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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Maßgcblichcsund Unmaßgebliches

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zu beherrschen, deren undeutliches, zitterndes
Durcheinanderfahren ihm von je das künst¬
lerische Gestalten verdorben hat." Neben
häßlichen Fehlern seiner Natur und Bildung,
heißt es, waren in ihm Eigenschaften sichtbar,
welche Mitgefühl und Achtung erwerben
konnten. Und in der Tat stellt die eigen¬
tümliche Mischung von Unerfreulichem und
des Mitleids Würdigen in Gutzkows Charakter¬
bild und seinen! Lebenswerke noch dem
heutigen Literaturhistoriker keine leichte Auf¬
gabe. Dein unglücklichen Menschen und dem
unglücklichen Dichter (so dürfen wir Wohl
sagen) gerecht zu werden, ist so schwierig,
daß es den Darstellern seines Lebensbildes
nicht immer gelang, jenen Grad von Wärme
und Liebe für den Helden aufzubringen, der
zu solchen: Beginnen nötig scheint.

Nur Heinrich Hubert Houben hat sich
mit entschiedener Parteinahme und fast rück¬
haltlos für Gutzkow eingesetzt. Seine Aus¬
gabe: Karl Gutzkows ausgewählte Werke in
zwölf (vier!) Bänden, im Verlag von Hesse
u. Becker in Leipzig (Max Hesses Neue Leip¬
ziger Klassiker-Ausgaben), reiht sich mehreren
gelehrten Arbeiten an, in denen er sich um
das junge Deutschland bemüht ("Gntzkow-
Funde" u. a.); Houben danken wir auch eine
Ausgabe der Schriften Laubes im gleichen
Verlag. Seine Parteiische Vorliebe für Gutz¬
kow tritt in der Darstellung einzelner Lebens¬
ereignisse deutlich zutage, so z. B. des Ver¬
hältnisses zu Therese v. Bacheracht oder in
seiner kurzen aber einseitigen Schilderung
des Streites mit den Grenzboten. Des
Herausgebers Wärme scheint mir nun aller¬
dings entschuldbar, fast anerkennenswert,
jedenfalls seinem Unternehmen förderlich.
Freilich wird man die vorgetragenen Mei¬
nungen nicht kritiklos hinnehmen. -- Die
"Goldene Klassiker - Bibliothek" (Deutsches
Verlagshaus Borg u. Co., Berlin und
Leipzig) folgte mit einer Ausgabe, die
Reinhold Gensel besorgte, gleichfalls zwölf
Teile in vier Bänden, wie das eine höchst
unpraktische und völlig überflüssige Eigenheit
einiger Sammlungen ist. -- Und jüngst sind
auch im Verlag des Bibliographischen In¬
stituts (Leipzig und Wien, Meyers Klassiker-
Ausgaben) zwei Bände einer "kritisch durch¬
gesehenen und erläuterten Ausgabe" erschienen,

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denen zwei weitere in Kürze folgen sollen.
Als Herausgeber zeichnet Peter Müller, von
dem uns auch ein Heft vorliegt: "Beiträge
zur Würdigung vou Karl Gutzkow als Lust¬
spieldichter" (Ur. 16 der Beiträge zur deutschen
Literaturwissenschaft, herausgegeben von Ernst
Elster. Marburg 1910. N. G. Elwertsche
Verlagsbuchhandlung).

