlich-nationale Arbeiter¬
bewegung hingewiesen auf die Grundsätze des
Christentums. Indem sie die Angehörigen
beider Konfessionen vereinte, hat sie gleichzeitig
konfessionelle Friedensarbeit geleistet. Sie
hat den Grundsatz Polnischer Neutralität Pro¬
klamiert und die Arbeiterwelt herausgerissen
aus der eisernen Umklammerung der Sozial-
demokratie. Gegenüber den revolntionär-
nnnrchistischen Tendenzen hat sie sich grund¬
sätzlich auf nationalen Boden gestellt. Indem
sie den Klassenkampf verworfen hat, hat sie
der Gesellschaftsordnung einen bedeutenden
Dienst erwiesen; und wenn heute die
christlich-nationale Arbeiterbewegung ihr
Hauptbetätigungsfeld in der VerständigungS-
arveit erblickt, so zeigt das muss neue, daß sie
gewillt ist, Gegenwartswerte von unschätzbarer
Bedeutung zu schaffen. So haben die christlich-
nationalen Gewerkschaften in einer kurzen
Spanne Zeit Erfolge erzielt ans allen Gebieten,
insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiete. Sie
haben sich gegenüber der roten Übermacht
durchgesetzt -- ja noch mehr, sie sind Weg¬
weiser geworden.

Graf Stolberg tritt für einen antisozial-
demokratischen Block in der Gewerkschafts¬
bewegung ein, ein Gedanke, der schon oft
Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen
war. Strengste Neutralität, wie sie die

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Tagesfragen

Einer nationalen Arveiterpartei redete
Albrecht Graf zu Stolberg Wernigerode in
Heft 19 der Grenzboten das Wort. Nationale
Sorgen haben ihm Wohl die Feder in die Hand
gedrückt. Wie mancher andere hat auch er nach
Mitteln gesucht, um der bedrohlich steigenden
roten Flut einen wirksamen Damm entgegen¬
zusetzen. Eine nationale Arbeiterpartei soll
die Gefahr bannen, verkennend, das; das
Betreten dieses Weges viel leichter eine
Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen
Sozialdemokratie herbeiführt. Das eben be¬
rührte Doppelgebiet verlangt eine scharfe
Trennung; wieder andere Gesichtspunkte lassen
eine schiefe Auffassung zu. Die Wichtigkeit
des Themas an und für sich rechtfertigt eine
eine eingehende, klärende Diskussion.

Graf Stolverg spricht für nationale
Gewerkschaften, durch diese zur nationalen
Arbeiterpartei. DistinZuo I Zunächst nationale
Gewerkschaften! Schon hier zeigt der Ver¬
fasser auf Abwege, wenn er für diese doch
wirtschaftlichen Gebilde Zuschüsse seitens der
Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt
die notwendige Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit, dieses mächtige Agens im gewerk¬
schaftlichen Leben? „Unterstützung durch die
Besitzenden" haben wir bereits im Wirtschafts¬
leben. Oder ist es etwas anderes, wenn die
Werkskassen mit großen Mitteln ausgestattet
werden? Zu welchem Zwecke? Zur Ertötung
gewerkschaftlicher Kenne. Anders jedoch ist
die Fragestellung, ob nicht die Behörden und die
Besitzenden in wohlverstandenen nationalen
Interesse den nationalen Gewerkschaften ihre
moralische Unterstützung leihen sollen. Und
dieseFrage muß uneingeschränkt bejaht werden.
Die rauhe Wirklichkeit zeigt, das; gerade in
dieser Beziehung noch ein gewaltiges Stück
Arbeit geleistet werden muß. Wenn führende
Großindustrielle die sozialdemokratischen Ge¬
werkschaften den christlich-nationalen Gewerk¬
schaften vorziehen, dann zeigt das deutlich
genug, daß der Aufklärungsarbeit noch viel
zu tun übrig bleibt. Es gibt auch einen
Klassenkampf von oben, dessen Gefahr nicht
zu unterschätzen ist.

