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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Raiseridec

Heinrich dem Dritten, wirklich die politische Leitung des gesamten christlichen
Abendlandes besessen. Immerhin gehen Verdammungsurteile, wie sie z. B.
aus dem Munde Sybels mit Rücksicht aus die spätere Entwicklung über
das anfängliche Streben des deutschen Königtums nach der Kaiserwürde
erschollen, im wesentlichen fehl. Sie übersehen, daß vor billig denkenden
Richtern kräftigen Herrschernaturen, die politische Neugründungen wagen,
nicht in die Schuhe zu schieben ist, was durch die vom Schicksal zu¬
gelassene Unreife der Nachkommenschaft verschuldet wird. Auch im zehnten
und elften Jahrhundert noch bildete in den Augen der damaligen politischen
Bildung das westliche Europa ein durch Überlieferungen mancherlei Art ver¬
knüpftes einheitliches Kulturgebiet, das nach dem Vorgang des großen Karl
das politische Führertum nur in einem erneuerten römischen Imperator finden
konnte. Für das deutsche Königtum lag es aber nahe, diese Erbschaft an¬
zutreten, nicht nur, weil es tatsächlich die stärkste Waffenmacht im Abendland
darstellte, sondern auch weil die staatsrechtlichen Institutionen des KeZnum
l'eutoniLum überhaupt denen des Frankenreichs nachgebildet waren und über¬
dies gerade Otto der Große und Heinrich der Dritte bei ihrem Eingreifen in
die italienischen Verhältnisse nach der Zeitanschauung durch die dringendsten
Gebote persönlicher Ehre gehalten waren, dem durch unreine Elemente arg
beschmutzten Papstthron wieder, aufzuhelfen. Selbst dem Papsttum gegenüber
hat das deutsche Kaisertum über ein Jahrhundert lang seit Otto des Großen
Kaiserkrönung die entscheidende Rolle behauptet. Erst zur Jugendzeit Heinrichs
des Vierten begann das an der Hand des deutschen Kaisertums aufgerichtete
Papsttum mit Gregor dem Siebenten sich selbst zum politischen Mittelpunkt
des einheitlichen abendländischen Kulturgebiets zu erheben und auf diesem
Schauplatz die rechtliche Oberhoheit wirksamer zu handhaben, als es bisher im
allgemeinen von seiten des deutschen Kaisertums geschehen. Unzählige Fürsten-
und Staatenstreitigkeiten sind damals in der Tat durch päpstliche Vermittlung
geschlichtet worden, in der Anregung und Leitung der "heiligen Kriege", d. h.
der Kreuzzüge, suchte das Papsttum selbst die Aufgabe der Greuzwacht für das
seiner Leitung unterstehende Kulturgebiet zu lösen. Selbstverständlich waren
solche Resultate nur bei einem ganz eigenartigen Stande der allgemeinen
Geistesbildung möglich. Der allgemeine Mangel an historischem Sinn ermöglichte
es dein Papsttum, alle Gegner seiner politischen Ziele mit den geistigen Waffen
niederzuschlagen, welche eine geschickte Fcilscherkuust im Pseudoisidor bereits um
die Mitte des neunten Jahrhunderts zugerüstet. Solchen Mitteln gegenüber
versagten selbst die Waffen, welche die den Entscheidungskampf mit dem Papst¬
tum aufnehmenden Stauferkaiser dem altrömischen Jmperatorenrecht, dem
corpus iuri3 civile, entnehmen mochten. 1245 konnte Papst Jnnozenz der
Vierte verkünden: "Nicht bloß eine priesterliche, sondern auch eine königliche
Alleinherrschaft gründete Christus, indem er dem Petrus und seinen Nach¬
folgern zugleich die Zügel des himmlischen und des irdischen Reichs übergab.


