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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Legende von? lvacholderhiigel

"Wer bist du, und was willst du von mir?"

Die Antwort blieb ihm unverständlich, und er zog verlegen die Schultern
hoch. Da zeigte ihm die Fremde die Brandflecken in ihrem Gewände. Im Feuer
war sie gewesen, sicher also aus einem Hause, das die Horden da unten angezündet
hatten. Aber wie kam sie hierher? Hatte sie den Weg durch die Wälder im Zufall
gefunden?

Indes er sie noch wie ein Wunder anstarrte, sprang die Fremde in den
Garten herein. Luder erschrak. Nie zuvor war ein weibliches Wesen innerhalb
der Klostermauern gesehen worden. Und nun schritt sie unbekümmert auf ihn zu
und wies fragend gegen das Haus. Er winkte der Fremden, ihm zu folgen und
führte sie zum Pater Reinhold.

"Hochwürden -- dies Weib ist eben zu mir in den Garten gesprungen."

Er erzählte, daß sie eine fremde Sprache rede.

"Hinaus doch -- hinweg mit ihr -- sie darf nicht über unsere Schwellei"
rief Pater Reinhold und wehrte mit beiden Händen ab.

Luder wies nach der Tür. Aber da sah die Fremde beide mit einem unendlich
traurigen Blick an, und eine helle Träne perlte über ihre Wangen und fiel in den
Staub des Korridors. Da lag sie wie eine blinkende Perle, so daß Luder die
Hand recken und sie aufheben wollte. Doch er schämte sich und wurde verlegen.
Die Fremde stand jetzt im Rahmen der offenen Tür.

"Oder -- was meinst du, Luder?" fragte Reinhold unsicher.

"Hochwürden --"

Im selben Augenblick kam Rudi von den Wirtschaftsgebäuden eilig über den Hof.

"Zum Donnerwetter, Luder, wo bleiben die --" Spargel wollte er sagen.
Aber sein fragender Mund blieb offenstehen, und mit lautem Krach zerschellte die
irdene Schale, die er trug, auf den Steinfliesen. Luder klärte ihn mit wenigen
Worten auf. Rudi nahm die Sache von der praktischen Seite.

"Das gibt Hilfe für die Küche", äußerte er leise zu den beiden.

"Die Ordensregel gebietet, daß kein Weib zu uns herein darf", sagte Reinhold,
und sein Ton ward wieder strenger.

Die Fremde merkte, daß über sie beraten wurde. Sie ging still aus dem
Hause und ließ sich draußen auf einer Bank nieder. Rudi legte sich warm für
sie ins Zeug. Der Pater wurde nachdenklich und meinte, man wolle warten, bis
zu Mittag die anderen alle versammelt wären. Darauf ging er in seine Zelle
und Luder wieder in den Garten. Rudi aber winkte der Fremden, daß sie ihm
nach der Küche folge, und bot ihr Milch und Brot. Als Severin mit dem Milch¬
eimer aus dem Stalle kam und sie sah, kicherte er vergnügt und winkte ihr zu,
als sei sie schon immer bei ihnen gewesen.

Indes nahte die Mittagsstunde. Die Brüder kamen nacheinander und setzten
sich an den langen Holztisch, der unter der .Kastanie gerade vor dem Küchenfenster
stand. Rudi hatte der Fremden bedeutet, sie solle sich einstweilen still in der Küche
halten, und versprach sich einen Hauptspaß von den Gesichtern der anderen. Da
trat Pater Reinhold herzu und forderte alle auf, ihni ins Comatel zu folgen. Sie
machten erstaunte Gesichter und stolperten schwerfällig hinter ihm drein durch den
Kreuzgang. Und dann saßen alle um den eichenen Tisch und äugten den Pater
an, was nun kommen möchte.


Legende von? lvacholderhiigel

„Wer bist du, und was willst du von mir?"

Die Antwort blieb ihm unverständlich, und er zog verlegen die Schultern
hoch. Da zeigte ihm die Fremde die Brandflecken in ihrem Gewände. Im Feuer
war sie gewesen, sicher also aus einem Hause, das die Horden da unten angezündet
hatten. Aber wie kam sie hierher? Hatte sie den Weg durch die Wälder im Zufall
gefunden?

Indes er sie noch wie ein Wunder anstarrte, sprang die Fremde in den
Garten herein. Luder erschrak. Nie zuvor war ein weibliches Wesen innerhalb
der Klostermauern gesehen worden. Und nun schritt sie unbekümmert auf ihn zu
und wies fragend gegen das Haus. Er winkte der Fremden, ihm zu folgen und
führte sie zum Pater Reinhold.

„Hochwürden — dies Weib ist eben zu mir in den Garten gesprungen."

Er erzählte, daß sie eine fremde Sprache rede.

„Hinaus doch — hinweg mit ihr — sie darf nicht über unsere Schwellei"
rief Pater Reinhold und wehrte mit beiden Händen ab.

Luder wies nach der Tür. Aber da sah die Fremde beide mit einem unendlich
traurigen Blick an, und eine helle Träne perlte über ihre Wangen und fiel in den
Staub des Korridors. Da lag sie wie eine blinkende Perle, so daß Luder die
Hand recken und sie aufheben wollte. Doch er schämte sich und wurde verlegen.
Die Fremde stand jetzt im Rahmen der offenen Tür.

„Oder — was meinst du, Luder?" fragte Reinhold unsicher.

„Hochwürden —"

Im selben Augenblick kam Rudi von den Wirtschaftsgebäuden eilig über den Hof.

