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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa

Kraftstrotzende Barbaren verschleuderten Roms Berge von Silber und Gold in
alle Winkel der Welt hinein, und verschwunden waren die raffinierter Patrizier,
die sich -- koste es, was es wolle -- nach Indiens Schätzen umsahen. Wie
schon gesagt wurde, kam dann auch der im großen und ganzen kulturfeindliche
Islam mit all seinem Fanatismus auf und brachte den Handel zwischen Europa
und Indien eine Zeitlang so ziemlich zum Verschwinden. Indien sank für den
Okzident wieder mehr zu einer terra incoMita zurück, indessen, wie in der
Stille christlicher europäischer Klöster ein guter Teil Griechen- und Römer¬
weisheit, Wissen des klassischen Altertums überhaupt, in eine neuere, der Wissen¬
schaft und den Musen mehr holde Zeit hinübergerettet wurde, so waren und
blieben auch selbst unter den phantastisch und daneben allzu kraß realistisch
angelegten Muselmännern doch geniale, wißbegierige Leute eifrig tätig, den
Schleier mehr und mehr zu lüften, welcher über dem Dorado Indien lag, ja
für Europa bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein und noch länger darüber
liegen geblieben ist. Unter diesen verdienstvollen gelehrten Orientalen leuchtet
einer besonders hervor, nämlich Alberuni, welcher um das Jahr 1030 sein
Buch Jndika. d. i. "Indisches", schrieb. Prof. Ed. Sachan") sagt über dieses
sehr treffend: "Indien und Arabien scheinen sich in dem Werke Alberunis zu
berühren, die indisch-brahminische Gedankenwelt und die semitisch-muslimische
einander zu durchdringen und auch die historischen Verhältnisse, welche die beiden
Völker einander nahegebracht, die einem muslimischen Gelehrten die Veranlassung
bieten konnten, unter ständigen Waffenlärm viele Jahre seines Lebens dem
Studium Indiens zu widmen und die Ergebnisse desselben in exten80 seinen
Glaubensgenossen vorzulegen."

Überraschend, vor allem auch durch den liberalen Geist, welcher daraus
atmet, ist, was Alberuni auf den ersten Seiten seiner Jndika sagt, daß nämlich
alle Berichte über die Religionen und Doktrinen der Jndier (Hindus) unzuverlässig
seien, mit Ausnahme von denen des Abu-al'abbüs Aleränshahri, von dem er
dann mitteilt, daß er selbst an keine der bestehenden Religionen geglaubt habe,
sondern nur an die, welche er sich selbst gebildet habe. Dieser Mann, sagt
Alberuni weiter, habe einen sehr guten Bericht ebensowohl über die Glaubens¬
lehren der Juden und Christen als über den Inhalt der Thora und Bibel
gegeben. Ausgezeichnet sei derselbe auch über die Religion der Manichäer unter¬
richtet gewesen, indessen, wenn er auf die Lehren der Hindus und Buddhisten
zu sprechen komme, dann treffe er häufig nicht den Nagel auf den Kopf.

Helle Geister haben also auch zu Alberunis Zeit, wo der Islam vom
Zentrum des heutigen Afghanistan aus einen zweiten, entschieden erfolgreichen
Anstoß auf die indische Welt gemacht hatte, tief im Innern des asiatischen
Kontinentes, nicht beengt durch religiöse Einseitigkeit, hehre Wissenschaft hoch¬
gehalten und wenn auch wohl von ihrer Mitwelt größtenteils nur wenig gewürdigt,



") Ed. Sachan: "Jndo-arabische Studien", in den Verhandlungen der Kgl. Preußischen
Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1888 enthalten.
Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa

Kraftstrotzende Barbaren verschleuderten Roms Berge von Silber und Gold in
alle Winkel der Welt hinein, und verschwunden waren die raffinierter Patrizier,
die sich — koste es, was es wolle — nach Indiens Schätzen umsahen. Wie
schon gesagt wurde, kam dann auch der im großen und ganzen kulturfeindliche
Islam mit all seinem Fanatismus auf und brachte den Handel zwischen Europa
und Indien eine Zeitlang so ziemlich zum Verschwinden. Indien sank für den
Okzident wieder mehr zu einer terra incoMita zurück, indessen, wie in der
Stille christlicher europäischer Klöster ein guter Teil Griechen- und Römer¬
weisheit, Wissen des klassischen Altertums überhaupt, in eine neuere, der Wissen¬
schaft und den Musen mehr holde Zeit hinübergerettet wurde, so waren und
blieben auch selbst unter den phantastisch und daneben allzu kraß realistisch
angelegten Muselmännern doch geniale, wißbegierige Leute eifrig tätig, den
Schleier mehr und mehr zu lüften, welcher über dem Dorado Indien lag, ja
für Europa bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein und noch länger darüber
liegen geblieben ist. Unter diesen verdienstvollen gelehrten Orientalen leuchtet
einer besonders hervor, nämlich Alberuni, welcher um das Jahr 1030 sein
Buch Jndika. d. i. „Indisches", schrieb. Prof. Ed. Sachan") sagt über dieses
sehr treffend: „Indien und Arabien scheinen sich in dem Werke Alberunis zu
berühren, die indisch-brahminische Gedankenwelt und die semitisch-muslimische
einander zu durchdringen und auch die historischen Verhältnisse, welche die beiden
Völker einander nahegebracht, die einem muslimischen Gelehrten die Veranlassung
bieten konnten, unter ständigen Waffenlärm viele Jahre seines Lebens dem
Studium Indiens zu widmen und die Ergebnisse desselben in exten80 seinen
Glaubensgenossen vorzulegen."

