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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Wiederkunft Naundorffs

viel Zeit, Mühe und Geld daran gewendet hat, um an den deutschen Naundorff-
Stätten allen erreichbaren Spuren nachzugehen, und der im kritischen Moment
unmittelbar vor der Entscheidung des französischen Senats in: Journal des D6half
einen Artikel veröffentlicht hat, der die wahre Abkunft Naundorffs zu ent¬
schleiern sucht*).

Indem er die Familienverhältnisse Naundorffs betrachtet und seine Aus¬
sagen darüber und über seine Ankunft in Berlin zugrunde legt, findet er in
unscheinbaren Kirchenbuchnotizen den Weg zu seinen Aufstellungen. Wie der
Prätendent in seinen Memoiren berichtet, verdankt er auf seiner Flucht den
ungehinderten Eintritt in Berlin 1810 einem Passe, den ihm ein hilfreicher
Berliner Kaufmann Naundorff leiht, der selbst auch ohne Ausweis durch die
Tore kommen konnte. Auf der Polizei, wo er sich vorschriftsmäßig vorstellen
mußte, entdeckte man, daß die Personenbeschreibung im Paß mit seinem Aus¬
sehen nicht übereinstimmte, gab sich aber zufrieden, als er angab, er sei der
Tuchmacher Karl Wilhelm Naundorff aus Weimar. Allerdings beruht diese
Geschichte nur auf Naundorffs späterer Angabe, ist also keineswegs ohne weiteres
glaubwürdig; da aber nach Manteyers Feststellungen ein Kaufmann Naundorff
sich in Berlin 1810 nachweisen läßt und damals wirklich auf der Polizei Ver¬
handlungen über Naundorff stattgefunden haben, auf die sogar noch 1835 die
Ministerialakten hinwiesen, mag die Erzählung im ganzen der Wirklichkeit ent¬
sprechen.

Vierzehn Tage nach Naundorffs Ankunft in Berlin kam eine Frau, Madame
Sonnfeld, zu ihm, die seitdem mit ihm lebte, später auch mit ihn: nach Spandau
zog und dort 1818 starb. Diese Frau, die wahrscheinlich mit Naundorff gar
nicht verheiratet war, muß Mcmteyer den Leitfaden liefern, um die Identität
des abenteuernden Uhrmachers aufzudecken. Da dieser in seinen Memoiren von
1834 erzählt, die Sonnfeld geborene Haffert sei ursprünglich die Frau eines
Uhrmachers und Soldaten aus Rottweil am Neckar gewesen, dann von diesem
verlassen worden und habe hierauf mit Naundorff ein Herzensverhältnis unter¬
halten, anderseits die Kirchenbücher von Halle ergeben, daß Christiane Hasser:
in Halle 1775 einundzwanzigjährig den Soldaten Sonnfeld aus Rottweil heiratet,
dann von ihm verlassen wird, in den folgenden Jahren zwei uneheliche Kinder
mit dem Soldaten Karl Werg zeugt, später aber 1800 den Soldaten Müller von
demselben Regiment heiratet, so schließt Manteyer, Naundorff sei jener Soldat
Karl Werg, dem sich Christiane Haffert ergab, nachdem sie Sonnfeld verlassen
hatte. Die Angaben Naundorffs in seinen Memoiren und im Gefängnisse 1825
stimmen aber nicht völlig mit dem, was der französische Forscher aus ihnen
herausliest. Da Christiane aus Halle stammt und die Berliner Polizei 1825



") Journal des DöbatS, 20. März 1011. - Andere Aufsätze desselben Verfassers
"schienen ebenda 3. Mai, 9. und 11. Dezember 1010, 24. und 80. Januar, 20. Februar,
2., 8., 29. und 3V, März 1911. Unter ihnen ist besonders wichtig der bon 20. März 1911,
der Abdrücke der Handschrift Naundorffs aus seiner deutschen und französischen Zeit enthält.
Die Wiederkunft Naundorffs

viel Zeit, Mühe und Geld daran gewendet hat, um an den deutschen Naundorff-
Stätten allen erreichbaren Spuren nachzugehen, und der im kritischen Moment
unmittelbar vor der Entscheidung des französischen Senats in: Journal des D6half
einen Artikel veröffentlicht hat, der die wahre Abkunft Naundorffs zu ent¬
schleiern sucht*).

