Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Aaiseridec

Kaiser Konstantin hat, nachdem er durch den christlichen Glauben der katholischen
Kirche einverleibt war, die ungeordnete Gewaltherrschaft, die er vordem in
rechtswidriger Weise ausgeübt hatte, demütig in die Hand der Kirche gelegt
und von dem Statthalter Christi die jetzt nach Gottes Willen geordnete Gewalt
zurückerhalten, um sich ihrer zur Bestrafung der Übeltäter, zur Belohnung der
Guten zu bedienen. Auch die Gewalt des weltlichen Schwertes steht Petrus
zu, sie ist dem Rechte nach bei der Kirche und nur übertragen der tatsächlichen
Ausübung nach bei dem Kaiser." Selbst in Deutschland wandelte sich in der
Zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Rechtsüberzeugung dahin, daß
der Kaiser seine Gewalt vom Papste herleite, und Kaiser Albrecht gab selbst
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts offen zu, daß einstmals durch den Papst
die Kaiserwürde von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden sei
und vom Papst sich das Wahlrecht der weltlichen und geistlichen Kurfürsten
herschreibe. Den Wechsel der Zeiten empfindet man hierbei in aller Schwere,
wenn man vergleicht, daß einst im zehnten Jahrhundert der Mönch Widukind
von Cörper in seinen I?e8 Möwe Saxonicae für die Kaiserschaft Otto des
Großen die päpstliche Krönung als unerheblich übergeht und den letzteren schon
auf dem Lechfelde (955) von dem siegbegeisterten Heer als "Vater des Vater¬
landes" und "Imperator" begrüßt sein läßt. I'riumpnc" celebri rex k^neu8
ZIoriosuI ab exercitu pater patrias imperatoique gppellatu8 L8t -- in
diesen Worten Widukinds spricht sich geradezu mit elementarer Gewalt die
allgemeine Grundidee des Kaisertums aus: nicht das selbst waffenunsähige
Priestertum kann Kaiserschaft verleihen, sondern das "Volk in Waffen" dem
das Vaterland stegreich schirmenden Großkönig. Im vierzehnten Jahrhundert
aber mußte sich erst die Anmaßung des Papstes von Avignon her mit schwerem
Druck gegen das deutsche Kurfürstentum selbst richten, bis sich dieses im Kur¬
verein zu Reuse 1338 zur offenen Proklamierung der grundsätzlichen Selb¬
ständigkeit des deutschen König- und Kaisertums gegenüber den päpstlichen
Ansprüchen aufraffte.

Das päpstliche Universalreich zerbrach am Ausgang des Mittelalters,
verlassen vom Glauben der Völker, die Tat des Augustinermönchs eröffnete
eine neue Ära für Staat und Kirche. Das einheitliche Kulturgebiet des west-
lichen Europa löste sich auf in eine Reihe von Kulturgruppen von immer
schärfer ausgeprägter nationaler Eigenart und staatlicher Geschlossenheit. Nur
das Heilige Römische Reich Deutscher Nation blieb ein lockeres Staaten- und
Bölkergemisch, die Kaiserwürde in ihm ein äußerlich schmückendes Zubehörstück
der Habsburgischen Territorialherren. Selbst in der Form einer Fürsten-
aristokratie ließ sich seit dem siebzehnten Jahrhundert auf die Dauer ein
kräftiges Neichsregiment nicht erhalten. schmählich vergaß man auf kaiserlicher
Seite im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Grenzhut gegen die
Raubgelüste des französischen Nachbarn und rief dessen Waffen im sieben¬
jährigen Krieg sogar gegen das emporstrebende Preußen auf. Als dann der


Die Aaiseridec

Kaiser Konstantin hat, nachdem er durch den christlichen Glauben der katholischen
Kirche einverleibt war, die ungeordnete Gewaltherrschaft, die er vordem in
rechtswidriger Weise ausgeübt hatte, demütig in die Hand der Kirche gelegt
und von dem Statthalter Christi die jetzt nach Gottes Willen geordnete Gewalt
zurückerhalten, um sich ihrer zur Bestrafung der Übeltäter, zur Belohnung der
Guten zu bedienen. Auch die Gewalt des weltlichen Schwertes steht Petrus
zu, sie ist dem Rechte nach bei der Kirche und nur übertragen der tatsächlichen
Ausübung nach bei dem Kaiser." Selbst in Deutschland wandelte sich in der
Zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Rechtsüberzeugung dahin, daß
der Kaiser seine Gewalt vom Papste herleite, und Kaiser Albrecht gab selbst
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts offen zu, daß einstmals durch den Papst
die Kaiserwürde von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden sei
und vom Papst sich das Wahlrecht der weltlichen und geistlichen Kurfürsten
herschreibe. Den Wechsel der Zeiten empfindet man hierbei in aller Schwere,
wenn man vergleicht, daß einst im zehnten Jahrhundert der Mönch Widukind
von Cörper in seinen I?e8 Möwe Saxonicae für die Kaiserschaft Otto des
Großen die päpstliche Krönung als unerheblich übergeht und den letzteren schon
auf dem Lechfelde (955) von dem siegbegeisterten Heer als „Vater des Vater¬
landes" und „Imperator" begrüßt sein läßt. I'riumpnc» celebri rex k^neu8
ZIoriosuI ab exercitu pater patrias imperatoique gppellatu8 L8t — in
diesen Worten Widukinds spricht sich geradezu mit elementarer Gewalt die
allgemeine Grundidee des Kaisertums aus: nicht das selbst waffenunsähige
Priestertum kann Kaiserschaft verleihen, sondern das „Volk in Waffen" dem
das Vaterland stegreich schirmenden Großkönig. Im vierzehnten Jahrhundert
aber mußte sich erst die Anmaßung des Papstes von Avignon her mit schwerem
Druck gegen das deutsche Kurfürstentum selbst richten, bis sich dieses im Kur¬
verein zu Reuse 1338 zur offenen Proklamierung der grundsätzlichen Selb¬
ständigkeit des deutschen König- und Kaisertums gegenüber den päpstlichen
Ansprüchen aufraffte.