Die Raiseridec

Heinrich dem Dritten, wirklich die politische Leitung des gesamten christlichen
Abendlandes besessen. Immerhin gehen Verdammungsurteile, wie sie z. B.
aus dem Munde Sybels mit Rücksicht aus die spätere Entwicklung über
das anfängliche Streben des deutschen Königtums nach der Kaiserwürde
erschollen, im wesentlichen fehl. Sie übersehen, daß vor billig denkenden
Richtern kräftigen Herrschernaturen, die politische Neugründungen wagen,
nicht in die Schuhe zu schieben ist, was durch die vom Schicksal zu¬
gelassene Unreife der Nachkommenschaft verschuldet wird. Auch im zehnten
und elften Jahrhundert noch bildete in den Augen der damaligen politischen
Bildung das westliche Europa ein durch Überlieferungen mancherlei Art ver¬
knüpftes einheitliches Kulturgebiet, das nach dem Vorgang des großen Karl
das politische Führertum nur in einem erneuerten römischen Imperator finden
konnte. Für das deutsche Königtum lag es aber nahe, diese Erbschaft an¬
zutreten, nicht nur, weil es tatsächlich die stärkste Waffenmacht im Abendland
darstellte, sondern auch weil die staatsrechtlichen Institutionen des KeZnum
l'eutoniLum überhaupt denen des Frankenreichs nachgebildet waren und über¬
dies gerade Otto der Große und Heinrich der Dritte bei ihrem Eingreifen in
die italienischen Verhältnisse nach der Zeitanschauung durch die dringendsten
Gebote persönlicher Ehre gehalten waren, dem durch unreine Elemente arg
beschmutzten Papstthron wieder, aufzuhelfen. Selbst dem Papsttum gegenüber
hat das deutsche Kaisertum über ein Jahrhundert lang seit Otto des Großen
Kaiserkrönung die entscheidende Rolle behauptet. Erst zur Jugendzeit Heinrichs
des Vierten begann das an der Hand des deutschen Kaisertums aufgerichtete
Papsttum mit Gregor dem Siebenten sich selbst zum politischen Mittelpunkt
des einheitlichen abendländischen Kulturgebiets zu erheben und auf diesem
Schauplatz die rechtliche Oberhoheit wirksamer zu handhaben, als es bisher im
allgemeinen von seiten des deutschen Kaisertums geschehen. Unzählige Fürsten-
und Staatenstreitigkeiten sind damals in der Tat durch päpstliche Vermittlung
geschlichtet worden, in der Anregung und Leitung der „heiligen Kriege", d. h.
der Kreuzzüge, suchte das Papsttum selbst die Aufgabe der Greuzwacht für das
seiner Leitung unterstehende Kulturgebiet zu lösen. Selbstverständlich waren
solche Resultate nur bei einem ganz eigenartigen Stande der allgemeinen
Geistesbildung möglich. Der allgemeine Mangel an historischem Sinn ermöglichte
es dein Papsttum, alle Gegner seiner politischen Ziele mit den geistigen Waffen
niederzuschlagen, welche eine geschickte Fcilscherkuust im Pseudoisidor bereits um
die Mitte des neunten Jahrhunderts zugerüstet. Solchen Mitteln gegenüber
versagten selbst die Waffen, welche die den Entscheidungskampf mit dem Papst¬
tum aufnehmenden Stauferkaiser dem altrömischen Jmperatorenrecht, dem
corpus iuri3 civile, entnehmen mochten. 1245 konnte Papst Jnnozenz der
Vierte verkünden: „Nicht bloß eine priesterliche, sondern auch eine königliche
Alleinherrschaft gründete Christus, indem er dem Petrus und seinen Nach¬
folgern zugleich die Zügel des himmlischen und des irdischen Reichs übergab.


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[0464] Die Raiseridec Heinrich dem Dritten, wirklich die politische Leitung des gesamten christlichen Abendlandes besessen. Immerhin gehen Verdammungsurteile, wie sie z. B. aus dem Munde Sybels mit Rücksicht aus die spätere Entwicklung über das anfängliche Streben des deutschen Königtums nach der Kaiserwürde erschollen, im wesentlichen fehl. Sie übersehen, daß vor billig denkenden Richtern kräftigen Herrschernaturen, die politische Neugründungen wagen, nicht in die Schuhe zu schieben ist, was durch die vom Schicksal zu¬ gelassene Unreife der Nachkommenschaft verschuldet wird. Auch im zehnten und elften Jahrhundert noch bildete in den Augen der damaligen politischen Bildung das westliche Europa ein durch Überlieferungen mancherlei Art ver¬ knüpftes einheitliches Kulturgebiet, das nach dem Vorgang des großen Karl das politische Führertum nur in einem erneuerten römischen Imperator finden konnte. Für das deutsche Königtum lag es aber nahe, diese Erbschaft an¬ zutreten, nicht nur, weil es tatsächlich die stärkste Waffenmacht im Abendland darstellte, sondern auch weil die staatsrechtlichen Institutionen des KeZnum l'eutoniLum überhaupt denen des Frankenreichs nachgebildet waren und über¬ dies gerade Otto der Große und Heinrich der Dritte bei ihrem Eingreifen in die italienischen Verhältnisse nach der Zeitanschauung durch die dringendsten Gebote persönlicher Ehre gehalten waren, dem durch unreine Elemente arg beschmutzten Papstthron wieder, aufzuhelfen. Selbst dem Papsttum gegenüber hat das deutsche Kaisertum über ein Jahrhundert lang seit Otto des Großen Kaiserkrönung die entscheidende Rolle behauptet. Erst zur Jugendzeit Heinrichs des Vierten begann das an der Hand des deutschen Kaisertums aufgerichtete Papsttum mit Gregor dem Siebenten sich selbst zum politischen Mittelpunkt des einheitlichen abendländischen Kulturgebiets zu erheben und auf diesem Schauplatz die rechtliche Oberhoheit wirksamer zu handhaben, als es bisher im allgemeinen von seiten des deutschen Kaisertums geschehen. Unzählige Fürsten- und Staatenstreitigkeiten sind damals in der Tat durch päpstliche Vermittlung geschlichtet worden, in der Anregung und Leitung der „heiligen Kriege", d. h. der Kreuzzüge, suchte das Papsttum selbst die Aufgabe der Greuzwacht für das seiner Leitung unterstehende Kulturgebiet zu lösen. Selbstverständlich waren solche Resultate nur bei einem ganz eigenartigen Stande der allgemeinen Geistesbildung möglich. Der allgemeine Mangel an historischem Sinn ermöglichte es dein Papsttum, alle Gegner seiner politischen Ziele mit den geistigen Waffen niederzuschlagen, welche eine geschickte Fcilscherkuust im Pseudoisidor bereits um die Mitte des neunten Jahrhunderts zugerüstet. Solchen Mitteln gegenüber versagten selbst die Waffen, welche die den Entscheidungskampf mit dem Papst¬ tum aufnehmenden Stauferkaiser dem altrömischen Jmperatorenrecht, dem corpus iuri3 civile, entnehmen mochten. 1245 konnte Papst Jnnozenz der Vierte verkünden: „Nicht bloß eine priesterliche, sondern auch eine königliche Alleinherrschaft gründete Christus, indem er dem Petrus und seinen Nach¬ folgern zugleich die Zügel des himmlischen und des irdischen Reichs übergab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/464>, abgerufen am 23.07.2024.