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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Legende vom lvacholderhügel

Und der Gesang der Nachtigall schwang sich nicht wie goldene Ketten über die
stille Bergwelt, daß man ihr Gefunkel in den dunklen Fichten zu sehen wähnte.

Wie war ihm nur! Schöne Bilder umgaukelten ihn. Die Wälder öffneten
ihr grünes Herz, Und Worte und Weisen kamen daraus, die ihn schmeichelnd
umgarnten. Die Brüder, die mit ihm in der Einsamkeit und Verlorenheit schmachteten,
erschienen ihm plötzlich anders, frischer, lebendiger, reicher an Geist und Herz.
Und das graue Klostergebäude, -- war es nicht ein rechter Gottesfrieden? Hatte
nicht der Herr aller Welten seine Hand besonders gnädig darüber gehalten?

Er ging ins Zimmer zurück und wanderte auf und ab. Da trat er auf ein
Weiches und merkte, daß es eine der Rosen war, womit ihn die Fremde über¬
schüttet hatte. Und er bückte sich, suchte alle Blüten zusammen und drückte den
heißen Kopf in den Strauß.

"Wie schön sie ist, wie wunderschön!" sprach er leise. "Wie sie mich mit
Rosen überschüttet hat, so uns alle! Ach, ich Tor! Ich habe am längsten von
allen geschlafen. Die anderen leben wieder in Frohheit, aber ich? Aufwachen will
ich -- aufwachen -- zu --"

Wozu wollte Pater Reinhold erwachen?

Zur Liebe I hauchten die Rosen, sang das Hohelied Scilomonis, raunten alle
Ecken des Gemachs, zur Liebe! summte die leise, warme Nacht draußen.

Eine tiefe Hoffnungslosigkeit kam über ihn. Er sank auf einen Stuhl und
sann in sich hinein. Als nach Mitternacht der Mond ums Haus kam, leuchtete
er milde in zwei traurige, feuchte Augen. In den Ställen krähte ein Hahn. Da
fuhr der Pater Reinhold auf, nahm ein Blatt vom Tische, tauchte den Kiel in
die Gallentinte und schrieb im Mondlicht. Danach wurde ihm leichter. Der
Schlaf kam und streckte ihn lang auf den Boden der Bücherei, und neben ihm
lagen die Rosen. --

Am Morgen kam Rudi in den Garten, um ein Kräutlein für die Mittags¬
suppe zu holen. Er sah etwas Weibes im Gesträuch hängen und fand das Blatt,
das Reinhold in der Nacht geschrieben hatte.

Daß man nun nicht lesen kann! dachte Rudi. Indem sah der Pater aus
dem Fenster.

"Ist dies Blatt das Eure, Hochwürden?" fragte Rudi. Reinhold wußte,
daß keiner von den Brüdern zu lesen vermochte, dennoch konnte er nicht hindern,
daß ihm eine Glut das Gesicht färbte.

"Gib her!" sprach er, "es ist mir aus dem Fenster gewehet"

El, el! dachte Rudi und lächelte pfiffig. Es ging da etwas vor. Und es
war ein Wunder, daß sich's nicht schon eher geregt hatte. Reinhold und Aliena
waren jung.

"Du, Rupert!" rief Rudi den Jäger an, der in der Küche ein Wild zerschnitt.

"Was soll's?"

"Du solltest den Pater Reinhold mal mit auf die Jagd nehmen."

"Wa--as? Den Pater? -- Hcchahal"

"Was ist dabei zu lachen! Er ist jung und stark. Irgendwie muß sich
Jugend mal austoben. Denn aus dem Fasten und Kasteien sind wir gottlob seit
langem heraus."

"Den -- Pater! Haha!"


Legende vom lvacholderhügel

Und der Gesang der Nachtigall schwang sich nicht wie goldene Ketten über die
stille Bergwelt, daß man ihr Gefunkel in den dunklen Fichten zu sehen wähnte.

Wie war ihm nur! Schöne Bilder umgaukelten ihn. Die Wälder öffneten
ihr grünes Herz, Und Worte und Weisen kamen daraus, die ihn schmeichelnd
umgarnten. Die Brüder, die mit ihm in der Einsamkeit und Verlorenheit schmachteten,
erschienen ihm plötzlich anders, frischer, lebendiger, reicher an Geist und Herz.
Und das graue Klostergebäude, — war es nicht ein rechter Gottesfrieden? Hatte
nicht der Herr aller Welten seine Hand besonders gnädig darüber gehalten?

Er ging ins Zimmer zurück und wanderte auf und ab. Da trat er auf ein
Weiches und merkte, daß es eine der Rosen war, womit ihn die Fremde über¬
schüttet hatte. Und er bückte sich, suchte alle Blüten zusammen und drückte den
heißen Kopf in den Strauß.

„Wie schön sie ist, wie wunderschön!" sprach er leise. „Wie sie mich mit
Rosen überschüttet hat, so uns alle! Ach, ich Tor! Ich habe am längsten von
allen geschlafen. Die anderen leben wieder in Frohheit, aber ich? Aufwachen will
ich — aufwachen — zu —"

Wozu wollte Pater Reinhold erwachen?

Zur Liebe I hauchten die Rosen, sang das Hohelied Scilomonis, raunten alle
Ecken des Gemachs, zur Liebe! summte die leise, warme Nacht draußen.