Das päpstliche Universalreich zerbrach am Ausgang des Mittelalters,
verlassen vom Glauben der Völker, die Tat des Augustinermönchs eröffnete
eine neue Ära für Staat und Kirche. Das einheitliche Kulturgebiet des west-
lichen Europa löste sich auf in eine Reihe von Kulturgruppen von immer
schärfer ausgeprägter nationaler Eigenart und staatlicher Geschlossenheit. Nur
das Heilige Römische Reich Deutscher Nation blieb ein lockeres Staaten- und
Bölkergemisch, die Kaiserwürde in ihm ein äußerlich schmückendes Zubehörstück
der Habsburgischen Territorialherren. Selbst in der Form einer Fürsten-
aristokratie ließ sich seit dem siebzehnten Jahrhundert auf die Dauer ein
kräftiges Neichsregiment nicht erhalten. schmählich vergaß man auf kaiserlicher
Seite im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Grenzhut gegen die
Raubgelüste des französischen Nachbarn und rief dessen Waffen im sieben¬
jährigen Krieg sogar gegen das emporstrebende Preußen auf. Als dann der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318748"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Aaiseridec</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2018" prev="#ID_2017"> Kaiser Konstantin hat, nachdem er durch den christlichen Glauben der katholischen<lb/>
Kirche einverleibt war, die ungeordnete Gewaltherrschaft, die er vordem in<lb/>
rechtswidriger Weise ausgeübt hatte, demütig in die Hand der Kirche gelegt<lb/>
und von dem Statthalter Christi die jetzt nach Gottes Willen geordnete Gewalt<lb/>
zurückerhalten, um sich ihrer zur Bestrafung der Übeltäter, zur Belohnung der<lb/>
Guten zu bedienen. Auch die Gewalt des weltlichen Schwertes steht Petrus<lb/>
zu, sie ist dem Rechte nach bei der Kirche und nur übertragen der tatsächlichen<lb/>
Ausübung nach bei dem Kaiser." Selbst in Deutschland wandelte sich in der<lb/>
Zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Rechtsüberzeugung dahin, daß<lb/>
der Kaiser seine Gewalt vom Papste herleite, und Kaiser Albrecht gab selbst<lb/>
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts offen zu, daß einstmals durch den Papst<lb/>
die Kaiserwürde von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden sei<lb/>
und vom Papst sich das Wahlrecht der weltlichen und geistlichen Kurfürsten<lb/>
herschreibe. Den Wechsel der Zeiten empfindet man hierbei in aller Schwere,<lb/>
wenn man vergleicht, daß einst im zehnten Jahrhundert der Mönch Widukind<lb/>
von Cörper in seinen I?e8 Möwe Saxonicae für die Kaiserschaft Otto des<lb/>
Großen die päpstliche Krönung als unerheblich übergeht und den letzteren schon<lb/>
auf dem Lechfelde (955) von dem siegbegeisterten Heer als &#x201E;Vater des Vater¬<lb/>
landes" und &#x201E;Imperator" begrüßt sein läßt. I'riumpnc» celebri rex k^neu8<lb/>
ZIoriosuI ab exercitu pater patrias imperatoique gppellatu8 L8t &#x2014; in<lb/>
diesen Worten Widukinds spricht sich geradezu mit elementarer Gewalt die<lb/>
allgemeine Grundidee des Kaisertums aus: nicht das selbst waffenunsähige<lb/>
Priestertum kann Kaiserschaft verleihen, sondern das &#x201E;Volk in Waffen" dem<lb/>
das Vaterland stegreich schirmenden Großkönig. Im vierzehnten Jahrhundert<lb/>
aber mußte sich erst die Anmaßung des Papstes von Avignon her mit schwerem<lb/>
Druck gegen das deutsche Kurfürstentum selbst richten, bis sich dieses im Kur¬<lb/>
verein zu Reuse 1338 zur offenen Proklamierung der grundsätzlichen Selb¬<lb/>
ständigkeit des deutschen König- und Kaisertums gegenüber den päpstlichen<lb/>
Ansprüchen aufraffte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2019" next="#ID_2020"> Das päpstliche Universalreich zerbrach am Ausgang des Mittelalters,<lb/>
verlassen vom Glauben der Völker, die Tat des Augustinermönchs eröffnete<lb/>
eine neue Ära für Staat und Kirche. Das einheitliche Kulturgebiet des west-<lb/>
lichen Europa löste sich auf in eine Reihe von Kulturgruppen von immer<lb/>
schärfer ausgeprägter nationaler Eigenart und staatlicher Geschlossenheit. Nur<lb/>