Überraschend, vor allem auch durch den liberalen Geist, welcher daraus
atmet, ist, was Alberuni auf den ersten Seiten seiner Jndika sagt, daß nämlich
alle Berichte über die Religionen und Doktrinen der Jndier (Hindus) unzuverlässig
seien, mit Ausnahme von denen des Abu-al'abbüs Aleränshahri, von dem er
dann mitteilt, daß er selbst an keine der bestehenden Religionen geglaubt habe,
sondern nur an die, welche er sich selbst gebildet habe. Dieser Mann, sagt
Alberuni weiter, habe einen sehr guten Bericht ebensowohl über die Glaubens¬
lehren der Juden und Christen als über den Inhalt der Thora und Bibel
gegeben. Ausgezeichnet sei derselbe auch über die Religion der Manichäer unter¬
richtet gewesen, indessen, wenn er auf die Lehren der Hindus und Buddhisten
zu sprechen komme, dann treffe er häufig nicht den Nagel auf den Kopf.

Helle Geister haben also auch zu Alberunis Zeit, wo der Islam vom
Zentrum des heutigen Afghanistan aus einen zweiten, entschieden erfolgreichen
Anstoß auf die indische Welt gemacht hatte, tief im Innern des asiatischen
Kontinentes, nicht beengt durch religiöse Einseitigkeit, hehre Wissenschaft hoch¬
gehalten und wenn auch wohl von ihrer Mitwelt größtenteils nur wenig gewürdigt,



") Ed. Sachan: „Jndo-arabische Studien", in den Verhandlungen der Kgl. Preußischen
Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1888 enthalten.
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[0410] Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa Kraftstrotzende Barbaren verschleuderten Roms Berge von Silber und Gold in alle Winkel der Welt hinein, und verschwunden waren die raffinierter Patrizier, die sich — koste es, was es wolle — nach Indiens Schätzen umsahen. Wie schon gesagt wurde, kam dann auch der im großen und ganzen kulturfeindliche Islam mit all seinem Fanatismus auf und brachte den Handel zwischen Europa und Indien eine Zeitlang so ziemlich zum Verschwinden. Indien sank für den Okzident wieder mehr zu einer terra incoMita zurück, indessen, wie in der Stille christlicher europäischer Klöster ein guter Teil Griechen- und Römer¬ weisheit, Wissen des klassischen Altertums überhaupt, in eine neuere, der Wissen¬ schaft und den Musen mehr holde Zeit hinübergerettet wurde, so waren und blieben auch selbst unter den phantastisch und daneben allzu kraß realistisch angelegten Muselmännern doch geniale, wißbegierige Leute eifrig tätig, den Schleier mehr und mehr zu lüften, welcher über dem Dorado Indien lag, ja für Europa bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein und noch länger darüber liegen geblieben ist. Unter diesen verdienstvollen gelehrten Orientalen leuchtet einer besonders hervor, nämlich Alberuni, welcher um das Jahr 1030 sein Buch Jndika. d. i. „Indisches", schrieb. Prof. Ed. Sachan") sagt über dieses sehr treffend: „Indien und Arabien scheinen sich in dem Werke Alberunis zu berühren, die indisch-brahminische Gedankenwelt und die semitisch-muslimische einander zu durchdringen und auch die historischen Verhältnisse, welche die beiden Völker einander nahegebracht, die einem muslimischen Gelehrten die Veranlassung bieten konnten, unter ständigen Waffenlärm viele Jahre seines Lebens dem Studium Indiens zu widmen und die Ergebnisse desselben in exten80 seinen Glaubensgenossen vorzulegen." Überraschend, vor allem auch durch den liberalen Geist, welcher daraus atmet, ist, was Alberuni auf den ersten Seiten seiner Jndika sagt, daß nämlich alle Berichte über die Religionen und Doktrinen der Jndier (Hindus) unzuverlässig seien, mit Ausnahme von denen des Abu-al'abbüs Aleränshahri, von dem er dann mitteilt, daß er selbst an keine der bestehenden Religionen geglaubt habe, sondern nur an die, welche er sich selbst gebildet habe. Dieser Mann, sagt Alberuni weiter, habe einen sehr guten Bericht ebensowohl über die Glaubens¬ lehren der Juden und Christen als über den Inhalt der Thora und Bibel gegeben. Ausgezeichnet sei derselbe auch über die Religion der Manichäer unter¬ richtet gewesen, indessen, wenn er auf die Lehren der Hindus und Buddhisten zu sprechen komme, dann treffe er häufig nicht den Nagel auf den Kopf. Helle Geister haben also auch zu Alberunis Zeit, wo der Islam vom Zentrum des heutigen Afghanistan aus einen zweiten, entschieden erfolgreichen Anstoß auf die indische Welt gemacht hatte, tief im Innern des asiatischen Kontinentes, nicht beengt durch religiöse Einseitigkeit, hehre Wissenschaft hoch¬ gehalten und wenn auch wohl von ihrer Mitwelt größtenteils nur wenig gewürdigt, ") Ed. Sachan: „Jndo-arabische Studien", in den Verhandlungen der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1888 enthalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/410>, abgerufen am 22.07.2024.