Wie der Biograph hat auch der aus¬
wählende Herausgeber bei Gutzkow eine
schwere Stellung. Allzu groß ist der Umfang,
allzu ungleich der Wert seiner Schriftstellerei;
viele seiner Arbeiten sind der haftenden Feder
lediglich im Dienste des Tages entglitten.
Hat man einerseits solche Schriften als wert¬
los auszuscheiden, können anderseits seine
umfänglichen und breiten "Romane des Neben¬
einander" mit ihren vielen Bänden für den
beschränkten Raum einer wohlfeilen volks¬
tümlichen Ausgabe von vornherein ebensowenig
in Betracht kommen. So ist es nur möglich,
von seinein überaus vielseitigen Schaffen
einen geringen Bruchteil auszuwählen, der
uns das schillernde Bild seiner schwankenden
Persönlichkeit kaum vollständig wiederzugeben
vermag. Von Gutzkows großen Romanen
sind die "Ritter vom Geiste" heute fast
nur dem Literarhistoriker erreichbar; den
"Zauberer von Rom" hat Gutzkows Verleger
F. A. Brockhaus in Leipzig, gerade zum
hundertsten Geburtstag des Verfassers neu
aufgelegt. Abgedruckt ist die Fassung letzter
Hand vom Jahre 1872, die Gutzkow "noch
selbst von störenden Längen befreit hat".
H. H. Houben leitet das Werk volkstümlich
genug ein und fügt ein Verzeichnis der
wichtigeren handelnden Personen bei, ein
verständiger und nützlicher Behelf für den
Leser. Der riesige Stoff ist mit unerhörter
Ausnutzung des Raumes in zwei Bände mit
über 1400 eng bedruckten Seiten gepfercht
und in einen reichlich auffallenden Einband
gesteckt. Der Verlag hat auf die bei neuen
Büchern übliche Schleife die Worte gesetzt:
"Soeben erschienen. -- Zwei Bände, geb.
S Mark. -- Historischer Roman. -- Aktuell.
6. bis 9. Aufl. spannend." -- Unter dieser
Signatur ist die neueste Erscheinung des
deutschen Klassikers Karl Gutzkow ans Licht
p. getreten.

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zu beherrschen, deren undeutliches, zitterndes
Durcheinanderfahren ihm von je das künst¬
lerische Gestalten verdorben hat." Neben
häßlichen Fehlern seiner Natur und Bildung,
heißt es, waren in ihm Eigenschaften sichtbar,
welche Mitgefühl und Achtung erwerben
konnten. Und in der Tat stellt die eigen¬
tümliche Mischung von Unerfreulichem und
des Mitleids Würdigen in Gutzkows Charakter¬
bild und seinen! Lebenswerke noch dem
heutigen Literaturhistoriker keine leichte Auf¬
gabe. Dein unglücklichen Menschen und dem
unglücklichen Dichter (so dürfen wir Wohl
sagen) gerecht zu werden, ist so schwierig,
daß es den Darstellern seines Lebensbildes
nicht immer gelang, jenen Grad von Wärme
und Liebe für den Helden aufzubringen, der
zu solchen: Beginnen nötig scheint.

Nur Heinrich Hubert Houben hat sich
mit entschiedener Parteinahme und fast rück¬
haltlos für Gutzkow eingesetzt. Seine Aus¬
gabe: Karl Gutzkows ausgewählte Werke in
zwölf (vier!) Bänden, im Verlag von Hesse
u. Becker in Leipzig (Max Hesses Neue Leip¬
ziger Klassiker-Ausgaben), reiht sich mehreren
gelehrten Arbeiten an, in denen er sich um
das junge Deutschland bemüht („Gntzkow-
Funde" u. a.); Houben danken wir auch eine
Ausgabe der Schriften Laubes im gleichen
Verlag. Seine Parteiische Vorliebe für Gutz¬
kow tritt in der Darstellung einzelner Lebens¬
ereignisse deutlich zutage, so z. B. des Ver¬
hältnisses zu Therese v. Bacheracht oder in
seiner kurzen aber einseitigen Schilderung
des Streites mit den Grenzboten. Des
Herausgebers Wärme scheint mir nun aller¬
dings entschuldbar, fast anerkennenswert,
jedenfalls seinem Unternehmen förderlich.
Freilich wird man die vorgetragenen Mei¬
nungen nicht kritiklos hinnehmen. — Die
„Goldene Klassiker - Bibliothek" (Deutsches
Verlagshaus Borg u. Co., Berlin und
Leipzig) folgte mit einer Ausgabe, die
Reinhold Gensel besorgte, gleichfalls zwölf
Teile in vier Bänden, wie das eine höchst
unpraktische und völlig überflüssige Eigenheit
einiger Sammlungen ist. — Und jüngst sind
auch im Verlag des Bibliographischen In¬
stituts (Leipzig und Wien, Meyers Klassiker-
Ausgaben) zwei Bände einer „kritisch durch¬
gesehenen und erläuterten Ausgabe" erschienen,

