Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Die Wiederkunft Naundorffs Handensein zur Falschmünzerei geeigneter Werkzeuge im Besitze deS Angeschuldigten Die Wiederkunft Naundorffs Handensein zur Falschmünzerei geeigneter Werkzeuge im Besitze deS Angeschuldigten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318641"/> <fw type="header" place="top"> Die Wiederkunft Naundorffs</fw><lb/> <p xml:id="ID_1599" prev="#ID_1598"> Handensein zur Falschmünzerei geeigneter Werkzeuge im Besitze deS Angeschuldigten<lb/> wurde nachgewiesen, sowie daß er oft in einem verschlossenen Raume gearbeitet<lb/> hatte. Hierzu kam nun das Austreten Naundorffs im Gefängnisse. Er verriet<lb/> eine überraschende Kenntnis der Gannersprache, steckte seinen Mitangeklagten<lb/> und anderen Gefangenen sehr geschickt heimlich Zettel zu, durchsägte den Boden<lb/> seiner Zelle, anfangs wohl um zu entfliehen; dann aber enthüllte er seinen<lb/> verblüfften Richtern diesen Umstand, der Boden sei von einem anderen Insassen<lb/> früher durchsägt worden; er hätte entfliehen können, habe es aber nicht tun<lb/> wollen. Nicht dadurch allem wollte er sie günstig stimmen, fondern auch, indem<lb/> er ihnen seine Beihilfe bei der Aufspürung eines Geheimbundes von Branden¬<lb/> burger Verbrechern versprach. Während dieses Prozesses ist nun Naundorff<lb/> auch zuerst mit der Behauptung seiner Herkunft aus französischem königlichen<lb/> Geblüt hervorgetreten, anfangs zaghaft und mit ganz allgemeinen Angaben,<lb/> die seinen späteren Aussagen widersprechen. Er kam zu diesen Bekundungen,<lb/> als er sich bei den Fragen über sein Vorleben immer wieder in Widersprüche<lb/> verwickelte und durch Nachforschungen an Ort und Stelle in die Enge getrieben<lb/> wurde; da behauptete er schließlich seiue Verwandtschaft mit dem bourbonischen<lb/> Königshause und erzählte, er habe mit seinein jetzt verstorbenen Vater jahrelang<lb/> in der Verbannung gelebt. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß er 1825<lb/> noch nicht daran dachte, sich für den Sohn Ludwigs des Sechzehnten aus¬<lb/> zugeben, der ja 1793 hingerichtet wurde, ehe sein Sohn den Kerker verlassen<lb/> hatte. Aus den Berliner Kabinettsakten läßt sich nlsdnnn die ganz allmähliche<lb/> Entwicklung der Legende verfolgen, die der Uhrmacher nach seiner Freilassung<lb/> von Krossen aus fortspann. Während er später die Briefe in seinen Memoiren<lb/> veröffentlichte, die er seit 1815 an die Bourbonen gerichtet habe, gab er noch<lb/> 1831 in der Vorrede seiner ersten an den preußischen König eingereichten<lb/> Lebensgeschichte an, er habe bis jetzt das Geheimnis seiner Geburt streng<lb/> bewahrt. Man hat also die später in vollen? Wortlaut abgedruckten fünf Briefe<lb/> von 1815, 1816, 181!» und 1824 als dreiste Fälschungen anzusehen. Unter<lb/> solchen Umständen wird man den Versuch als unnütz aufgeben, die Lebens-<lb/> nachrichten Naundorffs mit der wirklichen Geschichte in Einklang bringen zu<lb/> wollen; es interessiert uns die Reihenfolge seiner Berichte von 1831, 183 ><lb/> und 1836 nur insofern, als wir an ihnen die allmähliche Entwicklung<lb/> vom rührseligen Schauerroman zu einer historischen Darstellung verfolgen<lb/> können, die sich unter dem Einflüsse geschichtskundiger Anhänger bemüht,<lb/> die auffallendsten Verstöße gegen die geschichtliche Wahrheit zu vermeiden.<lb/> Neues über das Leben des Dauphins erfährt man nicht daraus, vielmehr<lb/> läßt sich aus einem Vergleich von Naundorffs Memoiren mit zeitgenössischen<lb/> vor 1830 gedruckten Schriften feststellen, daß Naundorff nicht ohne Erfolg<lb/> bemüht gewesen ist, sich ans diesen gedruckten Quellen historische Kenntnisse<lb/> nachträglich anzueignen und durch Wissen von unbedeutenden Details zu<lb/> verblüffen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
