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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

der vor einigen Wochen im amtlichen Kolonialblatt in bezug auf den
Weiterbau der Zentralbahn propagiert wurde, aber ebensogut für die Nordbahn
gilt: "Es bedeutet natürlich bei einer so umfangreichen Bauausführung eine
wesentliche Ersparnis, wenn die einmal an Ort und Stelle befindliche Bau-
verwaltung mit ihrer gesamten Einrichtung an Ballgeräten und Maschinen,
mit ihrem Stäbe von weißen Beamten und Arbeitern nicht erst aufgelöst und
zurückgezogen wird, um später erneut auf eine so weite Entfernung entsandt
zu werden." Denn wenn die Nordbahn auch den Viktoriasee erst in späteren
Jahren erreichen dürfte, so wird sie doch wahrscheinlich wenigstens bis zum Natron¬
see, gegen 200 Ka nordwestlich vom KMmandjaro, schon in nächster Zeit fort¬
geführt werden, weil die dortigen Salzlager einen lohnenden Abbau versprechen
und das dazmischeu liegende Gebiet zur extensiven Weidewirtschaft in der Art
der südafrikanischen sehr geeignet erscheint.

Gerade von diesem Stück Nordbahn können wir uns eine ganze Menge
versprechen und halten es daher für ganz verfehlt, wenn man jetzt von manchen
Seiten mit phantastischen Perspektiven die Zentralbahn gegen die Nordbahn aus¬
zuspielen versucht. Wie uns Dernburg Wunderdinge von dem Fleiß des Negers
erzählte, der nur auf die Zentralbahn warte, um sie massenhaft mit seinen
Produkten zu belasten, so sind jetzt wieder manche Zeitungen voll von Schilde¬
rungen, die uns glauben machen wollen, daß jenseits des Tanganjikasees, nament¬
lich im minenreichen Katangagebiet, die Belgier darauf lauern, daß die deutsche
Zentralbahn ihr Land erschließe. Da und dort werden Berechnungen aufgemacht,
die zeigen, daß der Weg nach dem Osten des Kongostaats über die deutsche
Zentralbahn um soundso viele Kilometer und soundso viele Reisetage kürzer
sei. Und darauf wird die Behauptung gegründet, daß der Verkehr aus jenen
Gebieten naturnotwendig unserer Zentralbahn zufließen müsse. Auf diesem
kindlich geraden Weg lassen sich nun verkehrspolitische Fragen nicht lösen,
namentlich wenn verschiedenartige nationalwirtschaftliche Interessen dabei mit¬
spielen. Ja, wenn die Belgier wirklich auf uns warten würden und gewillt
wären, die formell offene Tür des Kongostaates uns auch wirklich weit auf¬
zumachen. Aber die denken nicht daran, sondern in Brüssel macht man sich,
wie wir versichern können, über derartige Phantasien deutscher Reisender lustig.
Dort, nicht in Katanga, liegt die Entscheidung für die kongolesische Verkehrs¬
und Wirtschaftspolitik. Im letzten Herbst hat der Schreiber dieses Gelegenheit
gehabt, in der Tägl. Rundschau einige Dokumente zu veröffentlichen, die be¬
wiesen, in welch raffinierter Weise an: Kongo durch Geheimerlasse und für uns
harmlos aussehende Sonderbestimmungen die "Reformen" des Kolonialministers
Renkin paralysiert und umgangen werden. Die Tendenz der belgischen Politik
geht, wie uns ein den belgischen Kolonialfinanzkreisen sehr nahestehender Herr
versichert hat. nach wie vor dahin, am Kongo unter sich zu bleiben. Nach wie
vor haben einige große Gesellschaften, voran die Kassaigesellschaft. an der der
belgische Staat stark beteiligt ist, am Kongo den maßgebenden Einfluß, lind den


Reichsspiegel

der vor einigen Wochen im amtlichen Kolonialblatt in bezug auf den
Weiterbau der Zentralbahn propagiert wurde, aber ebensogut für die Nordbahn
gilt: „Es bedeutet natürlich bei einer so umfangreichen Bauausführung eine
wesentliche Ersparnis, wenn die einmal an Ort und Stelle befindliche Bau-
verwaltung mit ihrer gesamten Einrichtung an Ballgeräten und Maschinen,
mit ihrem Stäbe von weißen Beamten und Arbeitern nicht erst aufgelöst und
zurückgezogen wird, um später erneut auf eine so weite Entfernung entsandt
zu werden." Denn wenn die Nordbahn auch den Viktoriasee erst in späteren
Jahren erreichen dürfte, so wird sie doch wahrscheinlich wenigstens bis zum Natron¬
see, gegen 200 Ka nordwestlich vom KMmandjaro, schon in nächster Zeit fort¬
geführt werden, weil die dortigen Salzlager einen lohnenden Abbau versprechen
und das dazmischeu liegende Gebiet zur extensiven Weidewirtschaft in der Art
der südafrikanischen sehr geeignet erscheint.

