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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Wie es Herr Dernburg seinem Nachfolger überlassen hat, die Folgen
seiner Eisenbahnpolitik zu tragen, so wird der kommende Reichstag versuchen
müssen, die Folgen der Nachgiebigkeit des zu Ende gehenden nach Möglichkeit
wieder gutzumachen. Einstweilen hat der gegenwärtige Reichstag wenigstens
insoweit die Folgerungen gezogen, als er seine Zustimmung zu den Vorarbeiten
der Strecke Tabora--Udjidji erteilt hat. Erst jenseits Tabora beginnt der
eigentliche Wirkungsbereich der Zentralbahn, und die volle Wirkung der Bahn
kann erst eintreten, wenn diese den Tanganjikasee erreicht hat, der in seiner
langgestreckten Form geradezu einer zweiten Küstenlinie gleichkommt und der
Bahn mit der Zeit bedeutende Zufuhren sichert.

Man verstehe uns nicht falsch: auch wir werden Freude und Stolz
empfinden, wenn -- voraussichtlich als erste -- eine deutsche Überlandbahn
das große Binnenmeer erreicht hat, und wir unterschätzen keineswegs die große
moralische Wirkung dieser Leistung. Aber wir sind nach wie vor der seit Jahren
von uns und den meisten Sachkennern vertretenen Ansicht, daß es besser
gewesen wäre, zuerst die Linien zu bauen, deren wirtschaftliche Wirkung mit
ihrem Fortschreiten einigermaßen gleichen Schritt gehalten hätte. Die große
Zentralbahn wäre uns nicht davongelaufen und ihre Verwirklichung für uns
eine um so reinere Freude gewesen, je mehr uns die wirtschaftlichen Erfolge
rentabler Linien die Sorge um die Verzinsung der großen Anleihen abgenommen
hätten. Von der finanziellen Erstarkung der Kolonie hängt gerade jetzt, wo
wir einem noch unsicheren Reichstag entgegengehen, sehr viel ftir ihre Ent¬
wicklung ab. Es ist zu bedenken, daß der neue Reichstag vielleicht für den
weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes wenig Meinung haben wird, wenn durch
die Zentralbahn die Finanzen der Kolonie sich wieder verschlechtern.

Die beispiellosen Erfolge der Nordbahn, welche ihrem Hafenplatz Tanga in den
letzten Jahren eine Verdreifachung des Außenhandels gebracht haben, find namentlich
durch die europäische Siedelungsarbeit im Bereich dieser Bahn zustande gekommen,
während an der Zcntralbahn die von Dernburg in den glühendsten Farben
gemalte Mitarbeit der Schwarzen natürlich ausgeblieben ist. Dies ist ein Fingerzeig
dafür, woher die Kolonie ihr Heil zu erwarten hat: nicht von der selbständigen
Eingeborenenprodicktion, sondern hauptsächlich von der europäischen Besiedelung
"ut Plantagenwirtschaft. Und darum wird es notwendig sein, bei der weiteren
Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes die gefunden Hochländer südlich von der
Zentralbahn und am Nyassa nicht zu vergessen. Es wird leider unter den
geschilderten Umständen voraussichtlich lauge dauern, bis an einen großzügigen
Ausbau gedacht werden kaun, darauf scheint uns die Zurückhaltung hinzudeuten,
mit der Staatssekretär von Lindequist der Eisenbahnfrage gegeniibersteht.
Man hat ja nicht von ihm erwartet, daß er jetzt sofort mit einer großen
Eisenbahnvorlage hervortreten würde, aber er hätte wenigstens noch die kleine,
für die Besiedelung wichtige Strecke von: Kilimandjaro nach dem Meruberg
mit dem alten Reichstag zustande bringen können, schon nach dem Grundsatz,


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Wie es Herr Dernburg seinem Nachfolger überlassen hat, die Folgen
seiner Eisenbahnpolitik zu tragen, so wird der kommende Reichstag versuchen
müssen, die Folgen der Nachgiebigkeit des zu Ende gehenden nach Möglichkeit
wieder gutzumachen. Einstweilen hat der gegenwärtige Reichstag wenigstens
insoweit die Folgerungen gezogen, als er seine Zustimmung zu den Vorarbeiten
der Strecke Tabora—Udjidji erteilt hat. Erst jenseits Tabora beginnt der
eigentliche Wirkungsbereich der Zentralbahn, und die volle Wirkung der Bahn
kann erst eintreten, wenn diese den Tanganjikasee erreicht hat, der in seiner
langgestreckten Form geradezu einer zweiten Küstenlinie gleichkommt und der
Bahn mit der Zeit bedeutende Zufuhren sichert.

Man verstehe uns nicht falsch: auch wir werden Freude und Stolz
empfinden, wenn — voraussichtlich als erste — eine deutsche Überlandbahn
das große Binnenmeer erreicht hat, und wir unterschätzen keineswegs die große
moralische Wirkung dieser Leistung. Aber wir sind nach wie vor der seit Jahren
von uns und den meisten Sachkennern vertretenen Ansicht, daß es besser
gewesen wäre, zuerst die Linien zu bauen, deren wirtschaftliche Wirkung mit
ihrem Fortschreiten einigermaßen gleichen Schritt gehalten hätte. Die große
Zentralbahn wäre uns nicht davongelaufen und ihre Verwirklichung für uns
eine um so reinere Freude gewesen, je mehr uns die wirtschaftlichen Erfolge
rentabler Linien die Sorge um die Verzinsung der großen Anleihen abgenommen
hätten. Von der finanziellen Erstarkung der Kolonie hängt gerade jetzt, wo
wir einem noch unsicheren Reichstag entgegengehen, sehr viel ftir ihre Ent¬
wicklung ab. Es ist zu bedenken, daß der neue Reichstag vielleicht für den
weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes wenig Meinung haben wird, wenn durch
die Zentralbahn die Finanzen der Kolonie sich wieder verschlechtern.

Die beispiellosen Erfolge der Nordbahn, welche ihrem Hafenplatz Tanga in den
letzten Jahren eine Verdreifachung des Außenhandels gebracht haben, find namentlich
durch die europäische Siedelungsarbeit im Bereich dieser Bahn zustande gekommen,
während an der Zcntralbahn die von Dernburg in den glühendsten Farben
gemalte Mitarbeit der Schwarzen natürlich ausgeblieben ist. Dies ist ein Fingerzeig
dafür, woher die Kolonie ihr Heil zu erwarten hat: nicht von der selbständigen
Eingeborenenprodicktion, sondern hauptsächlich von der europäischen Besiedelung
»ut Plantagenwirtschaft. Und darum wird es notwendig sein, bei der weiteren
Ausgestaltung des Eisenbahnnetzes die gefunden Hochländer südlich von der
Zentralbahn und am Nyassa nicht zu vergessen. Es wird leider unter den
geschilderten Umständen voraussichtlich lauge dauern, bis an einen großzügigen
Ausbau gedacht werden kaun, darauf scheint uns die Zurückhaltung hinzudeuten,
mit der Staatssekretär von Lindequist der Eisenbahnfrage gegeniibersteht.
Man hat ja nicht von ihm erwartet, daß er jetzt sofort mit einer großen
Eisenbahnvorlage hervortreten würde, aber er hätte wenigstens noch die kleine,
für die Besiedelung wichtige Strecke von: Kilimandjaro nach dem Meruberg
mit dem alten Reichstag zustande bringen können, schon nach dem Grundsatz,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/387>, abgerufen am 01.07.2024.