Die Wiederkunft Naundorffs
Handensein zur Falschmünzerei geeigneter Werkzeuge im Besitze deS Angeschuldigten
wurde nachgewiesen, sowie daß er oft in einem verschlossenen Raume gearbeitet
hatte. Hierzu kam nun das Austreten Naundorffs im Gefängnisse. Er verriet
eine überraschende Kenntnis der Gannersprache, steckte seinen Mitangeklagten
und anderen Gefangenen sehr geschickt heimlich Zettel zu, durchsägte den Boden
seiner Zelle, anfangs wohl um zu entfliehen; dann aber enthüllte er seinen
verblüfften Richtern diesen Umstand, der Boden sei von einem anderen Insassen
früher durchsägt worden; er hätte entfliehen können, habe es aber nicht tun
wollen. Nicht dadurch allem wollte er sie günstig stimmen, fondern auch, indem
er ihnen seine Beihilfe bei der Aufspürung eines Geheimbundes von Branden¬
burger Verbrechern versprach. Während dieses Prozesses ist nun Naundorff
auch zuerst mit der Behauptung seiner Herkunft aus französischem königlichen
Geblüt hervorgetreten, anfangs zaghaft und mit ganz allgemeinen Angaben,
die seinen späteren Aussagen widersprechen. Er kam zu diesen Bekundungen,
als er sich bei den Fragen über sein Vorleben immer wieder in Widersprüche
verwickelte und durch Nachforschungen an Ort und Stelle in die Enge getrieben
wurde; da behauptete er schließlich seiue Verwandtschaft mit dem bourbonischen
Königshause und erzählte, er habe mit seinein jetzt verstorbenen Vater jahrelang
in der Verbannung gelebt. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß er 1825
noch nicht daran dachte, sich für den Sohn Ludwigs des Sechzehnten aus¬
zugeben, der ja 1793 hingerichtet wurde, ehe sein Sohn den Kerker verlassen
hatte. Aus den Berliner Kabinettsakten läßt sich nlsdnnn die ganz allmähliche
Entwicklung der Legende verfolgen, die der Uhrmacher nach seiner Freilassung
von Krossen aus fortspann. Während er später die Briefe in seinen Memoiren
veröffentlichte, die er seit 1815 an die Bourbonen gerichtet habe, gab er noch
1831 in der Vorrede seiner ersten an den preußischen König eingereichten
Lebensgeschichte an, er habe bis jetzt das Geheimnis seiner Geburt streng
bewahrt. Man hat also die später in vollen? Wortlaut abgedruckten fünf Briefe
von 1815, 1816, 181!» und 1824 als dreiste Fälschungen anzusehen. Unter
solchen Umständen wird man den Versuch als unnütz aufgeben, die Lebens-
nachrichten Naundorffs mit der wirklichen Geschichte in Einklang bringen zu
wollen; es interessiert uns die Reihenfolge seiner Berichte von 1831, 183 >
und 1836 nur insofern, als wir an ihnen die allmähliche Entwicklung
vom rührseligen Schauerroman zu einer historischen Darstellung verfolgen
können, die sich unter dem Einflüsse geschichtskundiger Anhänger bemüht,
die auffallendsten Verstöße gegen die geschichtliche Wahrheit zu vermeiden.
Neues über das Leben des Dauphins erfährt man nicht daraus, vielmehr
läßt sich aus einem Vergleich von Naundorffs Memoiren mit zeitgenössischen
vor 1830 gedruckten Schriften feststellen, daß Naundorff nicht ohne Erfolg
bemüht gewesen ist, sich ans diesen gedruckten Quellen historische Kenntnisse
nachträglich anzueignen und durch Wissen von unbedeutenden Details zu
verblüffen.
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