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denen zwei weitere in Kürze folgen sollen.
Als Herausgeber zeichnet Peter Müller, von
dem uns auch ein Heft vorliegt: „Beiträge
zur Würdigung vou Karl Gutzkow als Lust¬
spieldichter" (Ur. 16 der Beiträge zur deutschen
Literaturwissenschaft, herausgegeben von Ernst
Elster. Marburg 1910. N. G. Elwertsche
Verlagsbuchhandlung).

Wie der Biograph hat auch der aus¬
wählende Herausgeber bei Gutzkow eine
schwere Stellung. Allzu groß ist der Umfang,
allzu ungleich der Wert seiner Schriftstellerei;
viele seiner Arbeiten sind der haftenden Feder
lediglich im Dienste des Tages entglitten.
Hat man einerseits solche Schriften als wert¬
los auszuscheiden, können anderseits seine
umfänglichen und breiten „Romane des Neben¬
einander" mit ihren vielen Bänden für den
beschränkten Raum einer wohlfeilen volks¬
tümlichen Ausgabe von vornherein ebensowenig
in Betracht kommen. So ist es nur möglich,
von seinein überaus vielseitigen Schaffen
einen geringen Bruchteil auszuwählen, der
uns das schillernde Bild seiner schwankenden
Persönlichkeit kaum vollständig wiederzugeben
vermag. Von Gutzkows großen Romanen
sind die „Ritter vom Geiste" heute fast
nur dem Literarhistoriker erreichbar; den
„Zauberer von Rom" hat Gutzkows Verleger
F. A. Brockhaus in Leipzig, gerade zum
hundertsten Geburtstag des Verfassers neu
aufgelegt. Abgedruckt ist die Fassung letzter
Hand vom Jahre 1872, die Gutzkow „noch
selbst von störenden Längen befreit hat".
H. H. Houben leitet das Werk volkstümlich
genug ein und fügt ein Verzeichnis der
wichtigeren handelnden Personen bei, ein
verständiger und nützlicher Behelf für den
Leser. Der riesige Stoff ist mit unerhörter
Ausnutzung des Raumes in zwei Bände mit
über 1400 eng bedruckten Seiten gepfercht
und in einen reichlich auffallenden Einband
gesteckt. Der Verlag hat auf die bei neuen
Büchern übliche Schleife die Worte gesetzt:
„Soeben erschienen. — Zwei Bände, geb.
S Mark. — Historischer Roman. — Aktuell.
6. bis 9. Aufl. spannend." — Unter dieser
Signatur ist die neueste Erscheinung des
deutschen Klassikers Karl Gutzkow ans Licht
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[0483] Maßgcblichcsund Unmaßgebliches zu beherrschen, deren undeutliches, zitterndes Durcheinanderfahren ihm von je das künst¬ lerische Gestalten verdorben hat." Neben häßlichen Fehlern seiner Natur und Bildung, heißt es, waren in ihm Eigenschaften sichtbar, welche Mitgefühl und Achtung erwerben konnten. Und in der Tat stellt die eigen¬ tümliche Mischung von Unerfreulichem und des Mitleids Würdigen in Gutzkows Charakter¬ bild und seinen! Lebenswerke noch dem heutigen Literaturhistoriker keine leichte Auf¬ gabe. Dein unglücklichen Menschen und dem unglücklichen Dichter (so dürfen wir Wohl sagen) gerecht zu werden, ist so schwierig, daß es den Darstellern seines Lebensbildes nicht immer gelang, jenen Grad von Wärme und Liebe für den Helden aufzubringen, der zu solchen: Beginnen nötig scheint. Nur Heinrich Hubert Houben hat sich mit entschiedener Parteinahme und fast rück¬ haltlos für Gutzkow eingesetzt. Seine Aus¬ gabe: Karl Gutzkows ausgewählte Werke in zwölf (vier!) Bänden, im Verlag von Hesse u. Becker in Leipzig (Max Hesses Neue Leip¬ ziger Klassiker-Ausgaben), reiht sich mehreren gelehrten