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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Reichskonferenz

aus ihrer Teilnahme an der Erörterung auswärtiger Fragen der Schluß gezogen
werden könnte, daß sie sich damit auf eine Unterstützung der auswärtigen Politik
Englands festlegten. Ihre konstitutionelle Politik geht vielmehr darauf hinaus,
keine Verantwortung zu übernehmen, wenn sich die Entscheidungen ihrer eigenen
.Kontrolle entziehen. Wenn englische Imperialisten zumal "monistischer Observanz
von einer "Partnerschaft" der Dominions an der auswärtigen Reichspolitik
sprechen, lassen sie es meist im unklaren, auf welcher verfassungsrechtlichen
Grundlage diese Partnerschaft beruhen solle. Eine solche Partnerschaft bedeutete
für die kolonialen Regierungen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, und
wie sollen diese Rechte und Pflichten definiert werden?

Gegenwärtig hat man, wenn man in diesen: Zusammenhang von der
allgemeinen Lage spricht, weniger die europäischen als die ostasiatischen Verhält¬
nisse im Auge. Hiermit wird die Notwendigkeit einer gemeinsamen und einheit¬
lichen auswärtigen Reichspolitik ganz besonders begründet. Es handelt sich um
das Verhältnis zu Japan. Der Bündnisvertrag zwischen England und Japan
kann im Jahre 1914 gekündigt werden. Es liegen vor der Hand keine sicheren
Anzeichen vor, daß auf der einen oder der anderen Seite die Absicht dazu
besteht, wenn sich auch die frühere Begeisterung der Engländer für Japan, die
während des ostasiatischen Krieges ihren Höhepunkt erreicht hatte, stark abgekühlt
hat. Ferner haben das englisch-russische Abkommen und die Annäherung, die
sich zwischen Rußland und Japan vollzogen hat, die politischen Verhältnisse in
Asien wesentlich verändert, so daß man sagen könnte, daß der eigentliche
Daseinsgrund des Bündnisses nicht mehr vorhanden sei. Anderseits folgt daraus
aber noch keineswegs, daß man bei Japan oder England eine Neigung zur
Nichterneuerung des Vertrags annehmen dürfte. Nun aber kommen die
Schwierigkeiten, die aus den Beziehungen der Dominions mit Japan entstehen.
Sowohl Kanada als auch Australien und Neuseeland widersetzen sich der
japanischen Einwanderung. Bisher sind diese Schwierigkeiten dank dem Ent¬
gegenkommen Japans behoben worden. Werden sich diese Schwierigkeiten aber
auch weiterhin beseitigen lassen? Wird nicht Japan auf dem Grundsatz der
Gleichberechtigung der Einwanderung bestehen?

Daraus wird gefolgert, daß die bisherige Methode, wonach das Mutter¬
land und die Dominions jedes für sich seine Beziehung mit Japan regelten,
nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, und daß damit der praktische Fall
gegeben sei, wo eine politische Reorganisation des Reichs notwendig in Angriff
genommen werden müßte. So plausibel diese Beweisführung auf den ersten
Blick erscheint, so hat sie doch eine empfindliche Lücke. Die Politik Japans ist
nämlich völlig mißverstanden worden. Die japanische Negierung wünscht gar
nicht, die japanische Auswanderung nach Kanada, Australien oder auch nach
den Vereinigten Staaten zu vermehren; sie sucht sie vielmehr nach Korea und
der Südmandschurei zu lenken. Damit fällt die ganze Schlußfolgerung dieser
Imperialisten zu Boden, und man kann leicht vorhersehen, daß die ostasiatischen


Die britische Reichskonferenz

aus ihrer Teilnahme an der Erörterung auswärtiger Fragen der Schluß gezogen
werden könnte, daß sie sich damit auf eine Unterstützung der auswärtigen Politik
Englands festlegten. Ihre konstitutionelle Politik geht vielmehr darauf hinaus,
keine Verantwortung zu übernehmen, wenn sich die Entscheidungen ihrer eigenen
.Kontrolle entziehen. Wenn englische Imperialisten zumal »monistischer Observanz
von einer „Partnerschaft" der Dominions an der auswärtigen Reichspolitik
sprechen, lassen sie es meist im unklaren, auf welcher verfassungsrechtlichen
Grundlage diese Partnerschaft beruhen solle. Eine solche Partnerschaft bedeutete
für die kolonialen Regierungen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, und
wie sollen diese Rechte und Pflichten definiert werden?

Gegenwärtig hat man, wenn man in diesen: Zusammenhang von der
allgemeinen Lage spricht, weniger die europäischen als die ostasiatischen Verhält¬
nisse im Auge. Hiermit wird die Notwendigkeit einer gemeinsamen und einheit¬
lichen auswärtigen Reichspolitik ganz besonders begründet. Es handelt sich um
das Verhältnis zu Japan. Der Bündnisvertrag zwischen England und Japan
kann im Jahre 1914 gekündigt werden. Es liegen vor der Hand keine sicheren
Anzeichen vor, daß auf der einen oder der anderen Seite die Absicht dazu
besteht, wenn sich auch die frühere Begeisterung der Engländer für Japan, die
während des ostasiatischen Krieges ihren Höhepunkt erreicht hatte, stark abgekühlt
hat. Ferner haben das englisch-russische Abkommen und die Annäherung, die
sich zwischen Rußland und Japan vollzogen hat, die politischen Verhältnisse in
Asien wesentlich verändert, so daß man sagen könnte, daß der eigentliche
Daseinsgrund des Bündnisses nicht mehr vorhanden sei. Anderseits folgt daraus
aber noch keineswegs, daß man bei Japan oder England eine Neigung zur
Nichterneuerung des Vertrags annehmen dürfte. Nun aber kommen die
Schwierigkeiten, die aus den Beziehungen der Dominions mit Japan entstehen.
Sowohl Kanada als auch Australien und Neuseeland widersetzen sich der
japanischen Einwanderung. Bisher sind diese Schwierigkeiten dank dem Ent¬
gegenkommen Japans behoben worden. Werden sich diese Schwierigkeiten aber
auch weiterhin beseitigen lassen? Wird nicht Japan auf dem Grundsatz der
Gleichberechtigung der Einwanderung bestehen?

Daraus wird gefolgert, daß die bisherige Methode, wonach das Mutter¬
land und die Dominions jedes für sich seine Beziehung mit Japan regelten,
nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, und daß damit der praktische Fall
gegeben sei, wo eine politische Reorganisation des Reichs notwendig in Angriff
genommen werden müßte. So plausibel diese Beweisführung auf den ersten
Blick erscheint, so hat sie doch eine empfindliche Lücke. Die Politik Japans ist
nämlich völlig mißverstanden worden. Die japanische Negierung wünscht gar
nicht, die japanische Auswanderung nach Kanada, Australien oder auch nach
den Vereinigten Staaten zu vermehren; sie sucht sie vielmehr nach Korea und
der Südmandschurei zu lenken. Damit fällt die ganze Schlußfolgerung dieser
Imperialisten zu Boden, und man kann leicht vorhersehen, daß die ostasiatischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/368>, abgerufen am 01.07.2024.