Gerade von diesem Stück Nordbahn können wir uns eine ganze Menge
versprechen und halten es daher für ganz verfehlt, wenn man jetzt von manchen
Seiten mit phantastischen Perspektiven die Zentralbahn gegen die Nordbahn aus¬
zuspielen versucht. Wie uns Dernburg Wunderdinge von dem Fleiß des Negers
erzählte, der nur auf die Zentralbahn warte, um sie massenhaft mit seinen
Produkten zu belasten, so sind jetzt wieder manche Zeitungen voll von Schilde¬
rungen, die uns glauben machen wollen, daß jenseits des Tanganjikasees, nament¬
lich im minenreichen Katangagebiet, die Belgier darauf lauern, daß die deutsche
Zentralbahn ihr Land erschließe. Da und dort werden Berechnungen aufgemacht,
die zeigen, daß der Weg nach dem Osten des Kongostaats über die deutsche
Zentralbahn um soundso viele Kilometer und soundso viele Reisetage kürzer
sei. Und darauf wird die Behauptung gegründet, daß der Verkehr aus jenen
Gebieten naturnotwendig unserer Zentralbahn zufließen müsse. Auf diesem
kindlich geraden Weg lassen sich nun verkehrspolitische Fragen nicht lösen,
namentlich wenn verschiedenartige nationalwirtschaftliche Interessen dabei mit¬
spielen. Ja, wenn die Belgier wirklich auf uns warten würden und gewillt
wären, die formell offene Tür des Kongostaates uns auch wirklich weit auf¬
zumachen. Aber die denken nicht daran, sondern in Brüssel macht man sich,
wie wir versichern können, über derartige Phantasien deutscher Reisender lustig.
Dort, nicht in Katanga, liegt die Entscheidung für die kongolesische Verkehrs¬
und Wirtschaftspolitik. Im letzten Herbst hat der Schreiber dieses Gelegenheit
gehabt, in der Tägl. Rundschau einige Dokumente zu veröffentlichen, die be¬
wiesen, in welch raffinierter Weise an: Kongo durch Geheimerlasse und für uns
harmlos aussehende Sonderbestimmungen die „Reformen" des Kolonialministers
Renkin paralysiert und umgangen werden. Die Tendenz der belgischen Politik
geht, wie uns ein den belgischen Kolonialfinanzkreisen sehr nahestehender Herr
versichert hat. nach wie vor dahin, am Kongo unter sich zu bleiben. Nach wie
vor haben einige große Gesellschaften, voran die Kassaigesellschaft. an der der
belgische Staat stark beteiligt ist, am Kongo den maßgebenden Einfluß, lind den


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[0388] Reichsspiegel der vor einigen Wochen im amtlichen Kolonialblatt in bezug auf den Weiterbau der Zentralbahn propagiert wurde, aber ebensogut für die Nordbahn gilt: „Es bedeutet natürlich bei einer so umfangreichen Bauausführung eine wesentliche Ersparnis, wenn die einmal an Ort und Stelle befindliche Bau- verwaltung mit ihrer gesamten Einrichtung an Ballgeräten und Maschinen, mit ihrem Stäbe von weißen Beamten und Arbeitern nicht erst aufgelöst und zurückgezogen wird, um später erneut auf eine so weite Entfernung entsandt zu werden." Denn wenn die Nordbahn auch den Viktoriasee erst in späteren Jahren erreichen dürfte, so wird sie doch wahrscheinlich wenigstens bis zum Natron¬ see, gegen 200 Ka nordwestlich vom KMmandjaro, schon in nächster Zeit fort¬ geführt werden, weil die dortigen Salzlager einen lohnenden Abbau versprechen und das dazmischeu liegende Gebiet zur extensiven Weidewirtschaft in der Art der südafrikanischen sehr geeignet erscheint. Gerade von diesem Stück Nordbahn können wir uns eine ganze Menge versprechen und halten es daher für ganz verfehlt, wenn man jetzt von manchen Seiten mit phantastischen Perspektiven die Zentralbahn gegen die Nordbahn aus¬ zuspielen versucht. Wie uns Dernburg Wunderdinge von dem Fleiß des Negers erzählte, der nur auf die Zentralbahn warte, um sie massenhaft mit seinen Produkten zu belasten, so sind jetzt wieder manche Zeitungen voll von Schilde¬ rungen, die uns glauben machen wollen, daß jenseits des Tanganjikasees, nament¬ lich im minenreichen Katangagebiet, die Belgier darauf lauern, daß die deutsche Zentralbahn ihr Land erschließe. Da und dort werden Berechnungen aufgemacht, die zeigen, daß der Weg nach dem Osten des Kongostaats über die deutsche Zentralbahn um soundso viele Kilometer und soundso viele Reisetage kürzer sei. Und darauf wird die Behauptung gegründet, daß der Verkehr aus jenen Gebieten naturnotwendig unserer Zentralbahn zufließen müsse. Auf diesem kindlich geraden Weg lassen sich nun verkehrspolitische Fragen nicht lösen, namentlich wenn verschiedenartige nationalwirtschaftliche Interessen dabei mit¬ spielen. Ja, wenn die Belgier wirklich auf uns warten würden und gewillt wären, die formell offene Tür des Kongostaates uns auch wirklich weit auf¬ zumachen. Aber die denken nicht daran, sondern in Brüssel macht man sich, wie wir versichern können, über derartige Phantasien deutscher Reisender lustig. Dort, nicht in Katanga, liegt die Entscheidung für die kongolesische Verkehrs¬ und Wirtschaftspolitik. Im letzten Herbst hat der Schreiber dieses Gelegenheit gehabt, in der Tägl. Rundschau einige Dokumente zu veröffentlichen, die be¬ wiesen, in welch raffinierter Weise an: Kongo durch Geheimerlasse und für uns harmlos aussehende Sonderbestimmungen die „Reformen" des Kolonialministers Renkin paralysiert und umgangen werden. Die Tendenz der belgischen Politik geht, wie uns ein den belgischen Kolonialfinanzkreisen sehr nahestehender Herr versichert hat. nach wie vor dahin, am Kongo unter sich zu bleiben. Nach wie vor haben einige große Gesellschaften, voran die Kassaigesellschaft. an der der belgische Staat stark beteiligt ist, am Kongo den maßgebenden Einfluß, lind den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/388>, abgerufen am 03.07.2024.