Eine tiefe Hoffnungslosigkeit kam über ihn. Er sank auf einen Stuhl und
sann in sich hinein. Als nach Mitternacht der Mond ums Haus kam, leuchtete
er milde in zwei traurige, feuchte Augen. In den Ställen krähte ein Hahn. Da
fuhr der Pater Reinhold auf, nahm ein Blatt vom Tische, tauchte den Kiel in
die Gallentinte und schrieb im Mondlicht. Danach wurde ihm leichter. Der
Schlaf kam und streckte ihn lang auf den Boden der Bücherei, und neben ihm
lagen die Rosen. —

Am Morgen kam Rudi in den Garten, um ein Kräutlein für die Mittags¬
suppe zu holen. Er sah etwas Weibes im Gesträuch hängen und fand das Blatt,
das Reinhold in der Nacht geschrieben hatte.

Daß man nun nicht lesen kann! dachte Rudi. Indem sah der Pater aus
dem Fenster.

„Ist dies Blatt das Eure, Hochwürden?" fragte Rudi. Reinhold wußte,
daß keiner von den Brüdern zu lesen vermochte, dennoch konnte er nicht hindern,
daß ihm eine Glut das Gesicht färbte.

„Gib her!" sprach er, „es ist mir aus dem Fenster gewehet"

El, el! dachte Rudi und lächelte pfiffig. Es ging da etwas vor. Und es
war ein Wunder, daß sich's nicht schon eher geregt hatte. Reinhold und Aliena
waren jung.

„Du, Rupert!" rief Rudi den Jäger an, der in der Küche ein Wild zerschnitt.

„Was soll's?"

„Du solltest den Pater Reinhold mal mit auf die Jagd nehmen."

„Wa—as? Den Pater? — Hcchahal"

„Was ist dabei zu lachen! Er ist jung und stark. Irgendwie muß sich
Jugend mal austoben. Denn aus dem Fasten und Kasteien sind wir gottlob seit
langem heraus."

„Den — Pater! Haha!"


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[0468] Legende vom lvacholderhügel Und der Gesang der Nachtigall schwang sich nicht wie goldene Ketten über die stille Bergwelt, daß man ihr Gefunkel in den dunklen Fichten zu sehen wähnte. Wie war ihm nur! Schöne Bilder umgaukelten ihn. Die Wälder öffneten ihr grünes Herz, Und Worte und Weisen kamen daraus, die ihn schmeichelnd umgarnten. Die Brüder, die mit ihm in der Einsamkeit und Verlorenheit schmachteten, erschienen ihm plötzlich anders, frischer, lebendiger, reicher an Geist und Herz. Und das graue Klostergebäude, — war es nicht ein rechter Gottesfrieden? Hatte nicht der Herr aller Welten seine Hand besonders gnädig darüber gehalten? Er ging ins Zimmer zurück und wanderte auf und ab. Da trat er auf ein Weiches und merkte, daß es eine der Rosen war, womit ihn die Fremde über¬ schüttet hatte. Und er bückte sich, suchte alle Blüten zusammen und drückte den heißen Kopf in den Strauß. „Wie schön sie ist, wie wunderschön!" sprach er leise. „Wie sie mich mit Rosen überschüttet hat, so uns alle! Ach, ich Tor! Ich habe am längsten von allen geschlafen. Die anderen leben wieder in Frohheit, aber ich? Aufwachen will ich — aufwachen — zu —" Wozu wollte Pater Reinhold erwachen? Zur Liebe I hauchten die Rosen, sang das Hohelied Scilomonis, raunten alle Ecken des Gemachs, zur Liebe! summte die leise, warme Nacht draußen. Eine tiefe Hoffnungslosigkeit kam über ihn. Er sank auf einen Stuhl und sann in sich hinein. Als nach Mitternacht der Mond ums Haus kam, leuchtete er milde in zwei traurige, feuchte Augen. In den Ställen krähte ein Hahn. Da fuhr der Pater Reinhold auf, nahm ein Blatt vom Tische, tauchte den Kiel in die Gallentinte und schrieb im Mondlicht. Danach wurde ihm leichter. Der Schlaf kam und streckte ihn lang auf den Boden der Bücherei, und neben ihm lagen die Rosen. — Am Morgen kam Rudi in den Garten, um ein Kräutlein für die Mittags¬ suppe zu holen. Er sah etwas Weibes im Gesträuch hängen und fand das Blatt, das Reinhold in der Nacht geschrieben hatte. Daß man nun nicht lesen kann! dachte Rudi. Indem sah der Pater aus dem Fenster. „Ist dies Blatt das Eure, Hochwürden?" fragte Rudi. Reinhold wußte, daß keiner von den Brüdern zu lesen vermochte, dennoch konnte er nicht hindern, daß ihm eine Glut das Gesicht färbte. „Gib her!" sprach er, „es ist mir aus dem Fenster gewehet" El, el! dachte Rudi und lächelte pfiffig. Es ging da etwas vor. Und es war ein Wunder, daß sich's nicht schon eher geregt hatte. Reinhold und Aliena waren jung. „Du, Rupert!" rief Rudi den Jäger an, der in der Küche ein Wild zerschnitt. „Was soll's?" „Du solltest den Pater Reinhold mal mit auf die Jagd nehmen." „Wa—as? Den Pater? — Hcchahal" „Was ist dabei zu lachen! Er ist jung und stark. Irgendwie muß sich Jugend mal austoben. Denn aus dem Fasten und Kasteien sind wir gottlob seit langem heraus." „Den — Pater! Haha!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/468>, abgerufen am 03.07.2024.