Indem er die Familienverhältnisse Naundorffs betrachtet und seine Aus¬
sagen darüber und über seine Ankunft in Berlin zugrunde legt, findet er in
unscheinbaren Kirchenbuchnotizen den Weg zu seinen Aufstellungen. Wie der
Prätendent in seinen Memoiren berichtet, verdankt er auf seiner Flucht den
ungehinderten Eintritt in Berlin 1810 einem Passe, den ihm ein hilfreicher
Berliner Kaufmann Naundorff leiht, der selbst auch ohne Ausweis durch die
Tore kommen konnte. Auf der Polizei, wo er sich vorschriftsmäßig vorstellen
mußte, entdeckte man, daß die Personenbeschreibung im Paß mit seinem Aus¬
sehen nicht übereinstimmte, gab sich aber zufrieden, als er angab, er sei der
Tuchmacher Karl Wilhelm Naundorff aus Weimar. Allerdings beruht diese
Geschichte nur auf Naundorffs späterer Angabe, ist also keineswegs ohne weiteres
glaubwürdig; da aber nach Manteyers Feststellungen ein Kaufmann Naundorff
sich in Berlin 1810 nachweisen läßt und damals wirklich auf der Polizei Ver¬
handlungen über Naundorff stattgefunden haben, auf die sogar noch 1835 die
Ministerialakten hinwiesen, mag die Erzählung im ganzen der Wirklichkeit ent¬
sprechen.

Vierzehn Tage nach Naundorffs Ankunft in Berlin kam eine Frau, Madame
Sonnfeld, zu ihm, die seitdem mit ihm lebte, später auch mit ihn: nach Spandau
zog und dort 1818 starb. Diese Frau, die wahrscheinlich mit Naundorff gar
nicht verheiratet war, muß Mcmteyer den Leitfaden liefern, um die Identität
des abenteuernden Uhrmachers aufzudecken. Da dieser in seinen Memoiren von
1834 erzählt, die Sonnfeld geborene Haffert sei ursprünglich die Frau eines
Uhrmachers und Soldaten aus Rottweil am Neckar gewesen, dann von diesem
verlassen worden und habe hierauf mit Naundorff ein Herzensverhältnis unter¬
halten, anderseits die Kirchenbücher von Halle ergeben, daß Christiane Hasser:
in Halle 1775 einundzwanzigjährig den Soldaten Sonnfeld aus Rottweil heiratet,
dann von ihm verlassen wird, in den folgenden Jahren zwei uneheliche Kinder
mit dem Soldaten Karl Werg zeugt, später aber 1800 den Soldaten Müller von
demselben Regiment heiratet, so schließt Manteyer, Naundorff sei jener Soldat
Karl Werg, dem sich Christiane Haffert ergab, nachdem sie Sonnfeld verlassen
hatte. Die Angaben Naundorffs in seinen Memoiren und im Gefängnisse 1825
stimmen aber nicht völlig mit dem, was der französische Forscher aus ihnen
herausliest. Da Christiane aus Halle stammt und die Berliner Polizei 1825