das Heilige Römische Reich Deutscher Nation blieb ein lockeres Staaten- und<lb/>
Bölkergemisch, die Kaiserwürde in ihm ein äußerlich schmückendes Zubehörstück<lb/>
der Habsburgischen Territorialherren. Selbst in der Form einer Fürsten-<lb/>
aristokratie ließ sich seit dem siebzehnten Jahrhundert auf die Dauer ein<lb/>
kräftiges Neichsregiment nicht erhalten. schmählich vergaß man auf kaiserlicher<lb/>
Seite im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Grenzhut gegen die<lb/>
Raubgelüste des französischen Nachbarn und rief dessen Waffen im sieben¬<lb/>
jährigen Krieg sogar gegen das emporstrebende Preußen auf. Als dann der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Die Aaiseridec Kaiser Konstantin hat, nachdem er durch den christlichen Glauben der katholischen Kirche einverleibt war, die ungeordnete Gewaltherrschaft, die er vordem in rechtswidriger Weise ausgeübt hatte, demütig in die Hand der Kirche gelegt und von dem Statthalter Christi die jetzt nach Gottes Willen geordnete Gewalt zurückerhalten, um sich ihrer zur Bestrafung der Übeltäter, zur Belohnung der Guten zu bedienen. Auch die Gewalt des weltlichen Schwertes steht Petrus zu, sie ist dem Rechte nach bei der Kirche und nur übertragen der tatsächlichen Ausübung nach bei dem Kaiser." Selbst in Deutschland wandelte sich in der Zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Rechtsüberzeugung dahin, daß der Kaiser seine Gewalt vom Papste herleite, und Kaiser Albrecht gab selbst Anfang des vierzehnten Jahrhunderts offen zu, daß einstmals durch den Papst die Kaiserwürde von den Griechen auf die Deutschen übertragen worden sei und vom Papst sich das Wahlrecht der weltlichen und geistlichen Kurfürsten herschreibe. Den Wechsel der Zeiten empfindet man hierbei in aller Schwere, wenn man vergleicht, daß einst im zehnten Jahrhundert der Mönch Widukind von Cörper in seinen I?e8 Möwe Saxonicae für die Kaiserschaft Otto des Großen die päpstliche Krönung als unerheblich übergeht und den letzteren schon auf dem Lechfelde (955) von dem siegbegeisterten Heer als „Vater des Vater¬ landes" und „Imperator" begrüßt sein läßt. I'riumpnc» celebri rex k^neu8 ZIoriosuI ab exercitu pater patrias imperatoique gppellatu8 L8t — in diesen Worten Widukinds spricht sich geradezu mit elementarer Gewalt die allgemeine Grundidee des Kaisertums aus: nicht das selbst waffenunsähige Priestertum kann Kaiserschaft verleihen, sondern das „Volk in Waffen" dem das Vaterland stegreich schirmenden Großkönig. Im vierzehnten Jahrhundert aber mußte sich erst die Anmaßung des Papstes von Avignon her mit schwerem Druck gegen das deutsche Kurfürstentum selbst richten, bis sich dieses im Kur¬ verein zu Reuse 1338 zur offenen Proklamierung der grundsätzlichen Selb¬ ständigkeit des deutschen König- und Kaisertums gegenüber den päpstlichen Ansprüchen aufraffte. Das päpstliche Universalreich zerbrach am Ausgang des Mittelalters, verlassen vom Glauben der Völker, die Tat des Augustinermönchs eröffnete eine neue Ära für Staat und Kirche. Das einheitliche Kulturgebiet des west- lichen Europa löste sich auf in eine Reihe von Kulturgruppen von immer schärfer ausgeprägter nationaler Eigenart und staatlicher Geschlossenheit. Nur das Heilige Römische Reich Deutscher Nation blieb ein lockeres Staaten- und Bölkergemisch, die Kaiserwürde in ihm ein äußerlich schmückendes Zubehörstück der Habsburgischen Territorialherren. Selbst in der Form einer Fürsten- aristokratie ließ sich seit dem siebzehnten Jahrhundert auf die Dauer ein kräftiges Neichsregiment nicht erhalten. schmählich vergaß man auf kaiserlicher Seite im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Grenzhut gegen die Raubgelüste des französischen Nachbarn und rief dessen Waffen im sieben¬ jährigen Krieg sogar gegen das emporstrebende Preußen auf. Als dann der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/465>, abgerufen am 23.07.2024.