Arbeiten an, in denen er sich um das junge Deutschland bemüht („Gntzkow- Funde" u. a.); Houben danken wir auch eine Ausgabe der Schriften Laubes im gleichen Verlag. Seine Parteiische Vorliebe für Gutz¬ kow tritt in der Darstellung einzelner Lebens¬ ereignisse deutlich zutage, so z. B. des Ver¬ hältnisses zu Therese v. Bacheracht oder in seiner kurzen aber einseitigen Schilderung des Streites mit den Grenzboten. Des Herausgebers Wärme scheint mir nun aller¬ dings entschuldbar, fast anerkennenswert, jedenfalls seinem Unternehmen förderlich. Freilich wird man die vorgetragenen Mei¬ nungen nicht kritiklos hinnehmen. — Die „Goldene Klassiker - Bibliothek" (Deutsches Verlagshaus Borg u. Co., Berlin und Leipzig) folgte mit einer Ausgabe, die Reinhold Gensel besorgte, gleichfalls zwölf Teile in vier Bänden, wie das eine höchst unpraktische und völlig überflüssige Eigenheit einiger Sammlungen ist. — Und jüngst sind auch im Verlag des Bibliographischen In¬ stituts (Leipzig und Wien, Meyers Klassiker- Ausgaben) zwei Bände einer „kritisch durch¬ gesehenen und erläuterten Ausgabe" erschienen, denen zwei weitere in Kürze folgen sollen. Als Herausgeber zeichnet Peter Müller, von dem uns auch ein Heft vorliegt: „Beiträge zur Würdigung vou Karl Gutzkow als Lust¬ spieldichter" (Ur. 16 der Beiträge zur deutschen Literaturwissenschaft, herausgegeben von Ernst Elster. Marburg 1910. N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung). Wie der Biograph hat auch der aus¬ wählende Herausgeber bei Gutzkow eine schwere Stellung. Allzu groß ist der Umfang, allzu ungleich der Wert seiner Schriftstellerei; viele seiner Arbeiten sind der haftenden Feder lediglich im Dienste des Tages entglitten. Hat man einerseits solche Schriften als wert¬ los auszuscheiden, können anderseits seine umfänglichen und breiten „Romane des Neben¬ einander" mit ihren vielen Bänden für den beschränkten Raum einer wohlfeilen volks¬ tümlichen Ausgabe von vornherein ebensowenig in Betracht kommen. So ist es nur möglich, von seinein überaus vielseitigen Schaffen einen geringen Bruchteil auszuwählen, der uns das schillernde Bild seiner schwankenden Persönlichkeit kaum vollständig wiederzugeben vermag. Von Gutzkows großen Romanen sind die „Ritter vom Geiste" heute fast nur dem Literarhistoriker erreichbar; den „Zauberer von Rom" hat Gutzkows Verleger F. A. Brockhaus in Leipzig, gerade zum hundertsten Geburtstag des Verfassers neu aufgelegt. Abgedruckt ist die Fassung letzter Hand vom Jahre 1872, die Gutzkow „noch selbst von störenden Längen befreit hat". H. H. Houben leitet das Werk volkstümlich genug ein und fügt ein Verzeichnis der wichtigeren handelnden Personen bei, ein verständiger und nützlicher Behelf für den Leser. Der riesige Stoff ist mit unerhörter Ausnutzung des Raumes in zwei Bände mit über 1400 eng bedruckten Seiten gepfercht und in einen reichlich auffallenden Einband gesteckt. Der Verlag hat auf die bei neuen Büchern übliche Schleife die Worte gesetzt: „Soeben erschienen. — Zwei Bände, geb. S Mark. — Historischer Roman. — Aktuell. 6. bis 9. Aufl. spannend." — Unter dieser Signatur ist die neueste Erscheinung des deutschen Klassikers Karl Gutzkow ans Licht p. getreten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/483>, abgerufen am 22.07.2024.