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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Wiederkunft Nmmdorffs

Aus einer eingehenden Betrachtung des Lebens des Prätendenten in Preußen,
Frankreich, England und Holland aber ergibt sich schließlich, daß man diesem
unruhigen und schillernden Geiste, der in seiner Art etwas Geniales hat, nicht
gerecht wird, wenn man ihn lediglich als einen raffinierter Betrüger ansieht.
Daß er ein solcher ursprünglich war, ist ja keinen: Zweifel unterworfen. Aber
eine große Reihe von sich wiederholenden Vorgängen und Lebensäußerungen
des Uhrmachers zeigen die deutlichen Kennzeichen geistiger Abnormität, von Ver¬
folgungswahn, Querulantenwahn, Größenwahn, religiöser Verrücktheit und
Cäsarenwahn. Und damit wird,man dem schließlich einförmig wirkenden Streit,
ob echt und unecht, etwas entrückt, und das psychologisch-psychiatrische Interesse
wird wach, das sich an diesem Problem überaus fruchtbringend betätigen kann.
Es wäre sehr wichtig, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen über
diese Frage zu vernehmen.

Während meine Schrift in den eben erwähnten letzten Ausführungen sich
bemühte, über den Standpunkt einer Streitschrift hinauszukommen und rein
wissenschaftliche Fragen anzuregen, entbrannte in Paris im Anfang des Jahres
der Kampf um das Rätsel Naundorff von neuem in hellen Flammen und
erregte auch rein politische Kreise. Schien doch eine Zeitlang die Gefahr nahe,
daß der französische Senat dem Uhrmacher von Krossen zu später Anerkennung
verhelfe": würde. Das hätte nach der Meinung vieler ernster Franzosen der
Welt ein zugleich lächerliches und beschämendes Schauspiel gegeben, und so
traten in der Pariser Presse den Verfechtern der Nanndorffpartci, die den von:
Senator Boissy d'Anglas unterstützten Antrag der Naundorfferben auf Zuerkennung
des französischen Heimatsrcchts empfahlen, angesehene Vertreter der Wissenschaft
gegenüber, und diese literarische Bewegung ist nicht ohne Frucht für die Lösung
des Problems gewesen. Boissy d'Anglas begleitete den Bericht der Senats¬
kommission mit einer gedruckten Denkschrift (Rapport an sünat), von der man
erwarten dürfte, daß die Nanndorffisten darin ihre besten Waffen glänzen lassen
würden. Aber der Inhalt ist recht dürftig und vielfach geradezu naiv, so wenn
Boissy d'Anglas als ernsthaften Beweisgrund anführt, daß Naundorff in Eng¬
land seine Kinder auf den Namen Bourbon hat taufen lassen. Auch die Partei¬
lichkeit, mit der die Senatskommission den zwei bekanntesten Verfechtern der
Nanndorffansprüche Foulon de Vaulx (Henri Provins) und Otto Friedrichs
breitesten Raum der Beweisführung gewährte, während man dem Gegner Ernest
Daudet in der Kommission einen solchen Empfang bereitete, als wenn er für
alles Unglück des Dauphins persönlich verantwortlich wäre, erregte die Geister
und rief lebhafte Erörterungen hervor. Besonders eingehend und beweiskräftig
sind die Artikel Lenotres (Gosselin) im Temps"). der den Rapport Boissys einer
vernichtenden Kritik unterzieht. Naturgemäß bietet er sür die Zeit des Auf¬
tretens Naundorffs in Frankreich uns Deutschen manches Neue. Er prüft die



") I.a (ZlKZZtwn I^aus XVII clevsnt le Sönat. Tcmps 16.. 22. und 28. März 1911.
Die Wiederkunft Nmmdorffs

Aus einer eingehenden Betrachtung des Lebens des Prätendenten in Preußen,
Frankreich, England und Holland aber ergibt sich schließlich, daß man diesem
unruhigen und schillernden Geiste, der in seiner Art etwas Geniales hat, nicht
gerecht wird, wenn man ihn lediglich als einen raffinierter Betrüger ansieht.
Daß er ein solcher ursprünglich war, ist ja keinen: Zweifel unterworfen. Aber
eine große Reihe von sich wiederholenden Vorgängen und Lebensäußerungen
des Uhrmachers zeigen die deutlichen Kennzeichen geistiger Abnormität, von Ver¬
folgungswahn, Querulantenwahn, Größenwahn, religiöser Verrücktheit und
Cäsarenwahn. Und damit wird,man dem schließlich einförmig wirkenden Streit,
ob echt und unecht, etwas entrückt, und das psychologisch-psychiatrische Interesse
wird wach, das sich an diesem Problem überaus fruchtbringend betätigen kann.
Es wäre sehr wichtig, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen über
diese Frage zu vernehmen.

