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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Reichskonferenz

eine akademische Bedeutung zu. Neuseeland, dessen weiße Bevölkerung noch
nicht eine Million erreicht, ist diejenige autonome Kolonie, die noch am meisten
in dem kolonialen Charakter verharrt und am wenigsten in der Entwicklung zu
einer selbständigen Nation vorgeschritten ist. Das ist natürlich genug, denn der
größte Teil der neuseeländischen Politiker ist noch selbst aus dem Vereinigten
Königreich ausgewandert, während die Träger des spezifisch kanadischen und
australischen Nationalbewußtseins in der zweiten oder dritten Generation in den
Kolonien geboren sind.

Gleichwohl hat der neuseeländische Antrag ein besonderes Interesse erweckt.
Gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung der kolonialen Flotten hat man
sich in England immer wieder gefragt, welche Folgen das für die aus¬
wärtige Politik des Reichs haben könnte. Kürzlich hat auch im Unterhause
eine Debatte darüber stattgefunden, in welcher Weise eine einheitliche Reichs¬
politik unter einer gewissen Mitwirkung der Dominions erzielt werden könnte.
Ein unionistischer Abgeordneter hatte den Antrag gestellt, daß eine Erörterung
der gegenwärtigen internationalen Lage auf das Programm der Konferenz
gesetzt werden sollte. Die Debatte selbst leistete indes nicht, was sie versprach.
Tatsächlich haben derartige Erörterungen über die allgemeine politische Lage
auf allen Konferenzen stattgefunden, wenn auch meist hinter verschlossenen
Türen. Die Konferenz von 1907 ist ja bisher die erste und einzige gewesen,
von der stenographische Berichte veröffentlicht worden sind; und auf dieser Kon¬
ferenz sind z. B. die Verhältnisse auf den Hebriden, wo ein englisch-französisches
Krondominium besteht, behandelt worden. Es bedarf offenbar der näheren
Bestimmung, was man unter der "allgemeinen internationalen Lage" zu ver¬
stehen hat. Es darf als sicher gelten, daß, als auf der subsidiären Konferenz
von 1909 die Flottensrage zur Beratung kam, auch die damit zusammen¬
hängenden politischen Dinge besprochen worden sind. Im allgemeinen aber ist
das Interesse, das die Dominions etwa an der Konstellation der europäischen
Mächte oder an der Mittelmeerpolitik oder den Balkanfragen haben könnten,
Ziemlich gering. Auch liegen diese Dinge doch so sehr außerhalb des politischen
Gesichtskreises der kolonialen Regierungen, daß ihre Erörterung auf der Kon¬
ferenz keinen besonderen Wert haben könnte, zumal da die Konferenzen nur
alle vier Jahre stattfinden. Die Informationen, die die kolonialen Premier¬
minister auf den Konferenzen erhielten, müßten sehr schnell veralten; und nach
den Äußerungen zu schließen, die der eine oder andere Vertreter der Kolonien
über europäische Fragen in der Öffentlichkeit getan hat. ist ihre Kennens
dieser Dinge kaum so gründlich, daß eine einmalige, wenn auch gründliche
Information, die nur alle vier Jahre stattfände, kaum mehr Wert haben
würde als irgendein Ferienkurs, der gebildete Dilettanten nach der Universitäts¬
stadt führt.

Zugleich werden die Kolonialminister, die sich ihrer politischen Verantwortung
und ihrer konstitutionellen Prinzipien wohl bewußt sind, sich davor scheuen, daß


Die britische Reichskonferenz

eine akademische Bedeutung zu. Neuseeland, dessen weiße Bevölkerung noch
nicht eine Million erreicht, ist diejenige autonome Kolonie, die noch am meisten
in dem kolonialen Charakter verharrt und am wenigsten in der Entwicklung zu
einer selbständigen Nation vorgeschritten ist. Das ist natürlich genug, denn der
größte Teil der neuseeländischen Politiker ist noch selbst aus dem Vereinigten
Königreich ausgewandert, während die Träger des spezifisch kanadischen und
australischen Nationalbewußtseins in der zweiten oder dritten Generation in den
Kolonien geboren sind.