Tatsächlich haben wir bereits nationale
Gewerkschaften. Dazu gehören allerdings

[Spaltenumbruch]

nicht die sogenannten gelben Gewerkschaften.
Sie können den Titel „Gewerkschaften" ebenso¬
wenig für sich in Anspruch nehmen, wie sie
als ernstliche oder gar gefährliche Konkurrenten
der angeblich freien Gewerkschaften in Betracht
kommen können. Andersdiechristlich-nationalen
Gewerkschaften! Ihre zehnjährige Geschichte
beweist, daß sie allein qualifiziert und in der
Lage sind, den sozialdemokratischen Gewerk¬
schaften Paroli zu bieten. Mag der rauhe
Kampf des Alltags die christlich-nationalen
Gewerkschaften in eine Kcnnpfesrcihe mit
den „freien" Gewerkschaften gedrängt haben,
so beweist das nichts gegen sie; ihren Grund¬
linien nach sind sie die geborenen Feinde
der Sozialdemokratie. Die christlich-natio¬
nalen Gewerkschaften haben die deutschen
Arbeiter, die, betört von der Sozialdemokratie,
nach Utopien auszogen, wieder auf Positiven
Boden gestellt. Gegenüber dem notorischen
Atheismus und Materialismus der Sozial¬
demokratie hat die christlich-nationale Arbeiter¬
bewegung hingewiesen auf die Grundsätze des
Christentums. Indem sie die Angehörigen
beider Konfessionen vereinte, hat sie gleichzeitig
konfessionelle Friedensarbeit geleistet. Sie
hat den Grundsatz Polnischer Neutralität Pro¬
klamiert und die Arbeiterwelt herausgerissen
aus der eisernen Umklammerung der Sozial-
demokratie. Gegenüber den revolntionär-
nnnrchistischen Tendenzen hat sie sich grund¬
sätzlich auf nationalen Boden gestellt. Indem
sie den Klassenkampf verworfen hat, hat sie
der Gesellschaftsordnung einen bedeutenden
Dienst erwiesen; und wenn heute die
christlich-nationale Arbeiterbewegung ihr
Hauptbetätigungsfeld in der VerständigungS-
arveit erblickt, so zeigt das muss neue, daß sie
gewillt ist, Gegenwartswerte von unschätzbarer
Bedeutung zu schaffen. So haben die christlich-
nationalen Gewerkschaften in einer kurzen
Spanne Zeit Erfolge erzielt ans allen Gebieten,
insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiete. Sie
haben sich gegenüber der roten Übermacht
durchgesetzt — ja noch mehr, sie sind Weg¬
weiser geworden.

Graf Stolberg tritt für einen antisozial-
demokratischen Block in der Gewerkschafts¬
bewegung ein, ein Gedanke, der schon oft
Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen
war. Strengste Neutralität, wie sie die

