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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Legende vom Macholderhügel

"Pater hin, Pater her! Laß ihn die Kutte an den Haken hangen. Ein
kurzes Wams, eine Armbrust auf den Nacken und einen Spieß in die Faust, das
wäre schon was für ihn."

Rupert sah ihn erstaunt an und sagte kein Wort.

Als aber nach einigen Tagen der späte Nachmittag über den Wäldern
flammte und Rupert sich just zum Waldgang rüstete, kam der Pater vor die Tür.
Er konnt's im Zimmer nicht mehr aushalten.

"Rupert, nimmst du mich mit in den Wald?" fragte er.

"Hochwürden --"

"So laß uns gleich gehen."

Und er ging barhaupt mit dein Jäger. Als sie in der Dämmerung zurückkamen,
schalt Rupert in der Küche über den Pater, der so viel geredet habe, daß ihnen kein
Wild zu Gesicht gekommen sei. Reinhold aber fühlte sich seltsam erregt. Sein
Herz klang und sang den ganzen Tag. Er saß in der Bücherei und schrieb immer¬
fort klingende Strophen von der Menschen und der Berge Freiheit und von --
Aliena. Sie wurde ihm immer vertrauter, und der Gedanke an sie kam ihm
immer weniger sündhaft vor. Sie nannten ihn zwar noch den Pater, -- aber
war er's wirklich noch? War überhaupt noch eine Kirche, mit der sie hier oben
zusammenhingen? Keiner kümmerte sich ums Kloster, weder Fürst noch Bischof.
Gab es noch Fürsten und Bischöfe? Die Welt war anders geworden. Kümmerte
sich die Kirche nicht um ihn, so brauchte er und brauchten die Brüder sich nicht
um die Kirche zu kümmern. Wer wollte ihn hindern, aus der Kutte zu schlüpfen
und sich Mensch zu fühlen?

Diese und ähnliche Gedanken waren fast täglich bei ihm zu Gaste und erwarben sich
schließlich Hausrecht. Daß sie so schnell zur Tat werden sollten, ahnte Reinhold nicht.

Eines Abends ertönte plötzlich zum ersten Male im Garten Alienas süßer
Gesang. Rudis Flöte mußte mit und durchzwitscherte die Strophen mit zartem
Gerank. Im Busche sang dazu die Nachtigall. Aber Alienas Lied wurde immer
'nächtiger. Es war über allem wie ein holder Wille. Und als sie geendet hatte,
ward eine tiefe Stille. Die Brüder saßen und bebten am ganzen Leibe. Severin
schluchzte laut. Da sprang Reinhold aus dem Fenster und war mit wenigen
Schritten in der Brüder Mitte. Aliena sah ihn, ein Jubelruf entquoll ihrer
Kehle, sie breitete die Arme gegen Reinhold. Der wollte sich hineinstürzen, aber
Luder hielt ihn zurück.

"Hochwürden, das heilige Gewand!"

Im selben Augenblick war Rudi bei ihm und riß Reinholds Kutte entzwei.

"Fahre wohl, Pater! Der Junker steht auf!" rief er.

Die anderen standen wie erstarrt. Dann aber fuhr ein Jauchzen von ihnen,
das der Wald haltend zurückgab."

"Heil dem Junker!" rief Gode, "und wir sind seine Knechte!

"Das Kloster unsere Burg!" rief Rupert.

"Und der Herr und die Aliena --"

Rudi konnte nicht fortfahren, denn Luder fuhr ihm in die Rede.

"Kommt, Brüder!" rief er.

Reinhold und Aliena blieben allein.




Grenzboten it 1911 6"
Legende vom Macholderhügel

„Pater hin, Pater her! Laß ihn die Kutte an den Haken hangen. Ein
kurzes Wams, eine Armbrust auf den Nacken und einen Spieß in die Faust, das
wäre schon was für ihn."

Rupert sah ihn erstaunt an und sagte kein Wort.

Als aber nach einigen Tagen der späte Nachmittag über den Wäldern
flammte und Rupert sich just zum Waldgang rüstete, kam der Pater vor die Tür.
Er konnt's im Zimmer nicht mehr aushalten.

„Rupert, nimmst du mich mit in den Wald?" fragte er.

„Hochwürden —"

„So laß uns gleich gehen."

Und er ging barhaupt mit dein Jäger. Als sie in der Dämmerung zurückkamen,
schalt Rupert in der Küche über den Pater, der so viel geredet habe, daß ihnen kein
Wild zu Gesicht gekommen sei. Reinhold aber fühlte sich seltsam erregt. Sein
Herz klang und sang den ganzen Tag. Er saß in der Bücherei und schrieb immer¬
fort klingende Strophen von der Menschen und der Berge Freiheit und von —
Aliena. Sie wurde ihm immer vertrauter, und der Gedanke an sie kam ihm
immer weniger sündhaft vor. Sie nannten ihn zwar noch den Pater, — aber
war er's wirklich noch? War überhaupt noch eine Kirche, mit der sie hier oben
zusammenhingen? Keiner kümmerte sich ums Kloster, weder Fürst noch Bischof.
Gab es noch Fürsten und Bischöfe? Die Welt war anders geworden. Kümmerte
sich die Kirche nicht um ihn, so brauchte er und brauchten die Brüder sich nicht
um die Kirche zu kümmern. Wer wollte ihn hindern, aus der Kutte zu schlüpfen
und sich Mensch zu fühlen?