Gleichwohl hat der neuseeländische Antrag ein besonderes Interesse erweckt.
Gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung der kolonialen Flotten hat man
sich in England immer wieder gefragt, welche Folgen das für die aus¬
wärtige Politik des Reichs haben könnte. Kürzlich hat auch im Unterhause
eine Debatte darüber stattgefunden, in welcher Weise eine einheitliche Reichs¬
politik unter einer gewissen Mitwirkung der Dominions erzielt werden könnte.
Ein unionistischer Abgeordneter hatte den Antrag gestellt, daß eine Erörterung
der gegenwärtigen internationalen Lage auf das Programm der Konferenz
gesetzt werden sollte. Die Debatte selbst leistete indes nicht, was sie versprach.
Tatsächlich haben derartige Erörterungen über die allgemeine politische Lage
auf allen Konferenzen stattgefunden, wenn auch meist hinter verschlossenen
Türen. Die Konferenz von 1907 ist ja bisher die erste und einzige gewesen,
von der stenographische Berichte veröffentlicht worden sind; und auf dieser Kon¬
ferenz sind z. B. die Verhältnisse auf den Hebriden, wo ein englisch-französisches
Krondominium besteht, behandelt worden. Es bedarf offenbar der näheren
Bestimmung, was man unter der „allgemeinen internationalen Lage" zu ver¬
stehen hat. Es darf als sicher gelten, daß, als auf der subsidiären Konferenz
von 1909 die Flottensrage zur Beratung kam, auch die damit zusammen¬
hängenden politischen Dinge besprochen worden sind. Im allgemeinen aber ist
das Interesse, das die Dominions etwa an der Konstellation der europäischen
Mächte oder an der Mittelmeerpolitik oder den Balkanfragen haben könnten,
Ziemlich gering. Auch liegen diese Dinge doch so sehr außerhalb des politischen
Gesichtskreises der kolonialen Regierungen, daß ihre Erörterung auf der Kon¬
ferenz keinen besonderen Wert haben könnte, zumal da die Konferenzen nur
alle vier Jahre stattfinden. Die Informationen, die die kolonialen Premier¬
minister auf den Konferenzen erhielten, müßten sehr schnell veralten; und nach
den Äußerungen zu schließen, die der eine oder andere Vertreter der Kolonien
über europäische Fragen in der Öffentlichkeit getan hat. ist ihre Kennens
dieser Dinge kaum so gründlich, daß eine einmalige, wenn auch gründliche
Information, die nur alle vier Jahre stattfände, kaum mehr Wert haben
würde als irgendein Ferienkurs, der gebildete Dilettanten nach der Universitäts¬
stadt führt.

Zugleich werden die Kolonialminister, die sich ihrer politischen Verantwortung
und ihrer konstitutionellen Prinzipien wohl bewußt sind, sich davor scheuen, daß


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[0367] Die britische Reichskonferenz eine akademische Bedeutung zu. Neuseeland, dessen weiße Bevölkerung noch nicht eine Million erreicht, ist diejenige autonome Kolonie, die noch am meisten in dem kolonialen Charakter verharrt und am wenigsten in der Entwicklung zu einer selbständigen Nation vorgeschritten ist. Das ist natürlich genug, denn der größte Teil der neuseeländischen Politiker ist noch selbst aus dem Vereinigten Königreich ausgewandert, während die Träger des spezifisch kanadischen und australischen Nationalbewußtseins in der zweiten oder dritten Generation in den Kolonien geboren sind. Gleichwohl hat der neuseeländische Antrag ein besonderes Interesse erweckt. Gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung der kolonialen Flotten hat man sich in England immer wieder gefragt, welche Folgen das für die aus¬ wärtige Politik des Reichs haben könnte. Kürzlich hat auch im Unterhause eine Debatte darüber stattgefunden, in welcher Weise eine einheitliche Reichs¬ politik unter einer gewissen Mitwirkung der Dominions erzielt werden könnte. Ein unionistischer Abgeordneter hatte den Antrag gestellt, daß eine Erörterung der gegenwärtigen internationalen Lage auf das Programm der Konferenz gesetzt werden sollte. Die Debatte selbst leistete indes nicht, was sie versprach. Tatsächlich haben derartige Erörterungen über die allgemeine politische Lage auf allen Konferenzen stattgefunden, wenn auch meist hinter verschlossenen Türen. Die Konferenz von 1907 ist ja bisher die erste und einzige gewesen, von der stenographische Berichte veröffentlicht worden sind; und auf dieser Kon¬ ferenz sind z. B. die Verhältnisse auf den Hebriden, wo ein englisch-französisches Krondominium besteht, behandelt worden. Es bedarf offenbar der näheren Bestimmung, was man unter der „allgemeinen internationalen Lage" zu ver¬ stehen hat. Es darf als sicher gelten, daß, als auf der subsidiären Konferenz von 1909 die Flottensrage zur Beratung kam, auch die damit zusammen¬ hängenden politischen Dinge besprochen worden sind. Im allgemeinen aber ist das Interesse, das die Dominions etwa an der Konstellation der europäischen Mächte oder an der Mittelmeerpolitik oder den Balkanfragen haben könnten, Ziemlich gering. Auch liegen diese Dinge doch so sehr außerhalb des politischen Gesichtskreises der kolonialen Regierungen, daß ihre Erörterung auf der Kon¬ ferenz keinen besonderen Wert haben könnte, zumal da die Konferenzen nur alle vier Jahre stattfinden. Die Informationen, die die kolonialen Premier¬ minister auf den Konferenzen erhielten, müßten sehr schnell veralten; und nach den Äußerungen zu schließen, die der eine oder andere Vertreter der Kolonien über europäische Fragen in der Öffentlichkeit getan hat. ist ihre Kennens dieser Dinge kaum so gründlich, daß eine einmalige, wenn auch gründliche Information, die nur alle vier Jahre stattfände, kaum mehr Wert haben würde als irgendein Ferienkurs, der gebildete Dilettanten nach der Universitäts¬ stadt führt. Zugleich werden die Kolonialminister, die sich ihrer politischen Verantwortung und ihrer konstitutionellen Prinzipien wohl bewußt sind, sich davor scheuen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/367>, abgerufen am 29.06.2024.