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[0484] Maßgebliches und Unmaßgebliches Tagesfragen Einer nationalen Arveiterpartei redete Albrecht Graf zu Stolberg Wernigerode in Heft 19 der Grenzboten das Wort. Nationale Sorgen haben ihm Wohl die Feder in die Hand gedrückt. Wie mancher andere hat auch er nach Mitteln gesucht, um der bedrohlich steigenden roten Flut einen wirksamen Damm entgegen¬ zusetzen. Eine nationale Arbeiterpartei soll die Gefahr bannen, verkennend, das; das Betreten dieses Weges viel leichter eine Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen Sozialdemokratie herbeiführt. Das eben be¬ rührte Doppelgebiet verlangt eine scharfe Trennung; wieder andere Gesichtspunkte lassen eine schiefe Auffassung zu. Die Wichtigkeit des Themas an und für sich rechtfertigt eine eine eingehende, klärende Diskussion. Graf Stolverg spricht für nationale Gewerkschaften, durch diese zur nationalen Arbeiterpartei. DistinZuo I Zunächst nationale Gewerkschaften! Schon hier zeigt der Ver¬ fasser auf Abwege, wenn er für diese doch wirtschaftlichen Gebilde Zuschüsse seitens der Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt die notwendige Selbständigkeit und Unab¬ hängigkeit, dieses mächtige Agens im gewerk¬ schaftlichen Leben? „Unterstützung durch die Besitzenden" haben wir bereits im Wirtschafts¬ leben. Oder ist es etwas anderes, wenn die Werkskassen mit großen Mitteln ausgestattet werden? Zu welchem Zwecke? Zur Ertötung gewerkschaftlicher Kenne. Anders jedoch ist die Fragestellung, ob nicht die Behörden und die Besitzenden in wohlverstandenen nationalen Interesse den nationalen Gewerkschaften ihre moralische Unterstützung leihen sollen. Und dieseFrage muß uneingeschränkt bejaht werden. Die rauhe Wirklichkeit zeigt, das; gerade in dieser Beziehung noch ein gewaltiges Stück Arbeit geleistet werden muß. Wenn führende Großindustrielle die sozialdemokratischen Ge¬ werkschaften den christlich-nationalen Gewerk¬ schaften vorziehen, dann zeigt das deutlich genug, daß der Aufklärungsarbeit noch viel zu tun übrig bleibt. Es gibt auch einen Klassenkampf von oben, dessen Gefahr nicht zu unterschätzen ist. Tatsächlich haben wir bereits nationale Gewerkschaften. Dazu gehören allerdings nicht die sogenannten gelben Gewerkschaften. Sie können den Titel „Gewerkschaften" ebenso¬ wenig für sich in Anspruch nehmen, wie sie als ernstliche oder gar gefährliche Konkurrenten der angeblich freien Gewerkschaften in Betracht kommen können. Andersdiechristlich-nationalen Gewerkschaften! Ihre zehnjährige Geschichte beweist, daß sie allein qualifiziert und in der Lage sind, den sozialdemokratischen Gewerk¬ schaften Paroli zu bieten. Mag der rauhe Kampf des Alltags die christlich-nationalen Gewerkschaften in eine Kcnnpfesrcihe mit den „freien" Gewerkschaften gedrängt haben, so beweist das nichts gegen sie; ihren Grund¬ linien nach sind sie die geborenen Feinde der Sozialdemokratie. Die christlich-natio¬ nalen Gewerkschaften haben die deutschen Arbeiter, die, betört von der Sozialdemokratie, nach Utopien auszogen, wieder auf Positiven Boden gestellt. Gegenüber dem notorischen Atheismus und Materialismus der Sozial¬ demokratie hat die christlich-nationale Arbeiter¬ bewegung hingewiesen auf die Grundsätze des Christentums. Indem sie die Angehörigen beider Konfessionen vereinte, hat sie gleichzeitig konfessionelle Friedensarbeit geleistet. Sie hat den Grundsatz Polnischer Neutralität Pro¬ klamiert und die Arbeiterwelt herausgerissen aus der eisernen Umklammerung der Sozial- demokratie. Gegenüber den revolntionär- nnnrchistischen Tendenzen hat sie sich grund¬ sätzlich auf nationalen Boden gestellt. Indem sie den Klassenkampf verworfen hat, hat sie der Gesellschaftsordnung einen bedeutenden Dienst erwiesen; und wenn heute die christlich-nationale Arbeiterbewegung ihr Hauptbetätigungsfeld in der VerständigungS- arveit erblickt, so zeigt das muss neue, daß sie gewillt ist, Gegenwartswerte von unschätzbarer Bedeutung zu schaffen. So haben die christlich- nationalen Gewerkschaften in einer kurzen Spanne Zeit Erfolge erzielt ans allen Gebieten, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiete. Sie haben sich gegenüber der roten Übermacht durchgesetzt — ja noch mehr, sie sind Weg¬ weiser geworden. Graf Stolberg tritt für einen antisozial- demokratischen Block in der Gewerkschafts¬ bewegung ein, ein Gedanke, der schon oft Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen war. Strengste Neutralität, wie sie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/484>, abgerufen am 22.07.2024.