") Journal des DöbatS, 20. März 1011. - Andere Aufsätze desselben Verfassers
«schienen ebenda 3. Mai, 9. und 11. Dezember 1010, 24. und 80. Januar, 20. Februar,
2., 8., 29. und 3V, März 1911. Unter ihnen ist besonders wichtig der bon 20. März 1911,
der Abdrücke der Handschrift Naundorffs aus seiner deutschen und französischen Zeit enthält.
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[0361] Die Wiederkunft Naundorffs viel Zeit, Mühe und Geld daran gewendet hat, um an den deutschen Naundorff- Stätten allen erreichbaren Spuren nachzugehen, und der im kritischen Moment unmittelbar vor der Entscheidung des französischen Senats in: Journal des D6half einen Artikel veröffentlicht hat, der die wahre Abkunft Naundorffs zu ent¬ schleiern sucht*). Indem er die Familienverhältnisse Naundorffs betrachtet und seine Aus¬ sagen darüber und über seine Ankunft in Berlin zugrunde legt, findet er in unscheinbaren Kirchenbuchnotizen den Weg zu seinen Aufstellungen. Wie der Prätendent in seinen Memoiren berichtet, verdankt er auf seiner Flucht den ungehinderten Eintritt in Berlin 1810 einem Passe, den ihm ein hilfreicher Berliner Kaufmann Naundorff leiht, der selbst auch ohne Ausweis durch die Tore kommen konnte. Auf der Polizei, wo er sich vorschriftsmäßig vorstellen mußte, entdeckte man, daß die Personenbeschreibung im Paß mit seinem Aus¬ sehen nicht übereinstimmte, gab sich aber zufrieden, als er angab, er sei der Tuchmacher Karl Wilhelm Naundorff aus Weimar. Allerdings beruht diese Geschichte nur auf Naundorffs späterer Angabe, ist also keineswegs ohne weiteres glaubwürdig; da aber nach Manteyers Feststellungen ein Kaufmann Naundorff sich in Berlin 1810 nachweisen läßt und damals wirklich auf der Polizei Ver¬ handlungen über Naundorff stattgefunden haben, auf die sogar noch 1835 die Ministerialakten hinwiesen, mag die Erzählung im ganzen der Wirklichkeit ent¬ sprechen. Vierzehn Tage nach Naundorffs Ankunft in Berlin kam eine Frau, Madame Sonnfeld, zu ihm, die seitdem mit ihm lebte, später auch mit ihn: nach Spandau zog und dort 1818 starb. Diese Frau, die wahrscheinlich mit Naundorff gar nicht verheiratet war, muß Mcmteyer den Leitfaden liefern, um die Identität des abenteuernden Uhrmachers aufzudecken. Da dieser in seinen Memoiren von 1834 erzählt, die Sonnfeld geborene Haffert sei ursprünglich die Frau eines Uhrmachers und Soldaten aus Rottweil am Neckar gewesen, dann von diesem verlassen worden und habe hierauf mit Naundorff ein Herzensverhältnis unter¬ halten, anderseits die Kirchenbücher von Halle ergeben, daß Christiane Hasser: in Halle 1775 einundzwanzigjährig den Soldaten Sonnfeld aus Rottweil heiratet, dann von ihm verlassen wird, in den folgenden Jahren zwei uneheliche Kinder mit dem Soldaten Karl Werg zeugt, später aber 1800 den Soldaten Müller von demselben Regiment heiratet, so schließt Manteyer, Naundorff sei jener Soldat Karl Werg, dem sich Christiane Haffert ergab, nachdem sie Sonnfeld verlassen hatte. Die Angaben Naundorffs in seinen Memoiren und im Gefängnisse 1825 stimmen aber nicht völlig mit dem, was der französische Forscher aus ihnen herausliest. Da Christiane aus Halle stammt und die Berliner Polizei 1825 ") Journal des DöbatS, 20. März 1011. - Andere Aufsätze desselben Verfassers «schienen ebenda 3. Mai, 9. und 11. Dezember 1010, 24. und 80. Januar, 20. Februar, 2., 8., 29. und 3V, März 1911. Unter ihnen ist besonders wichtig der bon 20. März 1911, der Abdrücke der Handschrift Naundorffs aus seiner deutschen und französischen Zeit enthält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/361>, abgerufen am 29.06.2024.