„Zum Donnerwetter, Luder, wo bleiben die —" Spargel wollte er sagen.
Aber sein fragender Mund blieb offenstehen, und mit lautem Krach zerschellte die
irdene Schale, die er trug, auf den Steinfliesen. Luder klärte ihn mit wenigen
Worten auf. Rudi nahm die Sache von der praktischen Seite.

„Das gibt Hilfe für die Küche", äußerte er leise zu den beiden.

„Die Ordensregel gebietet, daß kein Weib zu uns herein darf", sagte Reinhold,
und sein Ton ward wieder strenger.

Die Fremde merkte, daß über sie beraten wurde. Sie ging still aus dem
Hause und ließ sich draußen auf einer Bank nieder. Rudi legte sich warm für
sie ins Zeug. Der Pater wurde nachdenklich und meinte, man wolle warten, bis
zu Mittag die anderen alle versammelt wären. Darauf ging er in seine Zelle
und Luder wieder in den Garten. Rudi aber winkte der Fremden, daß sie ihm
nach der Küche folge, und bot ihr Milch und Brot. Als Severin mit dem Milch¬
eimer aus dem Stalle kam und sie sah, kicherte er vergnügt und winkte ihr zu,
als sei sie schon immer bei ihnen gewesen.

Indes nahte die Mittagsstunde. Die Brüder kamen nacheinander und setzten
sich an den langen Holztisch, der unter der .Kastanie gerade vor dem Küchenfenster
stand. Rudi hatte der Fremden bedeutet, sie solle sich einstweilen still in der Küche
halten, und versprach sich einen Hauptspaß von den Gesichtern der anderen. Da
trat Pater Reinhold herzu und forderte alle auf, ihni ins Comatel zu folgen. Sie
machten erstaunte Gesichter und stolperten schwerfällig hinter ihm drein durch den
Kreuzgang. Und dann saßen alle um den eichenen Tisch und äugten den Pater
an, was nun kommen möchte.


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[0424] Legende von? lvacholderhiigel „Wer bist du, und was willst du von mir?" Die Antwort blieb ihm unverständlich, und er zog verlegen die Schultern hoch. Da zeigte ihm die Fremde die Brandflecken in ihrem Gewände. Im Feuer war sie gewesen, sicher also aus einem Hause, das die Horden da unten angezündet hatten. Aber wie kam sie hierher? Hatte sie den Weg durch die Wälder im Zufall gefunden? Indes er sie noch wie ein Wunder anstarrte, sprang die Fremde in den Garten herein. Luder erschrak. Nie zuvor war ein weibliches Wesen innerhalb der Klostermauern gesehen worden. Und nun schritt sie unbekümmert auf ihn zu und wies fragend gegen das Haus. Er winkte der Fremden, ihm zu folgen und führte sie zum Pater Reinhold. „Hochwürden — dies Weib ist eben zu mir in den Garten gesprungen." Er erzählte, daß sie eine fremde Sprache rede. „Hinaus doch — hinweg mit ihr — sie darf nicht über unsere Schwellei" rief Pater Reinhold und wehrte mit beiden Händen ab. Luder wies nach der Tür. Aber da sah die Fremde beide mit einem unendlich traurigen Blick an, und eine helle Träne perlte über ihre Wangen und fiel in den Staub des Korridors. Da lag sie wie eine blinkende Perle, so daß Luder die Hand recken und sie aufheben wollte. Doch er schämte sich und wurde verlegen. Die Fremde stand jetzt im Rahmen der offenen Tür. „Oder — was meinst du, Luder?" fragte Reinhold unsicher. „Hochwürden —" Im selben Augenblick kam Rudi von den Wirtschaftsgebäuden eilig über den Hof. „Zum Donnerwetter, Luder, wo bleiben die —" Spargel wollte er sagen. Aber sein fragender Mund blieb offenstehen, und mit lautem Krach zerschellte die irdene Schale, die er trug, auf den Steinfliesen. Luder klärte ihn mit wenigen Worten auf. Rudi nahm die Sache von der praktischen Seite. „Das gibt Hilfe für die Küche", äußerte er leise zu den beiden. „Die Ordensregel gebietet, daß kein Weib zu uns herein darf", sagte Reinhold, und sein Ton ward wieder strenger. Die Fremde merkte, daß über sie beraten wurde. Sie ging still aus dem Hause und ließ sich draußen auf einer Bank nieder. Rudi legte sich warm für sie ins Zeug. Der Pater wurde nachdenklich und meinte, man wolle warten, bis zu Mittag die anderen alle versammelt wären. Darauf ging er in seine Zelle und Luder wieder in den Garten. Rudi aber winkte der Fremden, daß sie ihm nach der Küche folge, und bot ihr Milch und Brot. Als Severin mit dem Milch¬ eimer aus dem Stalle kam und sie sah, kicherte er vergnügt und winkte ihr zu, als sei sie schon immer bei ihnen gewesen. Indes nahte die Mittagsstunde. Die Brüder kamen nacheinander und setzten sich an den langen Holztisch, der unter der .Kastanie gerade vor dem Küchenfenster stand. Rudi hatte der Fremden bedeutet, sie solle sich einstweilen still in der Küche halten, und versprach sich einen Hauptspaß von den Gesichtern der anderen. Da trat Pater Reinhold herzu und forderte alle auf, ihni ins Comatel zu folgen. Sie machten erstaunte Gesichter und stolperten schwerfällig hinter ihm drein durch den Kreuzgang. Und dann saßen alle um den eichenen Tisch und äugten den Pater an, was nun kommen möchte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/424>, abgerufen am 29.06.2024.