Diese und ähnliche Gedanken waren fast täglich bei ihm zu Gaste und erwarben sich
schließlich Hausrecht. Daß sie so schnell zur Tat werden sollten, ahnte Reinhold nicht.

Eines Abends ertönte plötzlich zum ersten Male im Garten Alienas süßer
Gesang. Rudis Flöte mußte mit und durchzwitscherte die Strophen mit zartem
Gerank. Im Busche sang dazu die Nachtigall. Aber Alienas Lied wurde immer
'nächtiger. Es war über allem wie ein holder Wille. Und als sie geendet hatte,
ward eine tiefe Stille. Die Brüder saßen und bebten am ganzen Leibe. Severin
schluchzte laut. Da sprang Reinhold aus dem Fenster und war mit wenigen
Schritten in der Brüder Mitte. Aliena sah ihn, ein Jubelruf entquoll ihrer
Kehle, sie breitete die Arme gegen Reinhold. Der wollte sich hineinstürzen, aber
Luder hielt ihn zurück.

„Hochwürden, das heilige Gewand!"

Im selben Augenblick war Rudi bei ihm und riß Reinholds Kutte entzwei.

„Fahre wohl, Pater! Der Junker steht auf!" rief er.

Die anderen standen wie erstarrt. Dann aber fuhr ein Jauchzen von ihnen,
das der Wald haltend zurückgab."

„Heil dem Junker!" rief Gode, „und wir sind seine Knechte!

„Das Kloster unsere Burg!" rief Rupert.

„Und der Herr und die Aliena —"

Rudi konnte nicht fortfahren, denn Luder fuhr ihm in die Rede.

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[0469] Legende vom Macholderhügel „Pater hin, Pater her! Laß ihn die Kutte an den Haken hangen. Ein kurzes Wams, eine Armbrust auf den Nacken und einen Spieß in die Faust, das wäre schon was für ihn." Rupert sah ihn erstaunt an und sagte kein Wort. Als aber nach einigen Tagen der späte Nachmittag über den Wäldern flammte und Rupert sich just zum Waldgang rüstete, kam der Pater vor die Tür. Er konnt's im Zimmer nicht mehr aushalten. „Rupert, nimmst du mich mit in den Wald?" fragte er. „Hochwürden —" „So laß uns gleich gehen." Und er ging barhaupt mit dein Jäger. Als sie in der Dämmerung zurückkamen, schalt Rupert in der Küche über den Pater, der so viel geredet habe, daß ihnen kein Wild zu Gesicht gekommen sei. Reinhold aber fühlte sich seltsam erregt. Sein Herz klang und sang den ganzen Tag. Er saß in der Bücherei und schrieb immer¬ fort klingende Strophen von der Menschen und der Berge Freiheit und von — Aliena. Sie wurde ihm immer vertrauter, und der Gedanke an sie kam ihm immer weniger sündhaft vor. Sie nannten ihn zwar noch den Pater, — aber war er's wirklich noch? War überhaupt noch eine Kirche, mit der sie hier oben zusammenhingen? Keiner kümmerte sich ums Kloster, weder Fürst noch Bischof. Gab es noch Fürsten und Bischöfe? Die Welt war anders geworden. Kümmerte sich die Kirche nicht um ihn, so brauchte er und brauchten die Brüder sich nicht um die Kirche zu kümmern. Wer wollte ihn hindern, aus der Kutte zu schlüpfen und sich Mensch zu fühlen? Diese und ähnliche Gedanken waren fast täglich bei ihm zu Gaste und erwarben sich schließlich Hausrecht. Daß sie so schnell zur Tat werden sollten, ahnte Reinhold nicht. Eines Abends ertönte plötzlich zum ersten Male im Garten Alienas süßer Gesang. Rudis Flöte mußte mit und durchzwitscherte die Strophen mit zartem Gerank. Im Busche sang dazu die Nachtigall. Aber Alienas Lied wurde immer 'nächtiger. Es war über allem wie ein holder Wille. Und als sie geendet hatte, ward eine tiefe Stille. Die Brüder saßen und bebten am ganzen Leibe. Severin schluchzte laut. Da sprang Reinhold aus dem Fenster und war mit wenigen Schritten in der Brüder Mitte. Aliena sah ihn, ein Jubelruf entquoll ihrer Kehle, sie breitete die Arme gegen Reinhold. Der wollte sich hineinstürzen, aber Luder hielt ihn zurück. „Hochwürden, das heilige Gewand!" Im selben Augenblick war Rudi bei ihm und riß Reinholds Kutte entzwei. „Fahre wohl, Pater! Der Junker steht auf!" rief er. Die anderen standen wie erstarrt. Dann aber fuhr ein Jauchzen von ihnen, das der Wald haltend zurückgab." „Heil dem Junker!" rief Gode, „und wir sind seine Knechte! „Das Kloster unsere Burg!" rief Rupert. „Und der Herr und die Aliena —" Rudi konnte nicht fortfahren, denn Luder fuhr ihm in die Rede. „Kommt, Brüder!" rief er. Reinhold und Aliena blieben allein. Grenzboten it 1911 6«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/469>, abgerufen am 03.07.2024.