Während meine Schrift in den eben erwähnten letzten Ausführungen sich
bemühte, über den Standpunkt einer Streitschrift hinauszukommen und rein
wissenschaftliche Fragen anzuregen, entbrannte in Paris im Anfang des Jahres
der Kampf um das Rätsel Naundorff von neuem in hellen Flammen und
erregte auch rein politische Kreise. Schien doch eine Zeitlang die Gefahr nahe,
daß der französische Senat dem Uhrmacher von Krossen zu später Anerkennung
verhelfe«: würde. Das hätte nach der Meinung vieler ernster Franzosen der
Welt ein zugleich lächerliches und beschämendes Schauspiel gegeben, und so
traten in der Pariser Presse den Verfechtern der Nanndorffpartci, die den von:
Senator Boissy d'Anglas unterstützten Antrag der Naundorfferben auf Zuerkennung
des französischen Heimatsrcchts empfahlen, angesehene Vertreter der Wissenschaft
gegenüber, und diese literarische Bewegung ist nicht ohne Frucht für die Lösung
des Problems gewesen. Boissy d'Anglas begleitete den Bericht der Senats¬
kommission mit einer gedruckten Denkschrift (Rapport an sünat), von der man
erwarten dürfte, daß die Nanndorffisten darin ihre besten Waffen glänzen lassen
würden. Aber der Inhalt ist recht dürftig und vielfach geradezu naiv, so wenn
Boissy d'Anglas als ernsthaften Beweisgrund anführt, daß Naundorff in Eng¬
land seine Kinder auf den Namen Bourbon hat taufen lassen. Auch die Partei¬
lichkeit, mit der die Senatskommission den zwei bekanntesten Verfechtern der
Nanndorffansprüche Foulon de Vaulx (Henri Provins) und Otto Friedrichs
breitesten Raum der Beweisführung gewährte, während man dem Gegner Ernest
Daudet in der Kommission einen solchen Empfang bereitete, als wenn er für
alles Unglück des Dauphins persönlich verantwortlich wäre, erregte die Geister
und rief lebhafte Erörterungen hervor. Besonders eingehend und beweiskräftig
sind die Artikel Lenotres (Gosselin) im Temps"). der den Rapport Boissys einer
vernichtenden Kritik unterzieht. Naturgemäß bietet er sür die Zeit des Auf¬
tretens Naundorffs in Frankreich uns Deutschen manches Neue. Er prüft die



") I.a (ZlKZZtwn I^aus XVII clevsnt le Sönat. Tcmps 16.. 22. und 28. März 1911.
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[0359] Die Wiederkunft Nmmdorffs Aus einer eingehenden Betrachtung des Lebens des Prätendenten in Preußen, Frankreich, England und Holland aber ergibt sich schließlich, daß man diesem unruhigen und schillernden Geiste, der in seiner Art etwas Geniales hat, nicht gerecht wird, wenn man ihn lediglich als einen raffinierter Betrüger ansieht. Daß er ein solcher ursprünglich war, ist ja keinen: Zweifel unterworfen. Aber eine große Reihe von sich wiederholenden Vorgängen und Lebensäußerungen des Uhrmachers zeigen die deutlichen Kennzeichen geistiger Abnormität, von Ver¬ folgungswahn, Querulantenwahn, Größenwahn, religiöser Verrücktheit und Cäsarenwahn. Und damit wird,man dem schließlich einförmig wirkenden Streit, ob echt und unecht, etwas entrückt, und das psychologisch-psychiatrische Interesse wird wach, das sich an diesem Problem überaus fruchtbringend betätigen kann. Es wäre sehr wichtig, das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen über diese Frage zu vernehmen. Während meine Schrift in den eben erwähnten letzten Ausführungen sich bemühte, über den Standpunkt einer Streitschrift hinauszukommen und rein wissenschaftliche Fragen anzuregen, entbrannte in Paris im Anfang des Jahres der Kampf um das Rätsel Naundorff von neuem in hellen Flammen und erregte auch rein politische Kreise. Schien doch eine Zeitlang die Gefahr nahe, daß der französische Senat dem Uhrmacher von Krossen zu später Anerkennung verhelfe«: würde. Das hätte nach der Meinung vieler ernster Franzosen der Welt ein zugleich lächerliches und beschämendes Schauspiel gegeben, und so traten in der Pariser Presse den Verfechtern der Nanndorffpartci, die den von: Senator Boissy d'Anglas unterstützten Antrag der Naundorfferben auf Zuerkennung des französischen Heimatsrcchts empfahlen, angesehene Vertreter der Wissenschaft gegenüber, und diese literarische Bewegung ist nicht ohne Frucht für die Lösung des Problems gewesen. Boissy d'Anglas begleitete den Bericht der Senats¬ kommission mit einer gedruckten Denkschrift (Rapport an sünat), von der man erwarten dürfte, daß die Nanndorffisten darin ihre besten Waffen glänzen lassen würden. Aber der Inhalt ist recht dürftig und vielfach geradezu naiv, so wenn Boissy d'Anglas als ernsthaften Beweisgrund anführt, daß Naundorff in Eng¬ land seine Kinder auf den Namen Bourbon hat taufen lassen. Auch die Partei¬ lichkeit, mit der die Senatskommission den zwei bekanntesten Verfechtern der Nanndorffansprüche Foulon de Vaulx (Henri Provins) und Otto Friedrichs breitesten Raum der Beweisführung gewährte, während man dem Gegner Ernest Daudet in der Kommission einen solchen Empfang bereitete, als wenn er für alles Unglück des Dauphins persönlich verantwortlich wäre, erregte die Geister und rief lebhafte Erörterungen hervor. Besonders eingehend und beweiskräftig sind die Artikel Lenotres (Gosselin) im Temps"). der den Rapport Boissys einer vernichtenden Kritik unterzieht. Naturgemäß bietet er sür die Zeit des Auf¬ tretens Naundorffs in Frankreich uns Deutschen manches Neue. Er prüft die ") I.a (ZlKZZtwn I^aus XVII clevsnt le Sönat. Tcmps 16.. 22. und 28. März 1911.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/359>, abgerufen am 01.10.2024.